6. Oktober 1876: Das Upmannstift für alleinstehende Damen wird eröffnet

• Dagmar Giesecke, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek •

 

„Das Upmann-Stift in Bielefeld, als gemeinnützige Stiftung vom dem Kaufmann Hermann Upmann sen. in Bremen und seinen Geschwistern August Upmann in Dresden, Fräulein Dorothea und Karoline Upmann in Bielefeld gegründet, konnte am 6. Oktober 1876 eingeweiht und seiner Bestimmung übergeben werden. Darüber berichtet das Bielefelder Tageblatt am folgenden Tage: Gestern Nachmittag fand, vom herrlichen  Sommerwetter begünstigt, die   Einweihung des hiesigen Upmannstiftes statt. Herr Pastor Vieregge vom Vorstande leitete die schöne Feier durch eine ausgezeichnete Rede ein, auf deren Inhalt  wir näher zurückkommen werden“, so zu lesen in der Festschrift zum 50-jährigen Bestehen des Stiftes, geschrieben vom Stadtoberinspektor Richard Jürgen.

011020161
Das Upmannstift, aus: „Zur Feier des 50jährigen Stiftungsfestes des Upmannstiftes in Bielefeld am 17. Oktober 1926“. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,10/Zeitgeschichtliche Sammlung, Nr. 182

Hermann Upmann wurde am 1. Mai 1816 in Bielefeld als Sohn des Uhrmachers und Kaufmanns Hermann Friedrich Upmann (1767–1840) und Johanne Friederike Upmann, geb. Birkemeyer (1775–1840), in Bielefeld geboren. Er hatte acht Geschwister, von denen einige früh verstarben. 1822 kaufte die Familie das Haus am Alten Markt Nr. 13. Auch der Bruder der Mutter, von Beruf Kammmacher für Webstühle, hatte sich am Kauf des Hauses beteiligt. Er versorgte nach dem Tod der Eltern bis zu seinem eigenen Tod 1852 die Kinder. 1839, ein Jahr vor dem Tod seiner Eltern, wanderte Hermann Upmann, inzwischen zum Kaufmann ausgebildet, nach Kuba aus. Sein Bruder August Upmann (gest. 1873) verließ kurze Zeit später ebenfalls seine Heimatstadt und folgte seinem Bruder nach Übersee. In Havanna eröffnete Hermann Upmann, nachdem er sich zuvor vergeblich um eine Anstellung bemüht hatte, ein Zigarrengeschäft. Er hatte Erfolg, so dass das Geschäft schnell expandierte und gute Gewinne eingefahren werden konnten. Zudem ließ Hermann Upmann seine Zigarrenmarke als „H. Upmann“ schützen. Sowohl in Europa als auch in Nordamerika verkauften sich seine Tabakwaren besonders gut. In Deutschland entwickelte sich ebenfalls eine beachtliche Zigarrenindustrie, aber die Qualität kam nicht an die der Havanna-Zigarren heran. Gute Geschäfte verhalfen Hermann Upmann zu einem beträchtlichen Vermögen. Sein Bruder August war inzwischen in das Zigarrengeschäft mit eingestiegen. 1848 heiratete Hermann Upmann Wilhelmine Amalie Gravenhorst (1825–1849) in Bremen. Wie und wo er sie kennengelernt hatte, ist nicht bekannt. Sie verließ Deutschland und ging ebenfalls nach Havanna. Schon ein Jahr später erkrankte sie tödlich an Gelbfieber. Lange blieb auch ihr Ehemann nicht mehr in Kuba. Er kehrte nach Deutschland zurück und ließ sich in Bremen nieder, wo er am 29. Januar 1894 starb. Trotz aller Entfernung riss sein Kontakt nach Bielefeld zu den verbliebenen Familienmitgliedern und zu den Freunden nicht ab. Geprägt durch seine Eltern, hatte Hermann Upmann eine Sensibilität für sozial Schwache entwickelt. Über viele Jahre unterstützte er finanziell Bielefelder Projekte. 1874 war er wieder einmal in seiner Heimatstadt. Hier traf er seinen alten Freund Karl Modersohn. Gerne wolle er hier in dieser Stadt Gutes tun, soll er geäußert haben. Schließlich sei ihm das Glück auch hold gewesen. Seine Idee war, in Bielefeld ein Stift ins Leben zu rufen, in dem ältere Damen des gehobenen Standes, die unverheiratet waren, ihren Lebensabend genießen sollten. Nicht für die mit Vermögen, sondern für Frauen, die nur eine bescheidene Summe als monatliche Ausgabe für sich zur Verfügung hatten, sollte es sein. Schließlich hätten diese oftmals viele Jahre neben ihren Eltern auch andere Familienmitglieder betreut und bis zu ihrem Tode begleitet, argumentierte Hermann Upmann. Den Anstoß zu diesem Vorhaben war wohl von den beiden unverheirateten Schwestern Dora und Lina Upmann gekommen. Anfängliche Überlegungen, erst einmal mit dem Vorhaben im eigenen Haus am Alten Markt zu beginnen, wurden schnell wieder verwor fen. Das Eigenheim war schlichtweg zu klein. Auch die Idee, nahe dem Kesselbrink, wo ein großer Gemüsegarten ihr Eigentum war, erwies sich als ungeeignet. Ganz in der Nähe befand sich eine Fabrik. „Unsere Damen sollen fern von allem Fabrikgetriebe wohnen, sollen freie, gute Luft genießen und sich in einem schönen ruhigen Garten ergehen können“, zitiert Luise Jüngst die Upmann-Schwestern in ihrem Bericht über das Upmannstift. Ein solcher Platz war mit dem Garten, der einem Herrn Hänseler gehörte, gelegen am nördlichen Hang es Johannisberges, gefunden. Karl Modersohn kaufte ihn, Hermann Upmann erstand weitere Nachbargärten.

