• Dr. Jochen Rath, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld •
Das am 6. August 1900 eingeweihte Denkmal „Großer Kurfürst“ auf dem Bielefelder Sparenberg wird vom Publikum heute zumeist als dekoratives Accessoire für Erinnerungsfotos genutzt, der eigentliche historische Hintergrund, dass der dargestellte Friedrich Wilhelm von Brandenburg (1620-1688) auch Graf von Ravensberg und damit Stadt- und Landesherr war, wird am Monument nicht erwähnt und damit häufig übersehen. Die Begleitumstände von der kaiserlichen Schenkung der Statue 1899 bis zu ihrer Enthüllung ein Jahr später jedoch rückten das lokal ersehnte Objekt wiederholt in größere Zusammenhänge. Schriftliche und mündliche (Stichwort „Hunnenrede“) Verlautbarungen des Stifters Kaiser Wilhelm II. sorgten jeweils für mediale Resonanz und für innen- und sogar außenpolitische Irritationen und Kritik, die an der denkmal- und dynastie-euphorisierten Bielefelder Stadtgesellschaft jedoch weitgehend vorbei gingen.
Die „Bombe des Bielefelder Telegrammes“
Auf der Sparrenburg in Bielefeld erhebt sich seit Sommer 1900 das Denkmal „Großer Kurfürst“, das an Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg erinnert. Dieser galt schon den Zeitgenossen als bedeutender Landesherr, der das durch den Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) gebeutelte und territorial zersplitterte Kurfürstentum finanziell, wirtschaftlich und administrativ konsolidierte, durch Bündnisse und militärisches Fortune behauptete und einen unerwarteten Aufstieg anbahnte, der Preußen zu einer Vormachtposition in Deutschland und Akteur im europäischen Mächtekonzert führte, stets begleitet vom zentralen Problem, „dass es dieses Gefühl der Verwundbarkeit niemals überwinden konnte.“ (Christopher Clark, 2008). Zum preußischen Territorienkonglomerat zählte seit 1609/1647/1666 auch die Grafschaft Ravensberg mit Bielefeld. Der Kurfürst hielt sich mehrfach in der Stadt auf, zwei seiner Kinder aus zweiter Ehe wurden auf der Sparrenburg geboren, blieben aber aufgrund frühen Ablebens dynastisch bedeutungslos. Das Denkmal übernahm für die Bielefelder damit eine eher nostalgisch-lokalpatriotische Funktion, während die Anwesenheit Kaiser Wilhelms II. bei der Enthüllung in der städtischen Erinnerung nach 1918 weitgehend verblasste.
Die Einweihung am 6. August 1900 läutete ein Jahrzehnt neuer Statuen in der Stadt ein:
- 1903: Bismarck-Denkmal auf dem früheren Schillerplatz (heute Niederwall) vor dem Alten Rathaus, das seit 2008 am Oberntorwall steht;
- 1907: Kaiser Wilhelm-Denkmal vor dem Alten Rathaus, das 1921 wegen Material- und Montagefehlern abgetragen wurde;
- 1909: Leineweberbrunnen, eingeweiht anlässlich der 300-Jahr-Feier der Zugehörigkeit Ravensbergs zu Brandenburg-Preußen.
Diese Denkmalbauten begleiteten die größeren Bautätigkeiten von Stadt und Staat jener Dekade mit der Alten Post an der Herforder Straße (1903), Altem Rathaus und Stadttheater am Niederwall (1904) und schließlich dem Hauptbahnhof (1910). Zuvor hatte das städtische Betriebsamt am 20. Dezember 1900 vor dem verkaufsoffenen „Goldenen Sonntag“ die erste Straßenbahn aufs Gleis gebracht – der Generalanzeiger brachte es am Folgetag auf den Punkt: „Die Elektrische! Es ist da, das neue Glied in der Kette moderner Bielefelder Einrichtungen.“ Parallel entstanden etliche Neubauten christlicher Kirchen und 1905 die neue Synagoge an der Turnerstraße. Das bürgerliche Bielefeld strahlte mit Infrastruktur, Industrie und ideellen Erinnerungsorten städtisches Flair und Selbstbewusstsein, agile Modernität und Fortschrittsgläubigkeit, aber auch unmissverständlich Loyalität zu Preußen aus, was aber bereits von einigen wenigen Zeitgenossen als rückständig und repressiv empfunden wurde. Andere Bevölkerungsteile fanden öffentlich keine bleibenden Ausdrucksformen.

Am 9. Juli 1899 erhielt Georg Ernst Hinzpeter (1827-1908) in Bielefeld überraschend ein Telegramm aus dem dänischen Søholt. Absender war sein ehemaliger Zögling, der seit 1889 als Kaiser Wilhelm II. regierte und sich mit der Yacht „Hohenzollern“ auf einer seiner berühmten Nordlandreisen befand. Angekündigt wurde die Schenkung eines Bronzeabgusses, der „hervorragend gelungenen Statue des großen Kurfürsten für die Siegesallee“, die er am 13. Juni 1899 in Prof. Fritz Schapers (1841-1919) Atelier in Berlin gesehen hatte. Mit dieser Schenkung gedachte der Kaiser sich für den freundlichen Empfang in Bielefeld 1897 zu revanchieren. Eigentlich hatte der vormalige Prinzenerzieher Hinzpeter beim Kaiser nur die Aufhängung einer Erinnerungstafel an dieses Ereignis angeregt, die mit der ungleich großzügigeren kaiserlichen Gabe aber in den Hintergrund rückte. Schon drei Tage später bedankte sich Oberbürgermeister Gerhard Bunnemann (1842-1925) artig für das opulente Geschenk, das einen in der Stadt schon lange gehegten Wunsch nach einem Denkmal für Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg (1620-1688) erfülle, womit der Zauber der kaiserlichen Initiative freilich etwas verloren ging.
