Bereits Anfang 1918 zeigte sich die Unzufriedenheit der Bevölkerung. Die Ernährungslage im vierten Kriegswinter war katastrophal, die Freiheitsrechte massiv eingeschränkt. Ende Januar streikten reichsweit rund eineinhalb Millionen Arbeiterinnen und Arbeiter für „Frieden, Freiheit und Brot”. Anfang Februar berichtete die „Westfälische Zeitung”: „Die Streikbewegung in der Bielefelder Arbeiterschaft […] hat sich im Laufe des Tages auf den größten Teil der Bielefelder Rüstungsindustrie ausgedehnt”. Betroffen waren etwa die Dürkopp-Werke, Kochs Adler oder die vereinigten Preß- und Hammerwerke in Brackwede. In der wichtigen Bielefelder Metallindustrie wurde im Ersten Weltkrieg in Tag- und Nachtschichten pausenlos Rüstungsmaterial hergestellt. Die Streikenden forderten das Ende des Krieges, eine verbesserte Lebensmittelversorgung, eine Wahlrechtsreform und die Wiederherstellung bürgerlichen Freiheiten.

Die Sozialdemokratie hatte während des Krieges Militarismus und das autoritäre politische System unterstützt. Linke Sozialdemokraten, die für den Frieden eintraten, hatten sich in der „Unabhängigen sozialdemokratischen Partei” (USPD) abgespalten. Als sich die Niederlage längst abzeichnete, rief die Bielefelder SPD noch am 9. Oktober zur Zeichnung der 9. Kriegsanleihe auf. „Der neunte Gang zu den Altären des Vaterlandes!” hieß es in der Bielefelder „Volkswacht”: „Leg dein Scherflein in die Opferschalen. Die anderen, Größere wie du, Herrliche, Glorreiche, füllen sie mit ihrem Blute”.

Als Anfang November der Krieg verloren war, wollte die kaiserliche Admiralität eine Übergabe der Kriegsflotte an den Feind verhindern und stattdessen Menschen und Material in einer letzten Schlacht verheizen. Das war die Initialzündung zu den Matrosenaufständen in den Hafenstädten. Es waren Matrosen aus Wilhelmshaven, die mit einem Automobil die Revolution nach Bielefeld trugen. Arbeiter und Soldaten zogen am 8. November zu den Kasernen, befreiten dort die Gefangenen und rüsteten sich mit Waffen aus. Die Mannschaften liefen über oder wurden entwaffnet. Die Menge zog zum Bahnhof, um dort gelagerte Maschinengewehre sicherzustellen. Aufgrund der Nachrichten aus dem Norden waren in der Stadt bereits Maßnahmen getroffen worden. Die öffentlichen Gebäude wurden militärisch geschützt. Die 4. Kompanie hatte sich mit einem großen Vorrat an Waffen und Munition auf der Sparrenburg verschanzt. Der SPD-Politiker Carl Severing war von der Polizei gebeten worden, seinen Einfluss zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung geltend zu machen. Er erreichte den Zug noch vor dem Bahnhof und rief die Revolutionäre zur Ruhe und Besonnenheit auf. Nichtsdestotrotz zog die Masse weiter zur Sparrenburg, um auch die dort stationierten Soldaten zu entwaffnen. Die Burg wurde umstellt und Verhandlungen mit dem befehlenden Hauptmann aufgenommen. Der ließ sich schließlich darauf ein, abzuziehen, sofern er einen schriftlichen Befehl des Stadtkommandanten erhalte. Ein Glück, dass dieser erteilt wurde. Ein Augenzeuge schrieb: „Wohl war die ’Belagerungsarmee‘ den Belagerten zahlenmäßig überlegen, aber sie war ganz ungenügend bewaffnet und gegen die völlig geschützten und vorzüglich bewaffneten Verteidiger der Burg eigentlich wehrlos.” So zog die 4. Kompanie am 9. November um 3 Uhr morgens unbehelligt ab. In Bielefeld war, wie in fast allen anderen Städten, kein Blut geflossen. Obwohl von bewaffneten Arbeitern und Soldaten durchgeführt, war der Aufstand in dieser Phase überaus friedlich. Das Schlimmste, was kaiserlichen Offizieren widerfahren konnte, war, dass ihnen Orden und Abzeichen abgerissen wurden.

Während Arbeiter- und Soldatenräte andernorts durchaus versuchten, Veränderungen zu bewirken oder städtische Vertretungen und Behörden wenigstens zu kontrollieren, setzte der Bielefelder „Volksrat” in erster Linie auf die Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung und beschränkte sich auf Aufgaben der Versorgung, Fürsorge, Bildung und Kultur. Nach Severing war es „Volksgemeinschaft im besten Sinne des Wortes.”
Die Bielefelder SPD hatte sich paradoxerweise an die Spitze einer Revolution gesetzt, die sich gegen ihre eigene Politik richtete. Durch den Volksrat und die Bildung weiterer Kommissionen versuchte sie, den revolutionären Veränderungswillen in der Bevölkerung ins Leere laufen zu lassen. Im Januar 1919 kam es zu stürmischen Protesten von Erwerbslosen, die sich von Stadt und Arbeitervertretern nicht mehr hinreichend vertreten sahen. Ende März forderten spontane Streiks und Kundgebungen eine Verbesserung der Lebensmittelversorgung und wandten sich gegen gestiegene Preise und den Schwarzmarkt. Arbeiter der Kammerich-Werke in Brackwede lenkten eine Demonstration zum Bekleidungslager der Militärbehörden und verlangten die Abgabe von Stoffen. In einer Inspektorenwohnung beschlagnahmten sie Lebensmittel. Die SPD reagierte wieder mit der Bildung einer folgenlosen Kommission. Zwar war der Unmut über die SPD-Führung in der Arbeiterinnenschaft und mitunter auch an der Parteibasis groß, aber die linke USPD konnte sich mit der Forderung „Alle Macht den Arbeiter- und Soldatenräten” in Bielefeld nicht durchsetzen. Hier blieb sie im Gegensatz zu anderen Regionen schwach. Zur Wahl der Nationalversammlung im Januar 1919 erzielte die USPD-Liste nicht einmal 600 Stimmen der rund 52.000 Wahlberechtigten. Im Gegensatz zu mehr als 22.000 für die SPD. Bei der Stadtverordnetenwahl Anfang März errang sie nur eins von 53 Mandaten.

