4. Januar 1877: In Bielefeld wird der langjährige Bielefelder Landrat August Beckhaus geboren

•  Helmut Henschel, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld •

„Ein einfacher Diener seines Kreises“ – so lautete die, vermutlich ganz bewusst an den Preußenkönig Friedrich II. anlehnende, Selbstbezeichnung des Landrats Dr. August Beckhaus (1877-1945) in seiner Rede im Rahmen der Feierstunde im Gasthof Kyffhäuser zum 25. Dienstjubiläum an der Spitze des Landkreises Bielefeld. Sie bezeichnet zutreffend das über die Jahrzehnte gültige Selbstverständnis Beckhaus‘ in seiner Arbeit als Hauptverwaltungsbeamter der Kreisverwaltung. Allerdings ging der Satz in der entsprechenden Rede vom 18. Oktober 1933 noch weiter: Nicht nur ein Diener des Kreises und seiner Bevölkerung, sondern „ein einfacher und treuer […] auch des von dem Volkskanzler Adolf Hitler geschaffenen neuen Dritten Reiches.“ Diese Worte mögen opportunistischen, selbstschützenden Charakters sein und nur sehr bruchhaft widerspiegeln, in welcher Beziehung der Landrat zum NS-Staat und seiner Ideologie stand. Nichtsdestotrotz gehören auch sie zu dieser zuweilen ambivalenten Persönlichkeit, wie sie sich beim Studium der historischen Zeugnisse darstellt. Von 1908 bis 1937 war er im Landratsamt Bielefeld beschäftigt, den größten Teil davon als Landrat. Der Umgang mit der NS-Zeit gehört in der Auseinandersetzung mit der Biografie sicherlich dazu, dennoch würde man Beckhaus und der von ihm ausgehenden, unbestreitbaren Prägung von Kreis und Stadt Bielefeld nicht gerecht werden, wenn man sich nur darauf beschränkte.

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Geburtsurkunde von August Beckhaus; Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 104,2.20/Standesamt, Personenstandsregister, Nr. 100-1877-1

 Familie und Werdegang

Über die frühen Jahre der Kindheit, Jugend und Ausbildungsphase des am 4. Januar 1877 in Bielefeld geborenen, evangelisch-reformierten Karl Friedrich August Beckhaus ist nur wenig bekannt. Seine Eltern waren der Arzt und Sanitätsrat Dr. Karl Hermann Beckhaus (1846-1903) und Friederike Henriette Caroline Beckhaus geb. Jung (1854-1887). 1897 machte August Beckhaus am (Rats)Gymnasium sein Abitur.

Am 8. Juni 1906 heiratete er in seiner Heimatstadt Margarete Auguste Antonie Klara geb. Klasing (geb. 13. Mai 1883 in Bielefeld), mit der er insgesamt fünf Kinder (drei Söhne und zwei Töchter) bekam, von denen ein Sohn bereits im Kindesalter aufgrund eines heute nicht näher bekannten Unglücks ums Leben kam. Auch die Ehefrau Margarete Beckhaus verstarb verhältnismäßig früh mit 45 Jahren am 21. Juni 1927 in Bielefeld an einer Lungenentzündung. Der örtliche Ableger des Vaterländischen Frauenvereins widmete dem langjährigen Mitglied in der nachfolgenden Versammlung einen Nachruf.

Beruflich schlug Beckhaus die juristische Laufbahn ein. Dem Studium in Lausanne, München und Kiel folgte 1903 die Promotion in Leipzig. 1901 war er am Oberlandesgericht Hamm tätig, ab 1903 bei der Regierung Magdeburg, ab 1906 beim Landratsamt Usedom-Wollin. In jenem Jahr legte er auch die „Große juristische Staatsprüfung“ ab. Beckhaus war außerdem von 1909 bis 1919 Mitglied des Westfälischen Provinziallandtags, wo er im Frühjahr 1919 zum Landeshauptmann gewählt werden sollte. Angeblich wegen seiner „nationalen Einstellung“ lehnte die sozialdemokratische Regierung die Wahlentscheidung des Landtages aber ab. Beckhaus blieb so weiterhin Landrat des Kreises Bielefeld.