Der zweite Teil des kaiserlichen Telegramms sorgte für innenpolitisches Befremden und mediale Aufmerksamkeit. Seine Geschenkankündigung hatte der Monarch mit der abschließenden Bemerkung garniert, dass das Denkmal des Großen Kurfürsten „Mahnzeichen“ bleiben solle, „daß gleich wie in diesem Ahn, auch in mir ein unbeugsamer Wille ist, den einmal als richtig erkannten Weg allem Widerstand zum Trotz unbeirrt weiterzugehen.“ Der vollständige Wortlaut wurde reichsweit in Zeitungen publiziert und die zitierte Passage unterschiedlich interpretiert. Überwiegend wurde sie als energischer bis drohender Hinweis auf die vom Kaiser forcierte „Zuchthausvorlage“ gedeutet, die Gefängnis- oder Zuchthausstrafen für Streikende vorsah, wenn sie Arbeitswillige zum Ausstand oder in die Gewerkschaft drängten. Mit diesem eingebrachten „Gesetz zum Schutze des gewerblichen Arbeitsverhältnisses“ wollte Wilhelm II. den wachsenden Einfluss der Sozialdemokratie endgültig schwächen. Die Vorlage scheiterte allerdings im Reichstag krachend.
Eine posthum erschienene Biographie über den kaiserlichen Freund und Berater Philipp Fürst zu Eulenburg und Hertefeld (1847-1921) zitiert dazu dessen Brieftagebücher: „Es ist mir unerfindlich, weshalb der Kaiser den Ton lautschallender Energie bei Gelegenheit eines Denkmals des Großen Kurfürsten anschlagen muß, und weshalb Hinzpeter die Depesche veröffentlicht hat.“ Aufgeschreckt sprach Eulenburg den Monarchen auf der jährlichen Nordlandreise am 14. Juli 1899 direkt an, dass dessen frühere „Vorsicht und Selbstbeherrschung“ in der Tradition des ungebrochen verankerten „Bismarckismus“ weiterhin notwendig sei. Der kaiserlichen Replik, dass er sich unangefochten fühle, begegnete Eulenburg mit deutlichen Verweisen auf den Einfluss der öffentlichen Meinung im Falle einer „Zwangslage“ wie beispielsweise eines Regierungsrücktritts oder nicht undenkbaren Forderungen nach einer „Abdankung oder Entmündigung des Kaisers“! Eulenburg sprach bald darauf gar von „der Bombe des Bielefelder Telegrammes“ und ergänzte an anderer Stelle, dass die kaiserliche Kamarilla die dazu erschienenen Zeitungsartikel bespreche und „Glossen [Bemerkungen] über die von hier aus abgesandte Bielefelder Depesche mache“: Das „ganze Gefolge an Bord der Hohenzollern schüttele verständnislos den Kopf“. Eulenburg schrieb seinerzeit an den damaligen Staatsekretär im Auswärtigen Amt und späteren Reichskanzler Bernhard von Bülow (1849-1929) über den Kaiser: „Er gehört nicht in unser Zeitalter […] und wir steuern der Zeit entgegen, wo eine Entscheidung kommen wird, ob die Epoche oder der Kaiser stärker sein wird. Ich fürchte, daß er unterliegt […].“ Zu einer Entmündigung kam es nie, zu einer Abdankung erst 1918, aber die Denkmal-Ankündigung für Bielefeld hatte 1899 unerwartet weite Kreise gezogen.
Hiervon unberührt nahmen die Vorbereitungen in Bielefeld eine ausgesprochene Dynamik an, denn der Bildhauer Schaper besuchte schon am 19. Juli 1899 die Sparrenburg, zeigte sich von der „Schönheit des Burghofes“ sehr erfreut und stufte ihn für eine Denkmalaufstellung als „sehr geeignet“ ein. Angesichts der örtlichen Verhältnisse schlug er ein 2,5 Meter hohes Steinpostament vor, auf dem eine ebenso hohe Bronzestatue zu platzieren war. Es sollte sich um eine Reproduktion der geplanten Marmorstatue für die Berliner Siegesallee handeln, die schließlich 32 Figuren von Hohenzollern-Herrschern zwischen 1165 und 1888 vereinigte.

Nachdem der in dieser Phase wiederholt martialisch auftretende Wilhelm II. eine erste Version des Großen Kurfürsten in Feldherrn-Pose bemerkenswerterweise noch abgelehnt hatte, wurde an der Siegesallee in Berlin erst am 30. März 1901 die Friedensfürst-Statue mit zwei flankierenden Büsten enthüllt. Die Bielefelder konnten es somit als ein Privileg ansehen, bereits vorab eine Bronzeskulptur präsentieren zu dürfen. Für 18.000 Mark aus der kaiserlichen Schatulle übernahm die Firma H. Gladenbeck & Sohn in Friedrichshagen bei Berlin den Guss, die bis 1913 weitere Abgüsse für Emden, Breslau, Fehrbellin und Pillau (heute Baltijsk, Russland) lieferte. Letztere Statue befindet sich seit 1955 in Pillaus Patenstadt Eckernförde. Am 16. Juni 1900 stand das Postament auf dem Burghof, zwei Tage später wurde die Statue montiert, aber das ganze Denkmal zunächst eingerüstet, um es vor neugierigen Blicken zu schützen.