Ende Juni kam es erneut zur Revolte. Aktivistinnen und Aktivisten hatten auf den Wochenmärkten die Händler enteignet und deren Obst, Gemüse und Fisch zu willkürlich herabgesetzten Preisen verkauft. Am Nachmittag wurden die „Zwangsverkäufe” in Läden fortgesetzt. Einige Tage später verbot Severing eine Versammlung „Die Erfassung der Lebensmittel”. Die Bevölkerung ignorierte den Befehl. Von der Sicherheitswehr wurden daraufhin Handgranaten geworfen, die ein Todesopfer und 16 Verletzte unter den Demonstranten forderten.

Im folgenden Aufstand entwaffnete die Menge die Sicherheitswehr und besetzte verschiedene öffentliche Gebäude. Am 1. Juli marschierte das 1. Bataillon des im Sennelager stationierten Freikorps Gabcke in Bielefeld ein und eroberte kampflos die öffentlichen Gebäude zurück. 36 Aufständische wurden als Rädelsführer festgesetzt. Die Freikorps waren Freiwilligen-Verbände, die im Auftrag der Regierung zur Niederschlagung von Unruhen und Revolten eingesetzt wurden. Sie zeichneten sich durch besonders rücksichtsloses und brutales Vorgehen aus und lehnten die demokratische Staatsform meist kompromisslos ab. Viele Freikorpsführer machten später unter den Nationalsozialisten Karriere. Während die Freikorps in Berlin oder München für tausende Todesopfer verantwortlich waren, sind in Bielefeld bei Übergriffen auf Ansammlungen lediglich zwei Menschen getötet und mehrere verletzt worden.
Quellen
- Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 101,12/Geschäftsstelle XII, Nr. 197: Volks- und Soldatenräte (1918-1921)
- Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 101,12/Geschäftsstelle XII, Nr. 565: Streik und Aussperrung (1917-1923)
- Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 130,4/Amt Heepen, Nr. 1105: Arbeiter- und Soldatenräte, Bauernräte und Betriebsräte (1918-1922)
- Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 130,6/Amt Schildesche, Nr. 490: Rätesystem (1918-1921)
- Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 130,6/Amt Schildesche, Nr. 491: Rätesystem (1918-1921)
- Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 130,6/Amt Schildesche, Nr. 1160: u.a. Militärische Maßnahmen zur Erhaltung des Burgfriedens, Bekämpfung des Umsturzes durch radikale Elemente, Umsturz und Ablösung des alten Regimes (1914-1919)
- Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 130,9/Gemeinde Gadderbaum, Nr. 1404: Streiks und politische Unruhen (1918-1927)
- Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,1/Westermann-Sammlung, Bd. 357: Erster Weltkrieg
- Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,2/Zeitungen: Volkswacht (1918/18), Westfälische Zeitung (1918/19)
- Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung
- Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,10/Zeitgeschichtliche Sammlung, Nr. 459: Armbinden der Beamten des Volks- und Soldatenrates Bielefeld
Literatur
- Wilfried P. Schrammen/Uwe Tilker, Spaltung der Arbeiterbewegung. Zwischen „Burgfrieden” und Rätebewegung, in: Gisbert Brenneke/Arno Klönne/Heinrich Lienker/Willi Vogt (Hg.), „Es gilt die Arbeit zu befreien”. Geschichte der Bielefelder Gewerkschaftsbewegung, Köln 1989, S. 87-136
- Wilfried Schrammen, Vom Ersten Weltkrieg bis zum Bielefelder Abkommen, in: Ridvan Ciftci/Karl-Gustav Heidemann/Wilfried P. Schrammen (Hg), Gemeinsam für eine solidarische Gesellschaft. Schlaglichter aus 150 Jahren sozialdemokratischer Geschichte in Bielefeld, Bielefeld 2018, S. 67-76
- Carl Severing, Main Lebensweg, Bd. 1: Vom Schlosser zum Minister, Köln 1950, S. 188-250
- Reinhard Vogelsang, Geschichte der Stadt Bielefeld, Bd. 2: Von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des Ersten Weltkriegs, Bielefeld 1988, S. 247-288
- Reinhard Vogelsang, Geschichte der Stadt Bielefeld, Band 3: Bd. 3: Von der Novemberrevolution 1918 bis zum Ende des 20. Jahrhunderts, Bielefeld 2005, S. 30-76
Der Artikel von Bernhard Wagner ist zuerst veröffentlicht worden in: Viertel. Zeitung für Stadtteilkultur und mehr, Nr. 37 (Bielefeld, 2018)