7. August 1933: Weihe der Hitler- und der Hindenburg-Eiche – Schützenfest auf dem Johannisberg

• Jan-Willem Waterböhr, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld • 

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Weihe der Adolf-Hitler-Eiche auf dem Plateau vor dem Schützenhaus auf dem Johannisberg, 7. August 1933. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung, Nr. 51-002-209

Das Schützenfest auf dem Bielefelder Johannisberg fand wie jedes Jahr Anfang August statt, so auch im Jahr der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ vom 5. bis 7. August 1933. Wie bei anderen Schützenfesten in der Region und im Reich wurden die neuen Machthaber begrüßt und die „Neue Zeit“ zelebriert. Schulen, Banken und die Verwaltungen blieben geschlossen, damit möglichst viele Bürgerinnen und Bürger teilnehmen konnten. Gleichzeitig nutzen die Nationalsozialisten das etablierte Fest zur Demonstration des eigenen Machtanspruchs in bürgerlichen Kreisen. Gemeinsam mit der Bielefelder Schützengesellschaft von 1831 wurde das Schützenfest zu einem nationalsozialistischen Volks- und Heimatfest umgedeutet: Schützengesellschaft, Kommunalpolitik und Vertreter der Nationalsozialisten feierten gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt.

Höhepunkt waren die Weihe der Adolf-Hitler- und der Hindenburg-Eiche in unmittelbarer Nähe des Schützenhauses auf dem Johannisberg. Die Ehrung großer Persönlichkeiten und Ereignisse von nationaler Bedeutung – der Sieg im Krieg 1870/71 gegen Frankreich und die Beendigung der Rheinlandbesetzung 1930 – war in Form von Sieges-, Friedens-Eichen für die Bielefelder Schützengesellschaft ein erprobtes Mittel. Am 7. August 1933 vollzogen sie darüber hinaus symbolisch den Anschluss an die nationalsozialistische Bewegung und die neue Staatsführung im Deutschen Reich.

Schützenfest und Volksgemeinschaft auf dem Johannisberg

Der traditionelle Zapfenstreich begann am Samstagabend, den 5. August um 19.45 Uhr auf dem Alten Markt. Beteiligt waren Oberbürgermeister Dr. Paul Prieß (1879-1935), Bürgermeister Fritz Budde (1895-1956), Landrat Dr. August Beckhaus (1877-1945) und Vertreter der NSDAP. Um 20 Uhr bewegte der „Abmarsch“ sich über die Obernstraße, Bahnhofstraße und Kaiserstraße (heute: August-Bebel-Straße) zum Klosterplatz und zurück auf den Alten Markt. Die anschließenden Reden feierten die „Nationale Erhebung“. Oberbürgermeister Prieß unterstrich in seiner von der Westfälischen Zeitung vom 7. August 1933 festgehaltenen Ansprache die gemeinsamen Ziele von Schützen und Nationalsozialisten: „Immer habe die Bielefelder Schützengesellschaft eine wahre, echte Volksgemeinschaft erstrebt […].“

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Schützenaufmarsch auf dem Alten Markt, August 1933. Im Hintergrund: Das Sportbekleidungsgeschäft des jüdischen Händlers Julius Hesse. Stadtarchiv Bielefeld. Bestand 400,3/Fotosammlung, Nr. 51-002-218