011020162
Hermann Upmann (1816–1894), Begründer des Upmannstiftes, ohne Datum. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung, Nr. 61-021-005

Auch sein Bruder August Upmann beteiligte sich an der Finanzierung des Projektes. Gemeinsam stellten sie 96 000 Mark für den Bau zur Verfügung, finanzierten ebenfalls die allgemeine Inneneinrichtung und spendeten noch 120 000 Mark als Stiftskapital. Upmann beauftragte einen Bremer Architekten mit der Planung, den Bau führte Baumeister Friedrich Meyer aus Bielefeld aus, zusammen mit dem Maurermeister August Gravenstein. Martha Modersohn-Kramme schilderte in ihrem Beitrag zur Festschrift zum 50-jährigen Bestehen die Bauphase wie folgt: „Jedoch das Heranschaffen der Baumaterialien war mit großen Schwierigkeiten verknüpft. Der Zugang zu dem Grundstück war von der Hochstraße aus, ein schmaler Lehmweg, mit meist aufgeweichtem Boden. – Jetzt Upmannstraße. – Die Dornbergerstraße bestand noch nicht. Statt ihrer war hier ein tiefer Hohlweg, der schwer zu befahren war. Um nun aus dem nahen Ummelmannschen Steinbruch die Sandsteine zum Unterbau des Hauses heranschaffen zu können, wurde ein provisorischer Weg angelegt, und zwar über den Acker von Hannsmann, […], dessen Ländereien unterhalb des Bauplatzes von seinem Hause aus, zu beiden Seiten des Hohlweges lagen.“ Ein weiteres Problem war, dass erst in der Bauphase festgestellt wurde, die Zimmer werden kleiner als geplant. Hatte doch der Architekt bei seinen Plänen das Hamburger Maß verwandt, das nicht dem Preußischen entsprach.

Siebzehn Damen sollten dort erst einmal Einzug halten, nebst der Vorsteherin. Jede der Stiftsdamen sollte ein Wohn- und Schlafzimmer erhalten, bestückt mit eigenen Möbeln. Dazu waren gemeinschaftliche Räumlichkeiten wie Speiseraum und Gesellschaftszimmer angedacht. Bis zu seinem Tod blieb Hermann Upmann Vorstandsvorsitzender. Nach seinem Tod nahm immer der amtierende Oberbürgermeister den Vorsitz wahr. Dem weiteren Vorstand gehörten „Kaufmann Hermann Gante, Pastor Vieregge, der spätere Geh. Kommerzienrat Albrecht Delius, Karl Modersohn, Frau Dr. Julius Upmann, Marie geborene Upmann in Düsseldorf, Frau Hermann Gante, Fräulein Emma Sewening“ an. Später war auch Dr. August Oetker unter den Vorstandsmitgliedern. Mit der offiziellen Eröffnung am 6. Oktober 1876 waren auch die Rechte und Pflichten der Bewohnerinnen in einer Satzung und Hausordnung geregelt.