Hinter der Hülle zeigte die ausgeführte Statue Kurfürst Friedrich Wilhelm ohne Harnisch als Friedensfürsten im Hofkostüm, der sich an einen Eichenstumpf lehnt. Mit der rechten Hand stützt er sich unauffällig auf einen nach hinten ausgestellten Gehstock, die linke hält neben dem Degen die Handschuhe, eine Schärpe überspannt den unten offenen Uniformrock. Auf der linken Brust prangt ein repräsentativer Sternorden, bei dem es sich nicht um den Schwarzer-Adler-Orden mit der Devise „Suum cuique“ handeln kann, den erst sein Nachfolger Kurfürst Friedrich III. 1701 am Vortag seiner Krönung zum preußischen König Friedrich I. stiftete. Die sprießenden Eichenschößlinge hinter der Statue sollten auf „die zukünftige politische Bedeutung Preußens für das Deutsche Reich“ (Lehnert 1998) anspielen. Beim in Versalien in das Postament geschlagenen „DOMINE, FAC ME SCIRE VIAM, – QUAM AMBULEM“ (Herr, lass mich den Weg wissen, den ich gehen werde.) handelt es sich um den Wahlspruch Friedrich Wilhelms, der aus Psalm 143,8 stammt und den er bereits 1639 als 19-Jähriger in ein Stammbuch schrieb und beibehielt.
Kurz vor der Einweihungsfeier gab sich Schaper, der von Dezember 1899 bis ins nächste Frühjahr hinein noch wegen Depressionen in einem Sanatorium behandelt worden war, unzufrieden mit der Ausführung der Inschrift auf der Plinthe (Sockel), die sein Schüler Ludwig Manzel (1858-1936) ausgeführt hatte. Ausweislich ihm vorliegender Fotos waren die Buchstaben kaum lesbar, weshalb er dringend und erfolgreich die von ihm gewünschte Vergoldung herzustellen anmahnte.
Die Kunstwelt bewertete Schapers Werk uneinheitlich. Eine 1902 publizierte Gesamtwürdigung der 1901 errichteten Figuren der Siegesallee billigte den meisten Statuen – darunter Schapers „Großer Kurfürst“ – zu, „voll Vornehmheit“ dazustehen. Noch weiter ging die nationalliberale Zeitschrift „Die Grenzboten“ 1901: „Das Standbild ist meisterlich gelungen.“ Kritischer und derber fielen dagegen Stimmen zum Gesamtensemble der Siegesallee aus. Entsetzt urteilte der Architekturkritiker Karl Scheffler (1869-1951) Anfang 1901: „dekoratives Unding“ – „Panoptikum“ – „patriotische, schauderhaft verstimmte Blechmusik“. Allerdings erschien diese Kritik vor der Einweihung des Schaper-Beitrags in Berlin, dessen Bielefelder Kopie Scheffler also nicht zur Kenntnis genommen hatte. Mutig prognostizierte Scheffler dennoch für den ansonsten durchaus geschätzten Schaper: „An diese Aufgabe, die seiner Art ganz widerspricht, muß er mit Seufzen gegangen sein und es läßt sich bestimmt vorhersagen, daß er schmählich entgleisen wird. Von seinem guten Geschmack aber hätte man am Ehesten den Verzicht erwarten dürfen.“
Monarchenreden und Dynastentode
Die zwei Wochen vor der Enthüllung des Denkmals waren von wiederholten Änderungen der Terminplanung geprägt, denen Verwaltung und Öffentlichkeit in Bielefeld mit großem Aufwand untertänigst folgten. Noch am 26. Juli 1900 bestätigte das kaiserliche Ober-Hofmarschall-Amt in Berlin mit entsprechend datiertem Programm den 5. August, den die Verwaltung direkt an die Presse weitergab und auf 750 Einladungskarten drucken ließ. Doch dann überschlugen sich die Ereignisse: Eine barbarische Ansprache und zwei Todesfälle bestimmten den kaiserlichen und den städtischen Kalender und elektrisierten die Medien.

Wenige Tage vor seiner Bielefeld-Visite weilte Wilhelm II., dessen Nordlandreise eigentlich bis zum 6. August hätte dauern sollen, in Bremerhaven. Dort hielt er am 27. Juli 1900 anlässlich der Einschiffung deutscher Kontingente nach China die berüchtigte „Hunnenrede“, als welche der sozialdemokratische „Vorwärts“ sie schon zwei Tage später bezeichnete. Die Verbände sollten als Teil eines internationalen Expeditionskorps, an dem auch die USA, Russland, Japan, Italien, Österreich-Ungarn, Großbritannien und Frankreich beteiligt waren, den antikolonialen „Boxer“-Aufstand niederschlagen.
Die in mehreren Varianten überlieferte Rede wurde in Teilen der deutschsprachigen Presse, vor allem aber im Ausland kritisch kommentiert, da einige Passagen („Pardon wird nicht gegeben! Gefangene werden nicht gemacht! Wer euch in die Hände fällt, sei euch verfallen!“) allen diplomatischen Regeln widersprachen, eine unmissverständlich rassistisch-brachial-koloniale Attitüde ausstrahlten und vor allem jüngsten kriegsrechtlichen Konventionen zuwiderliefen. Das Deutsche Reich hatte die Haager Landkriegsordnung von 1899, die den Krieg zu regulieren und seine Folgen einzuhegen versuchte, wesentlich unterstützt und gehörte zu den 25 Erstunterzeichner-Staaten. Dass Deutschland erst am 4. September 1900 (China gar erst 2023), also nach der Rede, ratifizierte, war völkerrechtlich ein zu enges Schlupfloch für die martialischen Drohgebärden des Kaisers. Es waren inhumane Ankündigungen eines sich gern als Kulturnation zeigenden Deutsches Reiches, das seit 1871 keinen Krieg mehr gegen einen anderen Staat geführt hatte und dessen Oberhaupt gemeinhin als Friedenskaiser galt und dies in der Öffentlichkeit, die die Kolonialkriege dabei überwiegend ausblendete, noch bis 1914 weitgehend blieb. Die Hunnenrede wurde nachfolgend zur Chiffre wilhelminischer Weltgeltungssucht.