Zum Abschluss wurde erstmalig das Horst-Wessel-Lied gesungen. Am Sonntag, 6. August ab 14 Uhr, folgte der Zug mit der Fahnenkompanie vom Klosterplatz auf den Johannisberg. Es reihten sich nicht nur die festlich geschmückte Thronkutsche des Schützenkönigspaars ein, sondern auch jeweils 50 Angehörige der SA, SS und des Stahlhelms. Zuvor hatten die Tageszeitungen alle Anwohner zum Fahnenschmuck der Innenstadt aufgerufen. Besonders die Altstadt wurde mit vielen Fahnen und Wimpeln geschmückt, die das Hakenkreuz zeigten. Am Montag, den 7. August startete der dritte Umzug zum Adlerschießen um 6.15 Uhr, wieder vom Alten Markt auf den Johannisberg. Der Ehrenschuss wurde dem neuen Reichskanzler Adolf Hitler geweiht, der ebenfalls zum Bielefelder Schützenkönig gekrönt wurde – sein Stellvertreter in Bielefeld wurde Schützenoberst Herbert Delius (1886-1978). Um 11.30 Uhr folgte der Höhepunkt: Auf dem Aussichtsplateau des Schützenhauses mit Blick über die Stadt und auf die Sparrenburg wurde die Adolf-Hitler-Eiche geweiht. Zugegen waren nicht nur die genannten geladenen Gäste, die Mitglieder der Hitlerjugend und des Bunds deutscher Mädel, sondern auch Bürgerinnen, Bürger und Kinder aus allen Schichten Bielefelds, auch aus der Arbeiterschaft. Ein Sportflugzeug ließ im Tiefflug einen „Blumengruß“ auf die Menge regnen, wie die Westfälischen Neuesten Nachrichten berichtet. Die Rede von Herbert Delius wurde am 8. August 1933 gedruckt:

Heute – im Jahre der deutschen Erhebung [„Machtergreifung“] – wollen wir in treuer Dankbarkeit des Mannes gedenken, der uns herausgerissen hat aus der Uneinigkeit und Verzweiflung. Wir wollen ihm geloben, in Treue zu ihm zu stehen und mit ihm an den Wiederaufbau unseres Vaterlandes zu arbeiten. Ihm sei diese Eiche geweiht. Adolf-Hitler-Eiche sei hinfort ihr Name! Unserem großen Führer und Volkskanzler ein dreifaches „Sieg-Heil!

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Weihe der Adolf-Hitler-Eiche am 7. August 1933. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 4003/Fotosammlung, Nr. 51-002-208

Im Anschluss an das erneut gesungene Horst-Wessel-Lied führte ein gemeinsamer Zug vom Plateau zum Musikpavillon, wo die Hindenburg-Eiche geweiht wurde. Hier schlossen sich „Schwerkriegsgeschädigte“ des Ersten Weltkriegs als Ehrengäste dem Zeremoniell an.

Die Westfälischen Neuesten Nachrichten druckten ebenfalls einen Teil der Festrede des Schützenoberst Herbert Delius ab:

Den schönsten und härtesten Eichenbaum des Johannisberges haben wir für würdig erachtet, den Namen unseres Führers aus dem Weltkriege und unseres Reichspräsidenten von Hindenburg zu tragen. Dieser Eichenbaum hat von hier oben heruntergeschaut auf die Stadt Bielefeld und die ganze Entwicklung von kleinen Landstädtchen bis zur Großstadt mitgemacht. Er hat aber auch mitgemacht die tiefe Erniedrigung unseres Volkes im Jahre 1806/07. Er hat mitgemacht die wechselvolle Geschichte unseres Vaterlandes in den letzten 100 Jahren und die schmachvollen Zeiten nach dem Weltkriege. Er hat aber bisher noch nicht mitgemacht ein Schützenfest, bei dem sich alle Mitbürger Bielefelds in Einigkeit und Freundschaft hier oben auf dem Johannisberge die Hände reichen. Mögest du, deutsche Eiche, erleben, daß das, was Hindenburg und Hitler im Jahre der Erhebung des deutschen Volkes eingeleitet haben, restlos durchgeführt wird. Um unseren Danke für unsern unvergleichlichen Führer im Weltkriege und unsern ehrwürdigen Reichspräsidenten Ausdruck zu verleihen, weihe ich dich, du deutsche Eiche, auf seinen Namen. Dein Name sei hinfort ‚Hindenburgeiche‘. Unser Generalfeldmarschall und Reichpräsident von Hindenburg, er lebe hoch!