011020163
Statuten des Upmannstiftes, 1876. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,10/Zeitgeschichtliche Sammlung, Nr. 4469 (groß)

Im Juni 1882 stellte Hermann Upmann bei der Königlichen Regierung in Minden den Antrag auf Anerkennung des Upmannstiftes als juristische Person. „Die Familie Upmann, als deren Vertreter der unterzeichnete Kaufmann Hermann Upmann sen. zu Bremen handelt, hat zu Bielefeld unter dem Namen ‚Upmann-Stift‘ eine Versorgungsanstalt für ältere Damen errichtet und mit einem anmutig am Johannisberge gelegenen Gebäude nebst Garten sowie den sonst erforderlichen Fonds ausgestattet. […] Es ist aber mein Wunsch, die Zukunft der Stiftung und die Möglichkeit ihrer weiteren Ausdehnung über meine Lebenszeit hinaus sicherzustellen. – Ich beabsichtige zu diesem Zwecke, der Anstalt das bisher von ihr benutzte Grundstück zum Eigenthume zu übertragen und ihr ein Kapital zur Bestreitung ihrer sonstigen Bedürfnisse zu überweisen. – […].“ 100 000 Mark sollten reichen, um von den Zinsen den Fortbestand des Stiftes zu gewährleisten. Am 14. Januar 1884 wurde dem Antrag zugestimmt, und der Bielefelder Magistrat bestätigte die Übernahme in einem Schreiben vom 4. April 1884, unterzeichnet von Oberbürgermeister Gerhard Bunnemann (1842–1925). „[…] Wir nehmen hieraus gerne Veranlassung, Euer Wohlgeboren für die aus treuer Anhänglichkeit zur Vaterstadt, edlem Bürgersinn und christlicher Nächstenliebe hervorgegangene Gründung des Stiftes unsere hohe Anerkennung und unsern aufrichtigen Dank auszusprechen und daran die Versicherung zu knüpfen, daß wir allzeit bemüht sein werden, die Interessen des Stiftes zu fördern und den statutenmäßig uns obliegenden Pflichten zu genügen.“

Wer sich um einen Platz im Stift bewerben wollte, musste aus Bielefeld sein, der christlichen Religion angehören, vorzugsweise der protestantischen, und das 50. Lebensjahr vollendet haben. Ein untadliger Ruf war selbstverständlich, aber auch ein sicheres Einkommen war notwendig, musste doch ein bescheidener Eigenanteil gezahlt werden. Der Einkauf in das Stift schlug mit 900 Mark zu Buche. Schenkungen und Vermächtnisse anderer Familienmitglieder und verstorbener Stiftsdamen füllten ebenfalls die Kasse der Einrichtung. Im Laufe der Jahre hatte sich das Vermögen auf 288 000 Mark erhöht. Nach der Inflation in 1920er Jahren schrumpfte es auf 30 000 Goldmark, was zur ernstlichen Überlegung führte, die Stiftung aufzulösen. Das Fortbestehen rettete schließlich der Zigarrenfabrikant Karl Upmann aus New York, der peu à peu 300 000 Mark in die Upmann-Stiftung fließen ließ. Lina Oetker, die dem Stift sehr zugetan war, trug ebenfalls zur verbesserten finanziellen Situation des Heimes bei. Das Stift, inzwischen schon in die Jahre gekommen, konnte so einige Sanierungen in den 1930er Jahren vornehmen. Das Haus bekam eine Zentralheizung, neue hygienische Standards wurden umgesetzt und Waschmaschine und Zentrifuge angeschafft, nachdem das Heim an das städtische Stromnetz angeschlossen war.