Der gelegentlich auch als „Reisekaiser“ oder „Redekaiser“ verspottete Monarch verabschiedete in Bremerhaven in den Folgetagen wortreich weitere Kontingente nach China. Zu den Einheiten, die am 2. August 1900 mit dem Dampfer „Rhein“ verschifft wurden, gehörte auch der nach dem Ersten Weltkrieg nach Bielefeld gezogene Arzt Dr. Albert Esselbrügge (1868-1958). Er schrieb in sein Tagebuch: „Nur ein Teil der Herren hört die kaiserl. Ansprache (Unbewaffnete schonen, aber rücksichtslos gegen bewaffnete Feinde vorgehen. Beste Mittel gegen Seekrankheit, kalter Sekt. Adieu, meine Herren).“ Quellenkritisch muss angemerkt werden, dass Esselbrügges Tagebuch offensichtlich nachträglich in Reinschrift gebracht wurde, also auch Ergänzungen zu den täglichen Notizen enthalten kann. Ein Oberleutnant Willy Triebig gab die Rede präziser wider: „[…] seien Sie schonungslos gegenüber denjenigen, welche Ihnen mit der Waffe entgegentreten. Vergessen sie nicht, dass Sie [es] mit einem verschlagenen Gegner zu thun haben […]. Der Chinese ist ein Teufel.“ Esselbrügge kam in seinem Tagebuch am 16. September 1901 auf die „Hunnenrede“ zurück, was für eine Verwertung späterer Informationen spricht: „Als der Kaiser den Truppen vor ihrer Ausreise nach China zurief ´wenn Ihr an den Feind kommt, so wisset, Pardon wird nicht gegeben´ erhielt er kurz zuvor ein Telegramm mit der Meldung, daß der bei Tientsin verwundete Lt. Friedrich des Seebataillons von den Boxern verstümmelt (Gliedmaßen ausgelöst, Genitalien in den Mund gesteckt) aufgefunden wurde. Die Chinesen glauben, daß den Verstümmelten Eintritt in den Himmel verwehrt wird.“ Es handelte sich um den bei Tientsin am 23. Juni 1900 gefallenen Leutnant Friedrich vom 3. Seebataillon, dessen enthaupteter Leichnam nach dem Gefecht aufgefunden wurde. Die umgehenden Versuche der kaiserlichen Kamarilla durch geglättete Textvarianten die Deutungshoheit über die Rede zurückzugewinnen scheiterten ebenso wie die einer unkritischen kaisertreuen Presse, die kleine, aber sinnentstellende Ergänzungen („Pardon wird euch nicht gegeben!“) vornahm. Ihren Ausgang fand die „Euch“-Variante in der Morgenausgabe der Kölnischen Zeitung v. 28. Juli 1900, die Abendausgabe erschien ohne das verfälschende „euch“.
Die Terminfindung für Bielefeld hing vollends von den Planungen des Kaisers ab, der in Bremerhaven weiterhin Verbände nach China verabschiedete, dann aber vorzeitig nach Kassel-Wilhelmshöhe abreisen musste. Ausschlaggebend war nicht das Attentat auf den italienischen König Umberto I., der am 29. Juli 1900 in Monza erschossen worden war und am 9. August 1900 in Rom beigesetzt werden sollte, sondern vielmehr der Tod von Herzog Alfred von Sachsen-Coburg und Gotha am 30. Juli 1900. Wilhelm II. und Alfred waren miteinander verwandt, was angesichts der bekanntermaßen biologisch beengten Heiratspolitik des europäischen Hochadels kaum überraschen muss: Alfred war ein Sohn Queen Victorias und damit ein Bruder der Mutter von Wilhelm II., also sein Onkel. Vorzeitig verließ der Kaiser Bremerhaven am 3. August in Richtung Kassel-Wilhelmshöhe, um am Folgetag zur Beerdigung nach Coburg zu fahren.

Über Wochen war der 5. August für die Denkmaleinweihung in Bielefeld avisiert worden, am 1. August jedoch hieß es aufgrund der Coburger Ereignisse um 12.55 Uhr, dass es der 4. August werden sollte, 55 Minuten später dagegen wurde der 6. August angekündigt, bei dem es schließlich blieb, trotz kurzzeitiger Gerüchte um eine vollständige Absage wegen Sicherheitsbedenken nach dem Attentat von Monza. Als wäre es nicht genug, waren inmitten der Aufregungen auch noch Befindlichkeiten zu klären: Der Bildhauer Fritz Schaper meldete sich zur Monatswende, dass ihm bislang keine Einladung vorläge, und erbat eine städtische Anfrage bei den Protokollverantwortlichen in Berlin, „ob die Anwesenheit des Künstlers […] erwünscht wäre“, was wohl eher als Ausdruck einer Verschnupfung zu verstehen war. Nach erneutem hin und her zwischen Berlin und Bielefeld lud Bunnemann den Bildhauer ein – und der Kaiser auch.
Der große Tag
In einer medial aufgeheizten und familiär eingetrübten Atmosphäre reiste der Monarch mit Kaiserin Auguste Viktoria auf Umwegen nach Bielefeld. Vom Hauptbahnhof aus ritt er in Paradeuniform zum Sparenberg, die Kaiserin folgte per Kutsche, begleitet von einer Kürassier-Eskorte. Über die Düppelstraße (heute Herbert-Hinnendahl-Straße), die Herforder Straße und den Niederwall mit damaligem Neumarkt ging es über die Ulmenstraße und die Kreuzstraße steil hinauf zur Burg. Die Stadt hatte die Anwohner ermuntert, „ihrer Freude über den Besuch Ihrer Kaiserlichen Majestäten“ durch festliche Ausschmückung Ausdruck zu verleihen, was voraussetzte, dass auch alle erfreut waren. Schulen, Vereine und Bevölkerung standen manierlich und überwiegend wohl auch begeistert Spalier – andere blieben lieber gleich zuhause.