Es folgte das Deutschlandlied mit der damals üblichen ersten „Deutschland, Deutschland über alles“-Strophe. Der offizielle Teil des Schützenfestes endete mit der Proklamation des neuen Königs Herbert Delius sowie der Königin Luise Stapenhorst, Frau des ehemaligen Bielefelder Oberbürgermeisters Rudolf Stapenhorst (1865-1944).

Wie sehr die durchgehend positive Berichterstattung in den gleichgeschalteten Zeitungen die Realität widerspiegelt, lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen – die erhaltenen Filmaufnahmen stützen jedoch den Eindruck eines hoch-pompösen und symbolischen Zeremoniells auf dem Johannisberg. Die ausgeschmückte Sprache der Bielefelder Zeitungen diente nicht nur der Berichterstattung, sondern gehörte ebenfalls zur nationalsozialistischen Inszenierung der Weihen. Der lesenden Öffentlichkeit wurde deutlich gemacht, dass die Volksgemeinschaft auf dem Johannisberg gegenwärtig geworden war.

Herbert und Clara Delius

Die heute martialisch und naiv wirkenden Reden von Oberst Herbert Delius dürfen daher nicht vorauseilend oder überinterpretiert werden. Sie stehen überwiegend im Zeichen der Euphorie der „Nationalen Erhebung“, wie sie in nationalliberalen und bürgerlich-konservativen Kreisen üblich waren. Gleichzeitig spiegeln sie die Rolle des Schützenobersts wider. Die Person Herbert Delius ist hingegen differenzierter zu betrachten.

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Schützenkönigspaar 1933/1934 Herbert Delius und Luise Stapenhorst nach der Inthronisierung vor dem Schützenhaus, 7. August 1933. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung, Nr. 51-002-234

Am 5. Juni 1886 als Angehöriger der Bielefelder Industriefamilie geboren, war er von 1912 bis 1942 Teilhaber an dem Familienunternehmen OHG C.A. Delius und Söhne. Politisch war er anfangs in der DNVP und ab 1919 der DVP organisiert – er gehörte daher zum wirtschaftsliberalen und bürgerlich-konservativen Lager der Bielefelder Stadtgesellschaft. Auch wenn die DVP keinen antisemitischen Kurs fuhr, schlossen sie sich 1933 der „nationalen Einheit“ unter Führung der NSDAP an. Delius selbst wurde 1934 Fördermitglied der SS und war zuvor am 1. Mai 1933 der NSDAP beigetreten („Märzgefallene“). Mit einiger Wahrscheinlichkeit versprach er sich Vorteile für das Familienunternehmen – die Ziele und Methoden der NSDAP dürften ihm bekannt gewesen sein. Er war mindestens ein Jahr Mitglied der Deutschen Christen, eine Mitgliedschaft in der Bekennenden Kirche ist derzeit nicht bekannt. Trotz der Nähe zu den nationalsozialistischen Organisationen enthält seine Entnazifizierungsakte mehrere Mahnschreiben der NSDAP, er solle seine jüdischen sowie nichtarischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter benennen und entlassen. Den Aufforderungen kam er bis mindestens Herbst 1937 nicht nach, ein im Vergleich zu anderen Unternehmern sehr später Zeitpunkt. Innerhalb des Familienunternehmens galt er als Unterstützer der Arbeiterschaft und als Gegner der Maßnahmen gegen jüdische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – so zumindest mehrere Leumundszeugnisse nach 1945, die jedoch nicht unkritisch betrachtet werden sollten („Persilschein“).

Seine Ehefrau Clara Delius (1887-1963) gehörte 1919 zu den Gründungsmitgliedern der DVP in Bielefeld und war seit 1924 im Bielefelder Stadtrat vertreten. Im Nachgang zu den Reichstagswahlen verließ sie mit weitere Abgeordneten am 6. März 1933 aus Protest die Stadtverordnetenversammlung, als neben der schwarz-weiß-roten Kaiserflagge auch die Hakenkreuzfahne am Bielefelder Rathaus gehisst wurde, die sie als Parteifahne ablehnte. Über ihr weiteres Verhältnis zum Nationalsozialismus ist bisher wenig bekannt. Als Anhängerin des bürgerlich, nationalliberalen Lagers dürfte sie Nationalsozialisten nur in einigen Punkten widersprochen haben.