011020164
Gruppenfoto anlässlich der 50-Jahr-Feier mit Stiftsdamen und Vorstandsmitgliedern. In der Mitte Oberbürgermeister Rudolf Stapenhorst, 17. Oktober 1926. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 109,1/Sozialamt Stadt, Nr. 2936

Schwierige Zeiten machte das Haus während des Zweiten Weltkriegs durch. Nicht nur dass immer mehr Personal zur Aufrechterhaltung des Dienstbetriebes fehlte, seit 1939 war nur noch die Stiftsvorsteherin Else Kretschmar im Einsatz, auch finanziell war es wieder sehr eng geworden. Der Luftangriff am 6. Oktober 1944 führte nur zu geringfügigen Schäden am Haus. Aber noch am selben Tag wurde von der Gestapo mitgeteilt, dass das Haus binnen drei Tagen zu räumen sei. Das Gebäude würde von der Staatspolizeistelle als Ersatzunterkunft in Anspruch genommen werden. „Ostarbeiter erschienen und luden das Inventar auf Fuhrwerke und fort ging es nach Bethel. Dort wurden die alten Damen freundlich im Hause „Abendfrieden“, das von den Schwestern geräumt wurde, aufgenommen. Alle Möbel und der gesamte Hausrat, darunter befanden sich die alten Upmannschen Möbel, das große Bild des Stifters, das Havannabild und die Bücherei, wurden mitgenommen. Inzwischen hatte sich die Gestapo im Stiftshaus bequem gemacht. Im Garten wurde der Bau eines großen Bunkers begonnen, […]. Doch lange sollten sich die neuen Bewohner an dem Besitze nicht erfreuen. Anfang Dezember 1944 trafen zwei Bomben den Garten und bohrten zwei tiefe Trichter. Durch den Luftdruck wurden das Dach, die Fenster und die Türen zerstört. […] Aus dem jetzt ungastlichen Hause zog die Gestapo aus und hinterließ nur etwa 15 schwere Panzerschränke […]“, beschrieb Else Kretschmar die Situation in der Festschrift zum 75. Jubiläum.

011020165
Der Spendenaufruf des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg anlässlich seines 60-jährigen Bestehens blieb beim Upmannstift unbeachtet, hatte man doch selbst seit vielen Jahren finanzielle Nöte, 7. Mai 1937. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 101,3/Geschäftsstelle III, Nr. 681

Aber auch die Stiftdamen wurden nicht verschont. Noch am 29. Januar 1945 brannte ihre Unterkunft ab, alles Hab und Gut ging verloren. Der als Ausweichquartier anvisierte Löllmannsche Hof erwies sich als unrealistisch. Der Arbeitsdienst hatte bereits das Anwesen beschlagnahmt. Schließlich blieb für die alten Damen nur noch ein großer Saal im Städtischen Krankhaus. Einige konnten bis zum Endes des Krieges Unterschlupf bei Verwandten finden. Für die Stiftsdamen im Krankenhaus wurde es nochmals eng, als im April 1945 Zwangsarbeiter eben diesen Saal für sich in Anspruch nehmen wollten. Zur selben Zeit musste die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV) ihren Sitz im Hause der von Laer-Stiftung aufgeben. Sie hatte bis dahin dort eine Frauenherberge betrieben. Ein schneller Umzug war somit möglich. Aber auch das Quartier sollte nicht von Dauer sein. Schon im Dezember desselben Jahres beanspruchten andere Stellen diesen Standort. Wieder musste ein Ortswechsel, dieses Mal nach Sieker in Wellmanns Hof, erfolgen. Ein Jahr später konnten die alten Damen endlich in ihr angestammtes Domizil zurückkehren, auch wenn der Zustand des Hauses unter normalen Umständen eine Rückkehr nicht zugelassen hätte. Die Mauern waren feucht, das Dach beschädigt, der Garten ein Schlachtfeld. Notdürftig durchgeführte Reparaturen sollten Abhilfe schaffen. Der allgemeine Wohnungsnotstand verhinderte die Rückkehr zum alten Konzept des Stiftes. Der Luxus von zwei Zimmern für jede Bewohnerin konnte nicht mehr eingehalten werden. Heimatvertriebene und kriegsbedingte Wohnungslose mussten auch dort untergebracht werden. 1946 wurde die Verwaltung des Stifts dem Wohlfahrtsamt, Heimabteilung, übertragen. Lange fehlte für die Instandsetzung das nötige Material. Erst nach der Währungsreform ging es voran. 1951, das Stift konnte auf 75 Jahre zurückblicken, waren aber noch immer nicht alle Schäden beseitigt. Große Feierlichkeiten fanden zu diesem Jubiläum nicht statt. Trotzdem erklangen festliche Posaunenklänge und 32 Stiftdamen hatten dort wieder ihr letztes Zuhause gefunden. Zwei Jahre zuvor hatte sich die Einrichtung dem Paritätischen Wohlfahrtsverband, Landesverband Nordrhein-Westfalen, angeschlossen und wurde gleichzeitig als Pflegeeinrichtung unter die Verwaltung der Stadt Bielefeld gestellt.