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Porträt von August Beckhaus, aufgenommen von Franz Rademacher, 1932; Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung, Nr. 61-002-038

Landrat in Bielefeld

Dorthin war er 1908 gelangt, um zunächst vertretungsweise mit der Leitung des Landratsamtes betraut zu werden. 1909 übernahm er diese kommissarisch, um 1910 dann endgültig vom Kreistag zum Nachfolger des verstorbenen Landrates Franz von Ditfurth (1840-1909) gewählt zu werden.

Die überlieferten Eröffnungsreden im Kreistag zu Beginn der jeweiligen Legislaturperiode zeigen Beckhaus als einen vermittelnden, den Konsens suchenden Landrat, der trotz gegensätzlicher Ansichten das freundschaftliche und konstruktive Miteinander betonte. Im Dezember 1929 z. B. äußerte er die „Hoffnung, dass wir […] im Geiste der Einigkeit und Freundschaft zusammenarbeiten werden, wie wir es aus den bisherigen Kreistagen gewohnt sind.“ Auch nach außen und vor allem zur Stadt bzw. dem Stadtkreis Bielefeld suchte der Landrat die sachliche Auseinandersetzung. Dies kam insbesondere in der Beziehung zum fast zeitgleich amtierenden Oberbürgermeister Bielefelds Dr. Rudolf Stapenhorst (1865-1944) zum Ausdruck. 1929 soll ein preußischer Oberpräsident die beiden als „Castor und Pollux“ bezeichnet haben, die sinnbildlich für „brüderliche Einmütigkeit“ stehenden Dioskuren bzw. Söhne Zeus‘. „Unter den sich sonst oftmals streitenden Häuptern der Stadt- und Landkreise [bildeten die Beiden] eine rühmliche Ausnahme“, so beschrieb das Westfalen-Blatt die Verbindung von Landrat und Oberbürgermeister in einem rückblickenden Artikel vom 7. November 1959.

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Mitglieder des Kreistags, Beckhaus in der Mitte sitzend, 1912; Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung, Nr. 62-001-008

Man legte Wert auf ein vernunftbasiertes, wertschätzendes Miteinander und suchte nach Möglichkeiten, die Anliegen beider Seiten in gemeinsamer Zusammenarbeit zu lösen. So wurde unter anderem 1913 der seit 1877 bestehende Zweckverband zwischen Land- und Stadtkreis zur Verwaltung des für „beide Kreise gemeinsamen Wegeverbandes und der gemeinsamen Kreissparkasse“ weiter ausgebaut und eine neue Satzung formuliert. Beim 25. Dienstjubiläum von Beckhaus im Oktober 1933 wurde dieses Projekt als „besonders segensreiche Leistung“ des Landrats in Zusammenarbeit mit Stapenhorst bezeichnet. Bei den Abschiedsfeierlichkeiten im Zuge des Weggangs Beckhaus‘ nach Köln formulierte der ehemalige Oberbürgermeister die Zusammenarbeit mit allzu gefühlvollen Worten: „Wir sind stets gut miteinander ausgekommen, natürlich fochten wir auch mal gegeneinander. […] Aber wir einigten uns schließlich immer. Schwere Fälle erledigten wir auf der Jagd. […] Jeder zog dann seinen Wunschzettel aus der Tasche und meistens waren wir uns schon einig, wenn wir etwa den Stauweiher erreichten; ganz schwere Fälle waren sicher dann erledigt, wenn wir den ersten Hasen umgelegt hatten.“

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Satzung des Zweckverbandes zwischen Stadt und Kreis von 1913; Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,1/Westermann-Sammlung, Nr. 51, S. 0

In Beckhaus‘ Amtszeit fiel ab 1912 auch die flächendeckende Versorgung des Landkreises mit elektrischem Strom. Ein großer Schwerpunkt seiner Tätigkeit war die Verbesserung der landwirtschaftlichen Belange (die gegenüber der Industrie immer weiter ins Hintertreffen geraten waren), was in der Gründung von Bodenverbesserungsgenossenschaften, der Einrichtung einer Jungviehweide und weiteren Maßnahmen zur qualitativen Hebung der Viehzucht zum Ausdruck kam. Er übernahm außerdem die Führung des westfälischen Obst- und Gemüsebauverbandes. Aber auch in der sozialen Fürsorge, so die Westfälische Zeitung im Zuge seiner Versetzung nach Köln, hatte sich Beckhaus politisch in besonderem Maße betätigt: Die Organisation der Kreiswohlfahrtspflege, Ausbau des Möllerstiftes sowie diverse Projekte im Bereich des Siedlungswesens wurden von ihm in seiner Zeit als Landrat vorangetrieben.