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Bildmontage zu Herbert und Clara Delius als Schützenoberst und Schützenkönigin, 1931. Original: Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 270,26/Bielefelder Schützengesellschaft, Nr. 13

Es wäre daher falsch, Herbert und Clara Delius als Gegner des sich etablierenden NS-Regimes zu bezeichnen, weder 1933 noch 1938. Als nationalliberal gesinnte Personen schlossen sie sich der nationalsozialistischen Bewegung gegen linke und progressive Kräfte an und unterstützten, wenn auch nicht immer gradlinig, das neue Regime – ebenso profitierten sie von der Politik der Nationalsozialisten oder hatten keine ernsten und nachhaltigen Einschränkungen zu befürchten. Ein Spannungsverhältnis der Bewertung bleibt jedoch bestehen, wie der Umgang von Delius mit der jüdischen Belegschaft innerhalb seiner Firma bezeugt.

Herbert Delius war von 1928 bis 1955 Vorsitzender und Oberst der Bielefelder Schützengesellschaft von 1831 e.V. Er starb am 5. Mai 1978. Clara Delius engagierte sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs weiterhin karitativ und im Vorstand des Upmannstifts. Sie starb am 27. Januar 1963 im Alter von 75 Jahren in Bielefeld.

Reichspräsident Paul von Hindenburg als Identifikationsfigur der Schützengesellschaft

Paul von Hindenburg (1847-1934) wurde der deutschen Öffentlichkeit bekannt als militärischer Vertreter bei der Kaiserproklamation im Spiegelsaal von Versailles 1871 sowie während des Ersten Weltkriegs als Generalfeldmarschall und Held der Schlacht bei Tannenberg. Politisch übte er von 1916 bis 1918 als Teil der Obersten Heeresleitung de facto Regierungsgewalt im Kaiserreich aus. Nach dem Ersten Weltkrieg förderte er aktiv die „Dolchstoßlegende“, jene Verschwörungstheorie der Obersten Heeresleitung, die die Niederlage des Deutschen Reiches demokratischen Politikern, der Sozialdemokratie und dem „bolschewistischen Judentum“ zuschrieb. Auch wenn er sich nach 1918 zur Ruhe setzen wollte, übernahm er 1925 das Amt des Reichspräsidenten als Nachfolger von Friedrich Ebert (SPD) und wurde 1932 gegen Adolf Hitler (NSDAP) und Ernst Thälmann (KPD) wiedergewählt. Historische Wahrheit und Mythos zur Person Paul von Hindenburg waren und sind bis heute nur schwer voneinander zu trennen.

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Versammlung der Gäste auf dem Plateau vor dem Schützenhaus, links vermutlich die Adolf-Hitler-Eiche, ca. 1933. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung, Nr. 51-002-219