011020166
Fotomontage des alten und neuen Gebäudes in der Upmannstraße am Johannisberg, März 1990. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 102,1/Oberbürgermeister, Nr. 830

Wieder in finanzielle Schwierigkeiten kam das Upmannstift in den 1960er Jahren. Eine Einrichtung dieser Größenordnung war nicht mehr ökonomisch zu führen. Soziale Einrichtungen kamen immer mehr in den Fokus der Wirtschaftlichkeit. Bauliche Unzulänglichkeiten und Grundwasserdruck auf das Gebäude verstärkten die Probleme. Um das Haus finanziell auf sichere Beine zu stellen, war eine Kapazität von 80 Heimplätzen anzustreben. Zum 90. Jubiläum wohnten gerade einmal 28 Damen unter diesem Dach. Verschiedene Varianten der Veränderung wurden angedacht. Zum einen könnten am Altbau nur die dringlichsten Arbeiten erledigt werden, dann könnte ein Anbau erfolgen und nach der Fertigstellung das alte Gebäude abgerissen, um durch einen Neubau ersetzt zu werden. Zum anderen könnte nach dem Abdichten der Kellerräume ein Erweiterungsbau entstehen. Anschließend könnte die Sanierung des Altbaus beginnen. Aber auch ein ganz neuer Standort wurde kurz diskutiert. Nahe der Detmolder Straße befand sich eine aufgegebene Gärtnerei, auf der ein Komplex mit 110 Plätzen möglich war. Die Entscheidung fiel für den Anbau und den Erhalt des ursprünglichen Gebäudes. Die Kosten für diese Baumaßnahmen beliefen sich auf knapp 500 000 DM. Baubeginn war im Frühjahr 1969. Trotz verschiedener Maßnahmen, das Stift rentabler zu betreiben, gelang das nicht. Mehr denn je war die Einrichtung auf Zuschüsse der Stadt und Spenden angewiesen. 1977 wurde ernstlich über die Auflösung auf unterschiedlichen Ebenen diskutiert.

011020167
Schreiben von Herbert Hinnendahl als Vorstandsmitglied des Upmannstifts an den Oberbürgermeister Klaus Schwickert wegen der Finanzierung des Umbaus, 16.2.1989. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 102,1/Oberbürgermeister, Nr. 830

In den 1980er herrschte bundesweit in Krankenhäusern und Alteneinrichtungen der so genannte Pflegenotstand. Auch Bielefeld blieb nicht verschont. Hier bedauerte Ruth Bültmann, Dezernentin für den Bereich Altenhilfe bei der Arbeiterwohlfahrt, im Rahmen einer Tagung zur Altenarbeit im Mai 1988, dass es so gut wie nicht mehr möglich sei, Pflegeplätze innerhalb der Stadt bereit zu stellen. Jeder zweite Pflegefall müsse inzwischen nach auswärts vermittelt werden. Zwar war schon seit längerer Zeit die immer größer werdende Gruppe der alten Menschen ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Aber mit Veränderungen hat man sich schwer. Mehr als 60 000 Menschen über 60 Jahre lebten inzwischen in Bielefeld.

1990, auch die Frauenbewegung war im Blickfeld der Öffentlichkeit, versuchte man auf der politischen „Bühne“ beide Gruppierungen gegeneinander auszuspielen. Das Westfalenblatt vom 1. Juli fasste es in den ersten Zeilen seines Berichtes zur neuen Perspektive zur Kurzzeitpflege für alte Menschen wie folgt zusammen: „Pflegebetten statt Frauennachttaxi hieß, auf einen kurzen Nenner gebracht, vor zwei Jahren ein Vorstoß der CDU zugunsten der älteren Generation. 500 Plätze in Alten- und Pflegeheimen fehlten. Eine Million Mark sollte für ein Notprogramm im Sozialetat locker gemacht werden. Doch der Plan scheiterte: Grün-Bunte Liste und SPD blockten mit ihrer Ratsmehrheit alles ab. Seit sich das politische Blatt am 1. Oktober zugunsten der neuen bürgerlichen Mehrheit gewendet hat, sind CDU, Bürgergemeinschaft (BfB) und FDP gemeinsam in der Lage, auch in der Sozialpolitik neue Schwerpunkte zu setzten. Sie verankerten die Million nicht nur im Haushalt, sondern entwickelten auch das ‚Bielefelder Pflegemodell‘ mit Kurzzeit- und Tagespflege-Einrichtungen, familienentlastenden Pflegewohnungen und organisierter Nachbarschaftshilfe. Allen Unkenrufen zum Trotz fanden sich freie Träger bereit, Kurzzeitbetten in ihren Einrichtungen unterzubringen.“