Empfangen wurde die Gesellschaft auf der Sparrenburg vom versammelten Bielefelder Establishment bestehend aus Stadtverordneten und Magistratsmitgliedern, Unternehmern, kirchlichen und schulischen Vertretern, Militärs sowie höheren Beamten samt Oberpräsident und Landeshauptmann aus Münster, Regierungspräsident aus Minden und Landrat, allen voran aber der Gastgeber Oberbürgermeister Bunnemann mit Amtskette. Auf der städtischen Ehrengästeliste fehlten Vertreter von Gewerkschaften und anderen Arbeiterverbänden, aber auch Namen wie August Oetker, dessen Geschäft offensichtlich noch nicht bedeutsam genug war. Eine Ehrenformation des Garnisonsregiments Nr. 55 und eine Militärkapelle rahmten den Anlass akkurat, eine im vermeintlichen Stil des 17. Jahrhunderts gekleidete Fußgruppe folkloristisch und 1.000 Posaunenbläser musikalisch. Der Ablauf folgte dem festgelegten Protokoll: Blumenübergabe – Aufsagen eines Gedichts von Frida Schanz (1859-1944) – Reden – Enthüllung – „Hurra!“ – Eichenpflanzung – Abrücken zum Kaffeetrinken bei Hinzpeter.
Die Rede von „Willem Zwo“ wurde von der überörtlichen Presse aufgrund eines Agenturberichts einheitlich als eine „ungewöhnlich lange“ dargestellt und als unauffällig bewertet: „Besonders bedeutsame politische Aeußerungen enthielt die Rede nicht.“ Es scheint fast so, dass der Kaiser der medial überwiegend negativ aufgenommenen Bremerhavener Rede, vielleicht auch durch seine Berater beeinflusst, in Bielefeld eine weitgehend unverdächtige folgen ließ. Tatsächlich hielt sich der Kaiser in seiner aus dem Sattel gehaltenen Ansprache ganz wesentlich an den Leistungen seines Vorfahren auf, der ein darniederliegendes Kurfürstentum einschließlich seiner Nebenlande nach den Verheerungen des Dreißigjährigen Krieges wirtschaftlich wiederaufgerichtet, durch Zuzug peupliert, im Mächtekonzert behauptet und für Größeres vorbereitet habe: „So schnell bauen sich Weltreiche nicht auf. Aber den Grund- und Eckstein hat er dazu gelegt. […] Mir ist es vielleicht vergönnt, den Teil seines Traumes auszuführen, […] den Weg zur See. Was der Große Kurfürst nur angedeutet und begonnen hat, das vermögen wir jetzt im Großen aufnehmen, weil wir ein geeintes, großes deutsches Vaterland haben.“

Der Kaiser spielte hier möglicherweise auch auf das kurzzeitige Kolonialexperiment Brandenburg-Preußens zwischen 1683 und 1721 an, das die inzwischen angestrebte „Weltgeltung“ argumentativ auch historisch grundieren sollte. „Unsere Zukunft liegt auf dem Wasser“, hatte der Kaiser 1898 in Stettin ausgerufen und damit dem forcierten Ausbau der bewaffneten Seemacht (Flottengesetze von 1898 und 1900) und nebenher auch dem Kolonienerwerb seit 1879/84 das Wort geredet. Mit dem im 17. Jahrhundert gelegten „Grund- und Eckstein“ des Großen Kurfürsten schien das Deutsche Reich unter der Herrschaft der Hohenzollern auf dem Sprung zur angestrebten, aber verhängnisvollen „Weltgeltung“ zu sein, wurde aber das Gefühl permanenter Gefährdung und Instabilität im Mächtekonzert nie so recht los, was auch in das Debakel von 1918 führte. Der „zurückgezogen in Bielefeld lebende“ Hinzpeter wird übrigens zu den „schlimmsten Anstiftern der kaiserlichen Weltmachtträume“ gezählt (Röhl, 2001).
Diese durch koloniale Erfolge stimulierte Hybris gipfelte in Bielefeld in einer eher beiläufig daherkommenden Bemerkung zum jüngsten Auslandseinsatz, dass „der Arm des deutschen Kaisers auch bis in die entferntesten Teile der Welt reicht.“ Dieser über die ansonsten die Rede prägende national-borussische Attitüde hinausreichende Halbsatz war im Verhältnis zur Bremerhavener Rede deutlich abgeschwächt, blieb weitgehend unbemerkt und damit auch zumeist unkommentiert.
Sogar die Bielefelder „Volkswacht“ billigte der Bielefelder Rede einen vergleichsweise milden Tenor zu, die auf die Übertragung von Vergangenem auf die Gegenwart verzichtet habe, denn durch eine solche Inanspruchnahme der Geschichte „können dann solche Auslassungen entstehen, wie sie in der Bremerhavener Rede enthalten sind. Ueber diese ist ja das jedenfalls das letzte Wort noch nicht gesprochen worden. In der gestrigen Bielefelder Rede finden sich solche Auffassungen nicht. […] Und damit nehmen wir Abschied von dieser Kaiserrede, wir brauchen nicht wieder auf sie zurückzukommen.“ Des Kaisers Worte auf dem Sparenberg waren ein ungleich schwächeres Echo der säbelrasselnden Bremerhavener Rede, die nur für aufmerksame Zuhörer nachhallen konnte.

Wie die „Volkswacht“ über den Kaiserbesuch berichtete, war ein kaum ummäntelter journalistischer Balanceakt zwischen karikierender Kritik und frecher Respektlosigkeit einerseits und loyal anmutender Lokalberichterstattung, aber presserechtlich nicht zu beanstanden: Nach Missbilligung des angeordneten arbeitsfreien Tages ohne Lohnausgleich, einer vollständigen Wiedergabe der Kaiserrede samt kurzer Kommentierung, Erwähnung des Hinzpeter-Kaffees und verschiedener Ordensverleihungen an Bielefelder schloss der Artikel süffisant: „Dies ist es etwa, was wir an wichtigem und Unwichtigem über den Kaiserbesuch zu berichten hätten. Mag sich ein Jeder heraussuchen, was er für wichtig oder unwichtig dabei hält.“
Die von Bunnemann gesprochene Begrüßung war erwartbar untertänigst, zugleich aber lokalpatriotisch gut dosiert selbstbewusst ausgefallen, als er dem Sparenberg eine vom Großen Kurfürsten gegebene „weltgeschichtliche Bedeutung“ attestierte, die die Forschung indes bis dato noch immer sucht. Ungeklärt, ob innen- oder außenpolitisch gemeint, bleibt der Hintergrund seiner ernsteren Worte: „Wie dereinst der Grosse Kurfürst, so sind jetzt Eure Majestät von Schwierigkeit und Kämpfen aller Art umgeben, es gilt wie damals die Machtstellung im Kreise der Völker zu wahren, mit gutem Rechte und starker Hand sich wehren nach allen Seiten.“ Es ist nicht überliefert, ob der Kaiser mit diesen Worten durchweg einverstanden war.