Paul von Hindenburg wurde schon seit den 1920er-Jahren von seinen politischen Gegnern kritisch betrachtet – die geschichtswissenschaftliche Kritik verfestigte sich seit der Biographie von Wolfram Pyta 2009: Neben der klar monarchistischen, militaristischen, völkischen, antidemokratischen und antiparlamentarischen Haltung von Hindenburgs sowie der Ablehnung der Weimarer Republik als Staatsform – obwohl er sich als Reichspräsident weitestgehend an die Verfassung hielt – steht vornehmlich sein politisches Handeln seit 1930 zunehmend im Fokus. Pyta dekonstruiert das vorherrschende Narrativ, Hindenburg sei als beeinflussbarer Greis zur Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler gedrängt worden als Mythos. Vielmehr habe er zielstrebig eine Politik der nationalen Einheit und der „Volksgemeinschaft“ verfolgt, die er mit der Zusammenfassung der „nationalen Kräfte“ (u.a. NSDAP) zu verwirklichen versucht habe. Seit 1930 nutzte Hindenburg seine Vollmachten nicht nur, um im Bündnis mit den konservativen und nationalen Parteien und Gruppen gegen die Sozialdemokratie, Liberale und Kommunisten sowie die zunehmend erstarrten Institutionen der Weimarer Republik zu agieren, sondern griff auch mit präsidialen Erlässen in die Politik ein. Die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 markierte einen von ihm beabsichtigten Endpunkt des präsidialen Regierens, so Pyta: Unter Führung der NSDAP sollten die „nationalen Kräfte“ durch Auflösung des Reichstags, den nachfolgenden Neuwahlen, der Ausschaltung der marxistischen Kräfte und des Ermächtigungsgesetzes, welches von Hindenburg wohlwollend unterzeichnete, mit der eigenen präsidialen Unterstützung eine zweite Machtbasis erhalten. Nach der „Machtergreifung“ („Nationale Erhebung“) der Nationalsozialisten habe Paul von Hindenburg weitere Gesetze der Nationalsozialisten unterzeichnet, die deren Alleinherrschaft manifestierten. Er war demnach mehr als nur der passive „Steigbügelhalter“ für Adolf Hitler.

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Geschmückte Hindenburg-Eiche auf dem Johannisberg nach dem Tod des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg, August 1934. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 250,001/NSDAP, Nr. 14

Für die Schützenvereine war Paul von Hindenburg, die per Selbstverständnis eine zivile Tradition des Militärs pflegten, eine wirkmächtige Identifikationsfigur. Er vereinte den Gedanken der Deutschen Nation, die Militärtradition Preußens, die Idee der Volksgemeinschaft und die Treue zum Staat – häufig ausgedrückt und sich bündelnd in der Ablehnung der gescheiterten Revolution kommunistischer Kräfte von 1918. Nach dem Tod Paul von Hindenburgs am 2. August 1934 schrieb Herbert Delius die Trauerbekundung „an die Mitglieder und Freunde der Bielefelder Schützengesellschaft“ und die NSDAP in Bielefeld:

Mit tiefer Trauer haben wir Abschied genommen von dem Reichspräsidenten, Generalfeldmarschall von Hindenburg, dem wir am 7. August 1933 […] die knorrigste und schönste Eiche auf dem Johannisberg zum Andenken geweiht haben. Das Gelöbnis von Damals, stets dem Vaterlande zu dienen […] und in alter Schützentreue für Eintracht und Einigkeit einzustehen, haben wir sicherlich Alle am 7. August 1934 erneuert. Am 19. August haben wir die Gelegenheit zu beweisen, dass wir es ernst meinen. Unser Führer und Reichskanzler wendet sich an sein deutsches Volk, ob es den Übergang der Amtsbefugnisse des Reichspräsidenten auf ihn billigt. Wir Bielefelder Schützen wissen, wie wir zu stimmen haben. Mit einem freudigen Ja wollen wir unserem Führer die Treue geloben.

Delius spielt auf die Volksabstimmung über das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches am 19. August 1934 an, welche das Amt des Reichspräsidenten abschaffte und Hitler als Führer des Reichs installierte.