011020168
Zeitungsartikel zur Integration aller Heimbewohnerinnen, nach dem es zu Ausgrenzungen gekommen war, Neue Westfälische, April 1993. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,2/Zeitungen, Nr. 27 (groß)

Zwei Jahre zuvor hatte die „Dr. August Oetker Stiftung“ beschlossen, zum 100-jährigen Bestehen der Firma 1991 ein Altenzentrum zu finanzieren. Der ehemalige Oberbürgermeister Herbert Hinnendahl (1914–1993), dem Upmannstift zugetan und der Sparkasse nahe, trat nach dem Bekanntwerden dieses Vorhabens gleich in Verhandlungsgespräche mit Rudolf und Maja Oetker, um sie für das Projekt „Upmannstift“ zu gewinnen. Anfänglich interessiert, war ihnen aber letztendlich das Zeitfenster zu eng. Parallel war ein anderes Altenzentrum in Ubbedissen-Lämershagen in Arbeit und in den Planungen weit fortgeschritten. Darauf fiel die Konzentration der Oetkerstiftung mit einer finanziellen Beteiligung von 1,2 Million DM. Schließlich eröffnete Oetker 1995 das stiftungseigene Caroline-Oetker-Stift auf dem Johannisberg, auf dem Grundstück, wo 1944 Richard Kaselowsky, Ida Kaselowsky (Oetker) und zwei weitere Familienmitglieder bei einem Bombenangriff umgekommen waren.

Bis Ende 1996 blieb das Upmannstift doch noch weiterhin unter städtischer Führung. Zum 1. Januar des nächsten Jahres wurde die Verwaltung dem Evangelischen Johanneswerk übergeben, das ab 2000 ganz die Trägerschaft übernahm. Fünf Jahre später kam das endgültige Aus für das Upmannstift. Strenge Anforderungen, u. a. vom Denkmalschutz und der Heimaufsicht, konnten nicht mehr erfüllt werden. Es fehlten einfach die finanziellen Möglichkeiten. Zwei Jahre stand das Gebäude leer, ehe es an die „G eins Industrie- und Wohnbau GmbH“ verkauft werden konnte. Diese sanierte aufwendig das denkmalgeschützte Gebäude, riss den 1969 entstandenen Anbau ab und fügte an anderer Stelle einen Neubau mit integrierter Tiefgarage auf dem 5600 qm großen Grundstück ein. Alle Wohnungen sind heute Eigentumswohnungen.

 

Quellen

  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 102,1/Oberbürgermeister, Nr. 830
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 102,3/Magistrat Verschiedenes, Nr. 681
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 108,7/Hochbauamt, Nr. 483, Nr. 484
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 109,1/Sozialamt Stadt, Nr. 294, Nr. 2918, Nr. 2936, Nr. 2983, Nr. 3010
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 300,7/Kleine Erwerbungen, Nr. 1227
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,10/Zeitgeschichtliche Sammlung, Nr. 70, Nr. 4471

 

Literatur

  • Margit Schulte Beerbühl, Barbara Frey, Die H. Upmann Zigarre. Der Bielefelder Hermann Dietrich Upmann und die Schaffung einer Weltmarke, in: 100. Jahresbericht des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg; Heft 1 (2015), S. 243 – 276
  • Magistrat der Stadt Bielefeld (Hg.), Das Buch der Stadt, Bielefeld 1926
  • Martha Modersohn-Kramme, Aus Bielefelds vergangenen Tagen, Bielefeld und Leipzig 1929

 

Erstveröffentlichung:  1.10.2016

Hinweis zur Zitation:
Giesecke, Dagmar, 6. Oktober 1876: Das Upmannstift für alleinstehende Damen wird eröffnet, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld,
https://historischer-rueckklick-bielefeld.com/2016/10/01/01102016, Bielefeld 2016

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..