Das Denkmal im Bild und in Debatten
Überdimensioniert, wie so vieles in jenen Tagen, gab eine zeitgenössische Ansichtskarte das neue Denkmal wieder, wobei unklar bleibt, ob mit dieser monumentalen Darstellung touristische Effekte stimuliert oder der Beiname „Großer“ betont werden sollte oder ob es sich um einen simplen Verkaufstrick handelte. Pose und Position sind indes korrekt ausgeführt. Statt der tatsächlichen 4,90 Meter suggeriert die Karte eine Höhe von mehr als 15 Metern. Zum Vergleich: Der benachbarte Turm reckt sich nur 31,465 Meter in die Höhe, wie Messungen 2020 überraschend belegten.

Ähnlich monumental und zugleich exklusiv präsentiert sich der am 6. August 1900 gezeigte Stadt- und Bürgerstolz noch heute im Alten Rathaus. Im früheren Magistratssitzungszimmer, späteren Kleinen Ratssaal und heutigen Nahariyaraum hängt ein (mit umlaufendem, 5,5 cm breitem Rahmen) 413 x 295 cm messendes Großgemälde des auf Historienmalerei spezialisierten Malers und Illustrators William Pape (1859-1920) aus Berlin, das die Denkmalenthüllung zeigt. Gestiftet haben es für 1.200 Reichsmark die Bielefelder Verlagsbuchhändler Johannes Klasing (1846-1927) und Wilhelm Velhagen (1850-1910). Es entstand 1902/03 auf Grundlage eines Fotos, aber auch einer Temperaskizze des für Velhagen & Klasing wiederholt engagierten Johannes Gehrts (1855-1921) kombiniert mit Einzelporträts, für das die wiedergegebenen Persönlichkeiten eigens in Papes Atelier im Berliner Reichstag zu reisen oder im Sommer 1903 in Bielefeld Porträt zu stehen hatten.
Etwas versteckt hinter einer Gardine im Nahariyaraum hilft heute eine Bildlegende, die abgebildeten Persönlichkeiten zu identifizieren. Es ist eine Art Bielefelder „Who is who“ der Jahrhundertwende, eine Auswahl wiederum aus 650 geladenen Gästen (immerhin etwa 1 % der Wohnbevölkerung), die sich aus der protokollarisch festgelegten Aufstellungsordnung des Einweihungstages ergab. Die Auswahlkriterien sind nicht bekannt, aber der Schwerpunkt dieses „Inner Circle“ liegt auf Unternehmern, Militärs, Mandatsträgern und Beamten, kaum Geistlichkeit und Lehrerschaft; Frauen waren – jenseits der Kaiserin und ihrer Hofdamen – mit ein paar Kindern Teil einer historisierend gekleideten Staffage der Ergebenheitsmenge. Wer abgebildet war, durfte sich dennoch privilegiert fühlen.

Zeitgenössische Aufnahmen belegen Abweichungen des Gemäldes vom tatsächlichen Geschehen, dem sehr viel mehr Menschen beiwohnten als vom Künstler wiedergegeben. So stehen auf einem offiziellen Foto von Gustav Haeyn-Wilms (1863-1910) hinter Wilhelm II. auch zwei Stenographen, die die Reden mitschrieben, vor ihnen sitzt eine Person, bei der es sich um den Illustrator Johannes Gehrts bei der Skizzenarbeit handeln kann. Auffällig ist auch das Fehlen des kaiserlichen Stallmeisters auf dem Gemälde, der das Pferd ruhig hielt und damit zum einen die prominent besetzte Kulisse störte, zum anderen nicht so recht in das erwünschte Abbild eines souverän auftretenden Kaisers zu passen schien.
Übergeben wurde das in einem vormals vergoldeten Eichenrahmen eingefasste und heute schmucklos-nüchtern gerahmte Gemälde am 1. Juli 1904, als der westfälische Städtetag noch vor der offiziellen Einweihung des Alten Rathauses in Bielefeld tagte. Von einer ebenfalls an diesem Tag im Rathaus präsentierten Bielefelder Stadtansicht Papes fehlt bislang jede Spur. Das aufgrund seiner Anbringung über der Tür als „Supraporte“ bezeichnete Gemälde ist nur einmal fotografisch dokumentiert. Die Volkswacht bezeichnete Papes Einweihungsgemälde am 29. August 1908 übrigens als „großen Schinken“, womit wohl vor allem der kaiserliche Anlassgeber indirekt geschmäht werden sollten.

Erst nach dem Untergang des Kaisertums 1918 gerieten die verschiedenen Huldigungen der Hohenzollern und ihres Handelns im Stadtgebiet in den politischen Fokus. Im August 1922 beantragte die SPD-Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung auf Basis einer Verfügung des preußischen Innenministers – kein geringerer als Carl Severing (1875-1952) aus Bielefeld – die ausreichende Beschaffung von Schwarz-Rot-Goldenen-Flaggen, die Umbenennung von Straßen und die „Entfernung monarchistischer Hoheitszeichen und Sinnbilder an den Außenseiten und im Innern sämtlicher kommunalen Dienstgebäude […] vorzunehmen. Desgleichen sind zu entfernen: alle Bilder, Büsten und Statuen und sonstige Darstellungen des früheren preußischen und anderen bundesstaatlichen Monarchen“ sowie von deren Familienangehörigen, Heerführern oder Schlachten.