Das „Volks- und Heimatfest“ feiert den Anschluss an das NS-Regime

Die verbreiteten Buchtitel „…unter dem Hakenkreuz“ treffen für das Schützenfest 1933 nicht zu: Die Bielefelder Schützengesellschaft feierte nur insofern unter dem Hakenkreuz, als dass SA, SS und Stahlhelm sowie Vertreter der NSDAP prominent teilnahmen, sich selbst sowie die nationalsozialistische Bewegung repräsentierten und sich machtpolitisch inszenierten. Öffentliche Verbindungen der Bielefelder Schützengesellschaft zum Stahlhelm bestanden spätestens seit 1932. Die Nationalsozialisten in Bielefeld hatten keinen Widerstand zu erwarten: Mit dem 7. August 1933 schloss sich die Bielefelder Schützengesellschaft aktiv und öffentlichkeitswirksam dem neuen Regime an. Das Schützenfest in Form eines politisch aufgeladenen „Volks- und Heimatfests“, wenn auch im Programm nicht anders als zuvor oder auf folgenden Festen, wurde mit mehr Pomp und Prunk an nationalsozialistischen Symboliken begangen. Eine Erklärung allein in der Euphorie der „Nationalen Erhebung“ zu suchen, greift jedoch zu kurz: In Anlehnung an den „Tag von Potsdam“, der ebenfalls in Bielefeld gefeiert und von der Schützengesellschaft auf dem Johannisberg ausgerichtet worden war, wurde mit der Weihung der Eichen der Anschluss an das NS-Regime symbolisch vollzogen: Vertreterinnen und Vertreter aller Gesellschaftsgruppen in Bielefeld weihten die Adolf-Hitler-Eiche, zogen gemeinsam zur Hindenburg-Eiche und vereinigten sich mit den Veteranen des Ersten Weltkriegs. Symbolisch entstand im prozessions-ähnlichen Aufmarsch ein Band der (neuen) Bielefelder „Volksgemeinschaft“ mit der „alten Tradition“ des Reiches – dargestellt durch die Hindenburg-Eiche. Gemeinsam vollzogen sie die „Volksgemeinschaft“ im Mikrokosmos auf dem Johannisberg, wo sie für alle Teilnehmenden erfahrbar und für alle anderen sichtbar wurde. Dabei nutzte die Bielefelder Schützengesellschaft das Mittel der Weihe-Eichen, welches sie seit ihrer Gründung 1831 in Form von Sieges- und Friedenseichen mehrmals erprobt hatte.

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Ansprache von Oberbürgermeister Dr. Rudolf Stapenhorst auf dem Alten Markt zur 100-Jahrfeier der Bielefelder Schützengesellschaft, 1931. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung, Nr. 51-002-282

Darüber hinaus waren die Weihen ein gezielt politischer Akt: Schon am 11. Mai 1933, etwa sechs Wochen nach dem „Tag von Potsdam“, hatte die Schützengesellschaft in der Westfälischen Zeitung bekannt gegeben, dass man den Gedanken der „Volksgemeinschaft“ schon immer verfolgt habe und eine Gleichschaltung daher nicht nötig sei. Die Weihen müssen daher auch als politisch-inszenierter Anschluss an die neuen Machthaber verstanden werden, nicht nur um der administrativen Gleichschaltung zuvorzukommen. Gleichzeitig waren erste politische Gegner des Regimes, vor allem SPD-Mitglieder, Kommunisten und Sozialisten, Gewerkschafter sowie Jüdinnen und Juden schikaniert und inhaftiert worden. Bereits im Februar 1933 wurden einige Juden auf den Bielefelder Straßen zusammengeschlagen, verhaftet sowie ihre Geschäfte und Geschäftsräume beschmiert, besetzt und zerstört. Sie, die frühen Opfer des NS-Regimes wurden aus der inszenierten „Volksgemeinschaft“ aktiv ausgeschlossen und verfolgt.

Die Bielefelder Schützengesellschaft war nicht allein: Das Blomberger Schützenfest im Juni 1933 stand ebenfalls im Zeichen der „Nationalen Erhebung“, ehrte aber vornehmlich die Nation und seine Führer – ein Hitler- und Hindenburgkult fand nicht statt. Das Schützenfest in Lemgo betonte stärker als in Blomberg die Einheit der Nation und würdigte explizit Reichspräsident Paul von Hindenburg. In allen drei Städten stand jedoch das Motiv der „Volksgemeinschaft“ im Vordergrund, nationalsozialistische Symboliken – vornehmlich das Hakenkreuz – wurden in die Umzüge und auch in Vereinsfahnen übernommen. Zum Abschluss wurden immer das Deutschland- und das Horst-Wessel-Lied gesungen.

Ehrung des Reichspräsidenten?