 

Gemeindereform

Das vermutlich wichtigste bzw. einschneidendste Projekt in der Ära Beckhaus war die „Abgabe“ mehrerer Orte aus dem Gebiet des Landkreises an die Stadt Bielefeld im Rahmen der großen Gemeindereform von 1930. Erste Pläne für Eingemeindungen lassen sich bereits für die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg nachweisen. Beckhaus, der einer Gebiets- und Gemeindereform grundsätzlich nicht abgeneigt war, verwies zum Beispiel in einem Schreiben von 1914 auf die finanzielle Notwendigkeit der Eingemeindung. Viele der Vororte seien hinsichtlich der Infrastruktur, der hygienischen Zustände (z. B. die mangelhafte Kanalisation) usw. nicht in der Lage, alleine die Missstände zu beheben. Erstmalig wurde hier auch eine politische Komponente sichtbar, wenn der Landrat auf zunehmende Mehrheiten der Sozialdemokraten in den betreffenden Orten hinweist. Durch die Eingemeindung erhoffte man sich, den Einfluss von dieser Seite zu neutralisieren. Von städtischer Seite wiederum sprachen vor allem ein akuter Platzmangel hinsichtlich des Bau- und Siedlungslandes in der wachsenden Industriestadt für eine Reform.

Durch den Krieg unterbrochen, begannen die Eingemeindungsüberlegungen ab 1918 nur schwerfällig wieder ihren Weg in die entsprechenden politischen Gremien zu finden. Am 4. August 1922 erfragte der Amtmann von Schildesche bei der Stadt Bielefeld das weitere Vorgehen; man überlege ansonsten, Bauerschaft und Dorf Schildesche, sowie Gellershagen und Theesen zu einer eigenständigen Gemeinde zusammenzuschließen. Als Folge wurde eine Kommission aus Mitgliedern von Stadt und Kreistag gegründet, die sich der konkreten Ausgestaltung einer möglichen Gemeindereform widmen sollte. Beckhaus und Stapenhorst standen dem Projekt zu diesem Zeitpunkt eher abwartend und bremsend gegenüber, da die hohe Inflation die finanziellen Aspekte höchst undurchschaubar werden ließen. Erst 1925, nach einer gewissen Stabilisation in finanzieller und politischer Hinsicht, wurden die Beratungen erneut aufgenommen. Obwohl über die Notwendigkeit der Reform zwischen Stadt und Kreis ein grundsätzlicher Konsens bestand, war man sich über das Ausmaß der Eingemeindungen zunächst nicht einig. Nach langen gesellschaftlichen und parteipolitischen Debatten wurde das „Gesetz über die Erweiterung des Stadtkreises Bielefeld“ am 11. Juni 1930 schließlich im Landtag verkündet und zum 1. Oktober desselben Jahres in Kraft gesetzt. Sieker, Stieghorst, Teile von Heepen und Oldentrup (Amt Heepen), die Gemeinde und Bauerschaft Schildesche, Gellershagen und Teile von Theesen (Amt Schildesche), Teile von Hoberge-Uerentrup und Großdornberg (Amt Dornberg), sowie kleinere Einheiten von Gadderbaum und Brackwede wurden letztlich in die Stadt Bielefeld eingemeindet, die damit eine Zahl von 120.000 Einwohnern erreichte.

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Stadtverordnete und Vertreter der Gemeinden, des Kreises und des Landes nach Abschluss der Verhandlungen im Hof der Sparrenburg, 1930; Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung, Nr. 62-001-007

Die „Westfälische Zeitung“ überschrieb die Ausgabe vom 1. Oktober 1930 mit „Die erste Zeitung der Großstadt Bielefeld“. Die Ausgabe enthält Einlassungen sowohl vom Oberbürgermeister als auch vom Landrat. In seinem mit „Abschied schweren Herzens…“ betitelten Text brachte Beckhaus einen starken persönlichen Anstrich ein, indem er auf seine biografische Nähe zum Landkreis verwies, als dessen „Ratgeber und Helfer“ er sich seit „22 Jahren“ verstand. Überhaupt enthält der Text eine recht wehmütige Komponente, verlor der Kreis doch eine große Fläche und rund 1/3 der eigenen Bevölkerung an die Stadt. An anderer Stelle verwies der Landrat, „dass auf dem Kreishaus zwei Flaggen gehisst worden seien – die eine auf halbmast wegen des Verlustes für den Landkreis, die andere aufgrund des festlichen Anlasses“, der ebenfalls angebracht war, da die Gemeindereform letztlich unumgänglich war und auch für den Kreis durchaus seine Vorteile brachte.