In der Antragsbegründung verwies Karl Oster (1879-1937) für seine Fraktion am 23. August 1922 auf die „Feinde der Republik“, die sich durch diese Darstellungen animiert fühlten: „Es ist einwandfrei festzustellen, daß die alten Bilder das alte System verherrlichen und die Republik herunterzusetzen suchen.“ Ausdrücklich verwies er auf Gemälde der Militärs Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff, regte im Übrigen aber Einzelfallprüfungen an. Damit trafen die Sozialdemokraten den Nerv der konservativ-bürgerlichen Presse und Parlamentarier, die die Vorstöße als „Bildersturm“ diffamierten. Für die Demokratische Partei verwies Carl Jockusch (1875-1950) darauf, dass dann auch das Denkmal „Der Große Kurfürst“ auf der Sparrenburg zu entfernen sei, und stützte seine Kritik an einer derartigen „Bilderstürmerei“ mit weiterhin gängigen, aber deshalb nicht immer stichhaltigen Argumenten: „Das geht zu weit. Man kann die Geschichte und die Erinnerungen daran nicht auslöschen.“ Von einer heute üblichen Kontextualisierung war damals nie die Rede. Jockusch übersah allerdings, dass die ministerielle Verfügung sich nur auf Wilhelm II., seine Frau, Geschwister und Kinder bezog, nicht auf dessen Vorfahren. Die Versammlung nahm den SPD-Antrag hinsichtlich der Flaggen einstimmig, die Gemälde und Denkmäler betreffend aber nur mit den Stimmen der Sozialdemokraten mehrheitlich an, die anderen konservativ-bürgerlichen Mandatsträger stimmten dagegen. Das eigentlich gegebene Patt in der Versammlung war durch urlaubsbedingte Abwesenheiten zugunsten der Sozialdemokraten aufgehoben, ein heute übliches Pairing unbekannt.

Einzelne Änderungen können rekonstruiert werden – so wurde auf Veranlassung der Stadt (Beschluss des Magistrats bereits am 21. August 1922) der Kaiser-Wilhelm-Platz endlich wieder zum Kesselbrink, nachdem schon die erste Umbenennung nach dem Monarchen auch von Bürgerlichen kritisiert worden war. Zusätzlich war die Büste Wilhelms II. im Großen Ratssaal durch eine Ehrentafel für die Weltkriegsgefallenen aus der Verwaltung ersetzt worden. Die daneben hängenden Gemälde seiner Vorgänger blieben dagegen zunächst im Ratssaal hängen. Ende November 1922 sprachen Stadtverordnete noch einmal den Sachstand zu Straßenumbenennungen an, zu denen die Verwaltung eigentlich längst eine Liste hätte vorlegen sollen. Oberbürgermeister Dr. Rudolf Stapenhorst (1864-1944) verwies diese Frage an den Magistrat und stellte lapidar fest: „Ich kann nicht anerkennen, daß die Umbenennungen unbedingt notwendig sind.“ In der Folge versickerte die Umbenennungsfrage im Gestrüpp der Verwaltung, vielleicht auch in den Aufregungen der Inflation und geriet politisch bis 1933/1945 aus dem Blick. Erst 1948 gelangte dieses Thema mit erneuten Debatten und bekannten Argumenten wieder auf die Agenda.
Unangetastet blieben stets der „Große Kurfürst“ auf der Sparrenburg und Papes Einweihungsgemälde im Rathaus. Denkmal und Bildnis blieben erhalten, erinnern heute aber nicht mehr an Kurfürstentaten und Kaisertage, sondern kommen dekorativ daher und vor Ort bislang ohne größere Erklärungen der Hintergründe aus. Keine drei Stunden hatte der Kaiseraufenthalt in Bielefeld am 6. August 1900 gedauert und war mit aufwendigen Vorbereitungen, aufregenden Verschiebungen, innenpolitischen und sogar internationalen Verwerfungen verbunden. Das ist längst Geschichte, an die Monument und Gemälde in ihrer heutigen Darstellung kaum erinnern.