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Hindenburg-Eiche mit Gusseisenzaun und Eisernem Kreuz auf dem Parkplatz des Mercure-Hotels auf dem Johannisberg, 2021. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung, Nr. 72-001-299

Die Hindenburg-Eiche auf dem Johannisberg ist bis heute auf dem Parkplatz des Mercure-Hotels erkennbar. Nur vordergründig ehrt sie den ehemaligen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg. Sie ist Symbol des Anschlusses der Bielefelder Schützengesellschaft und der bürgerlichen, nationalliberalen Kreise Bielefelds an das NS-Regime. Der Gusseisenzaun mit dem Eisernen Kreuz ist Abbild eines Geschichts- und Gesellschaftsordnungsprinzips, welches sich auf die „Volksgemeinschaft“ stützt und zum verheerendsten Zivilisationsbruch führte.

Die Adolf-Hitler-Eiche steht vermutlich heute nicht mehr. Auch die 1934 von der Bielefelder Schützengesellschaft geweihte Eiche für Leo Schlageter und Horst Wessel, die verehrten Märtyrer der Nationalsozialisten und nationalen Bewegungen, ist als solche nicht mehr lokalisierbar. In Bielefeld gab es weitere Adolf-Hitler-Eichen, die heute ebenfalls nicht mehr auffindbar sind: Zum Geburtstag von Adolf Hitler wurde nicht nur der heutige Bürgerpark („Oetker-Park“) am 20. Mai 1933 in „Adolf-Hitler-Park“ umbenannt, sondern auch zu seinen Ehren eine Hitler-Eiche geweiht. Weitere Hitler-Eichen sind in Altenhagen, Brackwede, Senne I und Ummeln bekannt – zumeist wurden sie ebenfalls zum Anlass des Führergeburtstags oder zum 1. Mai gepflanzt, aber auch zum Luthertag am 20. November.

Quellen

  • Büschenfeld, Jürgen, Die Delius-Eiche auf dem Johannisberg – Umstrittenes Gedenken, Bielefeld 2021 (unveröffentlicht)
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 104,3/Einwohnermeldeamt, Nr. 19: Meldekartei Bielefeld-Mitte, Abgänge 1958-1984
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 250,1/NSDAP, Nr. 14
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 270,26/Bielefelder Schützengesellschaft, Nr. 13
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,2/Zeitungen, Nr. 6: Westfälische Neueste Nachrichten v. März 1933 , 13. April 1933, 18. April 1933, 5. August 1933, 7. August 1933, 8. August 1933 und 21. November 1933
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,2/Zeitungen, Nr. 50: Westfälische Zeitung v. Mai 1933, 5. August 1933, 7. August 1933 und 8. August 1933
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,7/Filme, unverzeichnet: Dokumentationen der Schützenfeste 1929, 1931, 1933, 1939.

Literatur

  • Borggräfe, Henning, Schützenvereine im Nationalsozialismus. Pflege der „Volksgemeinschaft“ und Vorbereitung auf den Krieg (1933-1945), Münster 2010.
  • Pöppinghege, Rainer, Geschichtspolitik per Stadtplan. Kontroversen zu historisch-politischen Straßennamen, in: Matthias Frese (Hrsg.), Fragwürdige Ehrungen!? Straßennamen als Instrument von Geschichtspolitik und Erinnerungskultur, Münster 2012, S. 21-40.
  • Potthoff-Edler, Birgit/Schneider, Thorsten, „Schützen im neuen Staat“. Die Schützenfeste in Blomberg, Lemgo und Bielefeld 1933, in: Werner Freitag (Hrsg.), Das Dritte Reich im Fest. Führermythos, Feierlaune und Verweigerung in Westfalen 1933-1945, Bielefeld 1997.
  • Pyta, Wolfram, Hindenburg. Herrschaft zwischen Hohenzollern und Hitler, München 2009.

Internetlinks

Waterböhr, Jan-Willem, 7. August 1933: Weihe der Hitler- und der Hindenburg-Eiche – Schützenfest auf dem Johannisberg, https://historischer-rueckklick-bielefeld.com/2023/08/01/01082023/, Bielefeld 2023

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