Am Ende dieses Prozesses stand für Beckhaus auch eine sehr persönliche Note: Die Sedanstraße in Schildesche musste aufgrund einer Straße gleichen Namens in der Stadt Bielefeld umbenannt werden. Beckhaus, den man als einen der wesentlichen „Architekten“ der Gebietsreform ansah, fungiert seither als Namensgeber dieser Straße.

 

Versetzung nach Köln

Im Juli 1937 wurde Beckhaus vom preußischen Innenminister, relativ plötzlich so scheint es, nach einer Amtszeit von fast 30 Jahren im Landratsamt zum kommissarischen Vizepräsidenten des Regierungsbezirks Köln ernannt. Die heimischen Tageszeitungen äußerten sich wertschätzend und bedauerten den Weggang außerordentlich. Es erscheint eher unwahrscheinlich, dass Beckhaus „wegbefördert“ werden sollte, wie es der Amtsbürgermeister von Brackwede, Wilhelm Ramsbrock (1877-1955), nach dem Krieg vermutete. Dagegen spricht auch, dass der Kreisausschuss einige Monate später eine Abschiedsfeier beschloss und veranstaltete. Aufgrund der kurzfristigen Versetzung war dies nicht sofort möglich gewesen. Der Termin wurde für den 25. März 1938 festgelegt und wie schon bei der Feier zum Dienstjubiläum fanden die Festivitäten in der Gaststätte Kyffhäuser am  Kesselbrink statt. Geladen waren etwa 250 Gäste, darunter Verwaltungsangehörige, Militärs, Parteiabgesandte, Vertreter der Landwirtschaft, sowie Familienmitglieder und Freunde (unter anderem Pastor Friedrich von Bodelschwingh d. J. aus Bethel). Es sprachen fast ein Dutzend Redner, darunter der Regierungspräsident Adolf Freiherr von Oeynhausen (1877-1953), der NSDAP-Oberbürgermeister Fritz Budde (1895-1956) und der Fabrikant Gustav Windel (1873-1954). Auffällig ist, dass kein direkter und offizieller Parteivertreter eine Rede hielt. Der für den Gauleiter erschienene Gauinspektor Karl Heidemann (1895-1975) wurde nachträglich von der Rednerliste gestrichen, die Gründe dafür sind nicht ersichtlich. Beckhaus´ Nachfolger in Bielefeld wurde Heinrich Martin Rütten (1901-1957).

In Köln erlebte Beckhaus einen unkomplizierten Einstand in seiner neuen Funktion. Seinem Vorgesetzten, dem Regierungspräsidenten Eggert Reeder (1894-1959), versprach Beckhaus in einem Telegramm, sich „nach alter Niedersachsenart […] freudigst für gemeinsame erfolgreiche Arbeit einsetzen.“ Nur wenige Monate später berichtete eben dieser von einem konstruktiven Miteinander; Beckhaus habe sich „in seinem neuen Wirkungskreis gut eingelebt.“ Im Dezember 1937 wurde Beckhaus dann endgültig und unter Zustimmung vom Gauleiter der Partei zum Regierungsvizepräsidenten ernannt. Von diesem Ereignis berichteten auch der „Westdeutsche Beobachter“ und die „Kölnische Zeitung“ in einer kleinen Anzeige. Im November 1938 äußerte sich Reeder im Rahmen einer Beförderung erneut sehr wohlwollend: „Beckhaus ist mir ein sehr zuverlässiger, treuer und fleißiger Mitarbeiter, auf den ich mich in jeder Beziehung verlassen kann.“ Am 10. Mai 1940 wurde Reeder schließlich als Kriegsverwaltungschef nach Marburg beordert. Als Folge dessen übernahm Beckhaus die „volle Vertretung des Regierungspräsidenten in Köln“.