Quellen
- Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 107,4/Kunsthalle, Nr. 109: Sparrenburg, (1947) 1954-1956; Enthält u.a.: Angebot einer Tempera-Skizze von Johannes Gehrts (Einweihung des Denkmals Großer Kurfürst)
- Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 108,2/Magistratsbauamt, Nr. 94,1: Denkmäler, Brunnen, Wettersäule und Sternwarte, 1900-1964: Enthält u.a.: Denkmal des Großen Kurfürsten auf der Sparrenburg
- Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 108,2/Magistratsbauamt, Nr. 434: Errichtung und Einweihung des Denkmals des Großen Kurfürsten auf der Sparrenburg, 1899-1908
- Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 108,7/Hochbauamt, Nr. 120: Fotos und Beschreibungen diverser Denkmäler, 1972
- Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 140/Protokolle, Nr. 14: Stadtverordnetenversammlung, 1920-1930
- Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 140/Protokolle, Nr. 40: Magistrat, 1922
- Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 140/Protokolle, Nr. 41: Magistrat, 1923
- Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 300,6/Autographen, Nr. 697: Friedrich Georg William Pape (Berlin) an Oberbürgermeister Gerhard Bunnemann (Bielefeld), 1903 Dezember 6
- Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 300,7/Kleine Erwerbungen, Nr. 80: Einladung des Malers William Pape (Berlin) an Otto Delius (Bielefeld) in das Atelier im Berliner Reichstag zur Porträtanfertigung für das Gemälde „Einweihung des Denkmals Großer Kurfürst“ im Alten Rathaus, 1902
- Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 300,10/Sammlung Militärgeschichte, Nr. 342: Kriegstagebuch des Dr. Albert Esselbrügge (1868-1958), 1900-1932
- Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,2/Zeitungen,
- Nr. 5: Bielefelder General-Anzeiger v. 21.12.1900
- Nr. 6: Westfälische Neueste Nachrichten v. 24.8.1922, 30.11.1922 u. 4.9.1924
- Nr. 20: Neue Westfälische Volks-Zeitung v. 8.8.1900
- Nr. 39: Volkswacht v. 7.8.1900, 5.8.1922, 29.9.1908 u. 30.11.1922
- Nr. 41: Der Wächter v. 7.8.1900
- 400,10/Zeitgeschichtliche Sammlung, Nr. 8678: Einladungskarte zur Einweihung des Denkmals „Der Große Kurfürst“, 1900
- Zeitungsrecherchelisten:
- „Hinzpeter Telegramm“ im Abstand von bis zu 10 Wörtern, Zeitraum 09.07.-31.07.1899: https://zeitpunkt.nrw/search?query=%28dc.date%3D09.07.1899-31.07.1899%29+and+vl.fulltext%3D%28″Hinzpeter+Telegramm“~10%29+and+vl.domain%3D%28zdiginrw%29+sortBy+dc.date&truncate=on&operation=searchRetrieve&vlsearch_sortBy=dc.date&index1=dc.title&bool1=and&index2=bib.originPlace&bool2=and&index3=dc.date&term3=09.07.1899&bool3=and&index4=dc.date-to&term4=31.07.1899&bool4=and&vlFulltext=“Hinzpeter+Telegramm“~10
Literatur
- Caspar, Helmut (Hg.), Die Beine der Hohenzollern, interpretiert an Standbildern der Siegesallee in Primaneraufsätzen aus dem Jahre 1901, versehen mit Randbemerkungen Seiner Majestät Kaiser Wilhelm II., Berlin 2001
- Clark, Christopher, Preußen. Aufstieg und Niedergang 1600-1947, München 2007
- Die Siegesallee und ihr bildnerischer Schmuck, in: Die Grenzboten – Zeitschrift für Politik, Litteratur und Kunst 60 (1901), S. 377-390 u. 424-437
- Flaskamp, Franz, Inschriften, Wappen, Hausmarken und Steinmetzzeichen der Gräflich-Ravensberger Landeshauptstadt Bielefeld (Quellen und Forschungen zur Natur und Geschichte des Kreises Wiedenbrück, Heft 55), Wiedenbrück 1940
- Fricke, Wilhelm, Der große Kurfürst auf der Sparrenburg. Festschrift zur Enthüllungsfeier des Denkmals des Großen Kurfürsten am 6. August 1900 (= ders., Bielefelds Sparrenburg und ihre Geschichte, Bielefeld 1888)
- Haller, Johannes, Aus dem Leben des Fürsten Philipp zu Eulenburg-Hertefeld, Berlin 1924
- Jahres-Bericht über den Stand und die Verwaltung der Gemeinde-Angelegenheiten der Stadt Bielefeld für das Jahr 1900/01, Bielefeld 1902, S. 117-120 (URL)
- Jahres-Bericht über den Stand und die Verwaltung der Gemeinde-Angelegenheiten der Stadt Bielefeld für das Jahr 1904, Bielefeld 1905, S. 61, 155 u. 161 (URL)
- Kaiser-Besuch in Bielefeld am 6. August 1900, in: 15. Jahresbericht des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg (1901), S. 185-195 (= WZ. v. 7.8.1900)
- Kießhauer, Inge und Rolf, Bronzenes für Deutschland aus den Gladenbeckschen Gießereien 1851 bis ca. 1926, Teil III: Der Westen (Nordrhein-Westfalen, Bremen, Niedersachsen) (Friedrichshagener Hefte 57,3), Berlin 2008
- Lehnert, Uta, Der Kaiser und die Siegesallee. Réclame Royale, Berlin 1998
- Obst, Michael A., Die politischen Reden Kaiser Wilhelms II: Eine Auswahl, Paderborn 2011
- Penzler, Johannes, Die Reden Kaiser Wilhelms II. in den Jahren 1896-1900, 2. Teil, Leipzig 1903
- Röhl, John C.G., Wilhelm II., Bd. 2: Der Aufbau der Persönlichen Monarchie, 1888-1900, München 2001 (Wilhelm II: The Kaiser’s Personal Monarchy, 1888-1900, Cambridge 2004)
- Scheffler, Karl, Die Siegesallee, in: Die Zukunft 34 (1901), S. 492-502 (auszugsweiser Wiederabdruck in Dortmunder Zeitung v. 29.3.1901)
- Schumacher, Fritz, Die Denkmäler des Jahres, in: Jahrbuch der Bildenden Kunst 1902, S. 39-43
- Simson, Jutta von, Fritz Schaper 1841-1919, München 1976
- Sösemann, Bernd, Die sog. Hunnenrede Wilhelms II. Textkritische und interpretatorische Bemerkungen zur Ansprache des Kaisers vom 27. Juli 1900 in Bremerhaven, in: Historische Zeitschrift 222 (1976), S. 342–358
- Vogelsang, Reinhard, Bielefeld, Ravensberg und Preußen. Zwei Vorträge, in: 98. Jahresbericht des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg (2013), S. 57-88
- Wixforth, Harald, Die Sparrenburg – ein identitätsbildendes Wahrzeichen für Bielefeld? in: Ravensberger Blätter 2006, Heft 1, S. 52-63
- Wittenauer, Volker, Im Dienste der Macht: Kultur und Sprache am Hof der Hohenzollern. Vom Großen Kurfürsten bis zu Wilhelm II., Paderborn2007
- Wünsche, Dietlind, Feldpostbriefe aus China. Wahrnehmungs- und Deutungsmuster deutscher Soldaten zur Zeit des Boxeraufstandes 1900/01, Berlin 2008, hier S. 451 f.