Im Februar 1942 erlitt Beckhaus durch einen Sturz einen Oberschenkelhalsbruch, was dazu führte, dass er etwa ein halbes Jahr die Amtsgeschäfte nicht wahrnehmen konnte. In der Nacht vom 28. auf den 29. Juli 1943 brannte zudem die Kölner Wohnung von Beckhaus infolge eines Luftangriffs völlig aus. Auch die anderweitig untergebrachten Besitztümer wurden in derselben Nacht völlig zerstört, darunter auch der erste Band der Personalakte von Beckhaus, der vermutlich den Großteil seiner Zeit als Bielefelder Landrat beinhaltete. Bereits wenige Wochen zuvor war seine Schwester in Bielefeld gestorben. Diese Schicksalsschläge führten in der Summe dazu, dass der gesundheitlich angeschlagene Beckhaus seinen Rücktritt einreichte. Am 27. November 1943 wurde er in den Ruhestand versetzt. 1944 zog er wieder nach Bielefeld, wo er im Haus der verstorbenen Schwester in der Gartenstraße 10 seinen Wohnsitz fand.

Wahrscheinlich am 26. Mai 1945 wurde August Beckhaus von der Britischen Armee arrestiert und in das Lager Staumühle bei Hövelhof verbracht. Dort starb er am 9. Dezember 1945. Über die Umstände seines Todes ist nichts bekannt, es ist aber davon auszugehen, dass die im Lager grassierende Mangelernährung des Winters 1945 ihr Übriges tat. Die in der Personalakte enthaltene Todesanzeige führt nur die beiden Töchter Annemarie Tenge-Rietberg geb. Beckhaus und Ruth Gretzer geb. Beckhaus mitsamt den Ehemännern und drei Enkelkindern auf. Die beiden verbliebenen Söhne, Karl-August Beckhaus und Otto Beckhaus waren im Krieg gefallen.

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Beckhaus und Stapenhorst im Hof der Sparrenburg, 1930; Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung, Nr. 61-002-010

Politische Verortung

Beckhaus war parteipolitisch ursprünglich im nationalkonservativen Lager zu verorten (Mitgliedschaften bei DVP und DNVP). Ob er nach 1933 tatsächlich eine „innere Radikalisierung“ erfahren hat, sich zum Eigenschutz in nationalsozialistisch konforme und anerkannte Truismen flüchtete, oder die nationalsozialistische Ideologie gegenüber „linken“ Auffassungen als kleineres Übel verstand, ist sicher verschieden interpretierbar. Noch 1929 hatte er sich mit mehreren Bielefelder Größen (darunter Oberbürgermeister Stapenhorst, dem Verleger und Vorsitzenden der Zentrumspartei Alfred Hausknecht, sowie mehreren Amtsbürgermeistern) in einem in den Tageszeitungen abgedruckten Aufruf gegen den von rechten Parteien und Gruppierungen initiierten Volksbegehren gegen den „Young-Plan“ gewandt und die Bielefelder Bürgerschaft „dringend“ davor gewarnt, sich in die entsprechenden Listen einzutragen. In dem Text hieß es: „Wir haben durch Krieg, Staatsumwälzung, Kapp-Putsch, Ruhreinbruch und Inflation genug gelitten. Wir wollen endlich Frieden und Ordnung haben.“ Weiter warben die Unterzeichner für Unterstützung der aktuellen Regierung, damit das Vertrauen in das Deutsche Reich in der ganzen Welt weiter gefestigt würde und brachten so indirekt ihre Verbindung zur und Anerkennung der Weimarer Verfassung zum Ausdruck.

In der Eröffnungsrede des im März 1933 erstmalig nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten gewählten Kreistages positionierte sich Beckhaus dann aber, zumindest nach außen, deutlich als Anhänger der „nationalen Erhebung“. Diese sah er jedoch, und hier zeichnen sich eher konservative Deutungsmuster ab, vor allem als geschichtliche Parallele zu Preußen, welches er als Vorbild des aktuellen Geschehens darstellte. Friedrich II. habe es geschafft, eine außenpolitisch isolierte Nation im Kreis der Großmächte zu etablieren. Damit sei er ein Beispiel für Adolf Hitler gewesen, „dem es gelungen ist, in 14jähriger Arbeit ursprünglich mit nur einigen wenigen Getreuen […] das deutsche Volk zur inneren Einkehr zu bewegen, zu sammeln und unter dem Zeichen von Potsdam zu vereinen.“ Dabei sprach er auch „die vielen Deutschen aus dem bürgerlichen Lager [an], die noch abseits stehen.“ Beckhaus stellte sich so in die von der NSDAP konstruierte und bewusst instrumentalisierte Traditionslinie zwischen Preußen und dem „Dritten Reich“, welche vor allem am „Tag von Potsdam“ am 21. März 1933 wirkmächtig zwischen Adolf Hitler und dem Reichspräsidenten Paul von Hindenburg zelebriert wurde, um vor allem die Konservativen zu gewinnen und die „nationalen Lager“ zu einen. Beckhaus nahm als offizieller Vertreter des Landkreises am Bielefelder Pendant zur Veranstaltung in der Potsdamer Garnisonkirche auf dem Johannisberg teil.

Am 19. April 1937 hielt Beckhaus zum 48. Geburtstag Hitlers eine kurze Rede vor den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Landratsamtes. Darin verwies er auf die „gesetzmäßige Grundlage“ (Unterstreichung im Original, HH), mit welcher Adolf Hitler „an die Macht in unserm geliebten deutschen Vaterlande gelangt war. […] Jeder Deutsche, der guten Willens ist, kann ungestört seiner Arbeit nachgehen […]. Sein Verdienst ist es, den Bolschewismus in unserm Reiche noch rechtzeitig erkannt und mit seinen Getreuen niedergeschlagen zu haben. […] Ihm nachzuleben und ihm zu folgen, ist einfachste Dankes- und Ehrenpflicht.“

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Beckhaus und weitere Bielefelder Persönlichkeiten wenden sich in einer Anzeige gegen das Volksbegehren; Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,1/Westermann-Sammlung, Nr. 47, S. 98

Am 10. Januar 1934 war der Eintritt in die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV) erfolgt, am 13. Mai 1934 der in den Nationalsozialistischen Rechtswahrerbund (NSRB), der Berufsorganisation der Juristen im nationalsozialistischen Deutschen Reich. 1937 folgte dann der Antrag auf Eintritt in die NSDAP, nachdem von 1933 bis 1937 ein Aufnahmestopp bestanden hatte. In den im Zuge der Versetzung zur Regierung in Köln entstandenen Personalfragebögen beschrieb Beckhaus die Beweggründe über seinen Parteieintritt folgendermaßen: „Auf vertrauliche Anfrage des Kreisleiters Bielefeld-Land habe ich mich am 12ten März des Jahres [1937] gern bereit erklärt, in die Partei einzutreten.“ Aber erst am 24. Februar 1939 berichtete er an seinen Kölner Arbeitgeber, dass er die Mitgliedskarte mit der Nummer 5 971 210 erhalten habe. Zwar war die Mitgliedschaft auf den 1. Mai 1937 zurückdatiert worden, warum die Anwartschaft aber beinahe zwei Jahre gedauert hatte, ist nicht ersichtlich. Während seiner Mitgliedschaft hatte Beckhaus zu keiner Zeit ein Parteiamt inne.

Eine genaue Beurteilung der Rolle als Verwaltungsangehöriger im Hinblick auf Mitwirkung bei Deportationen, Veräußerung von jüdischem Eigentum usw. steht noch aus.

Am 27. Mai 1947 stellte der Rechtsanwalt und Nachlassverwalter und spätere Oberbürgermeister Dr. Rudolf Nierhoff (1897-1988) beim entsprechenden Bielefelder Ausschuss einen Entnazifizierungsantrag für den verstorbenen August Beckhaus. Am 3. Oktober des gleichen Jahres wurde Beckhaus der Kategorie V („Entlastet“) zugeordnet.

 

Straßenbenennung

Nach 1945 kam es aus naheliegenden Gründen zu einer intensiv geführten Debatte um Straßenumbenennungen. Die in den Protokollen des Bielefelder Stadtrats festgehaltene Auseinandersetzung erwähnt die seit 1931 unter dieser Bezeichnung laufende Beckhausstraße nur am Rande. Alle Angehörigen der Ratsfraktionen waren sich, und das ist nicht überraschend, darin einig, die Namen mit eindeutigem NS-Bezug ändern zu müssen. Der SPD-Ratsherr Emil Gross (1904-1967) nannte diesen Vorgang in der Ratssitzung vom 26. April 1947 eine „Trümmerbeseitigung in geistiger Hinsicht“. Deutlich kontroverser wurde es bei der Frage, wie weit die Umbenennungen gehen sollten. Fast an gegenwärtige Diskussionen erinnernd wurden Namen wie Hindenburg, Bismarck und Moltke zur Disposition gestellt. Dabei fällt auf, dass der Name Beckhaus in dieser Kategorie keine Erwähnung fand. Emil Gross forderte zwar eine Umbenennung eines Teilstücks, begründete dies aber damit, dass dieser konkrete Straßenteil „niemals der Bedeutung des früheren Landrats gerecht wurde.“ Letztendlich wurde dieser Straßenabschnitt in Hermann-Schäffer-Straße umbenannt, während die ursprüngliche Beckhausstraße auf Anregung des Ratsherren Wehmeyer sogar noch verlängert wurde, um der „großen Ausfallstraße“ eine einheitliche Bezeichnung zu geben. An keiner Stelle der sehr ausführlich geführten Diskussion wurde die Bezeichnung nach dem vormaligen Landrat bezweifelt, vielmehr scheint eine parteiübergreifende Würdigung und Anerkennung von Beckhaus Konsens gewesen zu sein.

In der folgenden Sitzung vom 21. Mai 1947 wurde die Debatte über die Straßenumbenennungen wegen der anhaltenden schwierigen Ernährungslage auf unbestimmte Zeit vertagt. „Der Hungertod bedroht uns alle. Da hat kein vernünftiger Bürger Verständnis dafür, dass wir auf dem Rathaus uns mit solch unwichtigen Dingen wie Straßenumbenennung befassen […].“ Die endgültige Umbenennung der Engerschen Straße, der Talbrückenstraße und der Straße Im Stift zur Beckhausstraße und vieler weiterer Straßen erfolgte schließlich im Januar 1948.

Quellen

  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 140/Protokolle, Nr. 186f und 186g
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 103,002/Hauptamt, Nr. 385
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 108,012/Vermessungsamt, Nr. 301
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 120,001/Kreis Bielefeld, Nr. 359
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 120,001/Kreis Bielefeld, Nr. 1800
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 300,007/Kl. Erwerbungen, Nr. 1354
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,1/Westermann-Sammlung, Nr. 4, 35, 47, 49, 51, 59, 66
  • Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abt. Rheinland, BR-Pe Nr. 6772
  • Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, Abt. Rheinland, NW 1057-F Nr. 3045
  • Westfälische Zeitung vom 1.10.1930

Literatur

  • Castendyk, Hedwig, Das Geschlecht Beckhaus. Vom Gute Beckhausen bei Ergste in Westfalen mit seinen bislang bekannten Abzweigungen, Bielefeld 1934
  • Glässing, Gabriele: Straßenbenennungen in Bielefeld im Nationalsozialismus, in: Ravensberger Blätter, Heft 2 (2013), S. 32-44
  • Hüser, Karl, „Unschuldig“ in britischer Lagerhaft? Das Internierungslager No. 5 Staumühle 1945 – 1948, Köln 1999
  • Lilla, Joachim, Leitende Verwaltungsbeamte und Funktionsträger in Westfalen und Lippe (1918 – 1945/46). Biographisches Handbuch, Münster 2004
  • Schmidt, Karl, Die Eingemeindungen der Stadt Bielefeld, Minden 1959
  • Schütz, Rüdiger (Bearb.), Grundriss zur deutschen Verwaltungsgeschichte – 1815-1945, Reihe A (Preußen), Bd. 7: Rheinland, mit einem Anhang: Saarland, Marburg/Lahn 1978
  • Vogelsang, Reinhard, Geschichte der Stadt Bielefeld, Bd. 3: Von der Novemberrevolution 1918 bis zum Ende des 20. Jahrhunderts, Bielefeld 2005
  • Wibbing, Joachim, „Ich bitte um eine klipp und klare Antwort…“ Der lange Weg zur Eingemeindung von 1930, in: Ravensberger Blätter, Heft 2 (2003), S. 14-19

Internetlinks

Erstveröffentlichung: 01.01.2022

Hinweis zur Zitation:
Henschel, Helmut, 4. Januar 1877: In Bielefeld wird der langjährige Bielefelder Landrat August Beckhaus geboren, https://historischer-rueckklick-bielefeld.com/2022/01/01/01012022/, Bielefeld 2022

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