• Dr. Jochen Rath, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek •
Als die Bürgermeister Bielefelds Ende 1647 die Nachricht aus Kleve lasen, durften sie zufrieden sein. Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg war auf die untertänigsten Bitten der Stadtoberen eingegangen und hatte die Rechtsprechungsverhältnisse weitgehend bestätigt. Bielefeld erreichte nach politisch turbulenten und kriegerischen Zeiten wieder sichere Verhältnisse. Die Stadt hatte während des Dreißigjährigen Kriegs zwar Einquartierungen und Kontributionen erlebt, konnte aber die finanziellen Einbußen verhältnismäßig gut verkraften.

Bielefeld war als Teil der Grafschaft Ravensberg im Gefolge des jülich-klevischen Erbfolgestreites zu Kurbrandenburg gekommen. Am 25. März 1609 verstarb in geistiger Umnachtung Herzog Johann Wilhelm von Kleve-Jülich-Berg erbenlos. Um die Nachfolge entbrannte ein Erbfolgestreit, der sich im Zusammenhang mit den konfessionspolitischen Aufladungen im Vorfeld des Dreißigjährigen Krieges zu einer Krise, ja fast zum erwarteten großen Konfessionenkrieg auswuchs, der freilich erst 1618 ausbrechen sollte. Die beiden Hauptprätendenten auf das Erbe, der reformierte Johann Sigismund von Brandenburg und der katholische Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg einigten sich im Juli 1609 auf eine Gemeinschaftsregierung, um ein Eingreifen des Kaisers zu verhindern, der den Vertrag aber nicht anerkannte.
1614 verständigten sich die beiden „Possidierenden“ im Vertrag von Xanten auf die territoriale Trennung der Verwaltung: Brandenburg verwaltete Kleve-Mark und die Grafschaft Ravensberg, Pfalz-Neuburg dagegen Jülich-Berg. 1630 wiederum erklärten beide Häuser die Grafschaft Ravensberg zum gemeinsamen Besitz, legten aber aus praktischen Gründen fest, dass Pfalz-Neuburg die Ämter Sparrenberg, Vlotho und Limberg, Brandenburg dagegen das Amt Ravensberg verwaltete. Am 10. April 1647 schließlich einigten sich Brandenburg und Pfalz-Neuburg in Düsseldorf auf einen Vergleich, dem zufolge die Grafschaft Ravensberg an Brandenburg fallen sollte.

Im Vorfeld dieser Einigung hatten Bielefelds Bürgermeister und Rat beim Kurfürsten ein Papier eingereicht, das die Bestätigung etlicher Vorrechte beantragte. Ein Regierungs- oder ein Herrscherwechsel war willkommener Anlass, das politische Gefüge neu zu verhandeln. Die obligatorische Huldigung der Untertanen war sowohl ein symbolischer als auch ein politischer Akt. Die in der Frühen Neuzeit geltende Devise „Getreuer Herr, getreuer Knecht“ besagte nichts anderes, als dass auch der Herrscher verpflichtet war, seine Verpflichtungen gegenüber den Untertanen anzuerkennen, insbesondere indem er deren Privilegien bestätigte, um anschließend die Huldigung anzunehmen. Ansatzpunkte, das Verhältnis zwischen Landesherr und Landstadt neu auszutarieren, gab es etliche in der Frühen Neuzeit: Autonomie der Ratswahl, Erlass städtischer Statuten, Religionsverhältnisse, Bündnispolitik, Militär- und Finanzhoheit, Inanspruchnahme städtischer Immobilien einschließlich der Pflege der Befestigung sowie insbesondere die Rechtsprechungsskompetenzen.
Auf die städtischen Einlassungen von Anfang 1647 erklärte sich der Landesherr zunächst hinhaltend. Gleichwohl hatte Kurfürst Friedrich Wilhelm bereits Anfang März 1647 in Kleve die Rechte der ravensbergischen Landstände anerkannt, darunter insbesondere das umstrittene Indigenat, das die entscheidenden Positionen in der landesherrlichen Verwaltung in Ravensberg den in der Grafschaft Geborenen vorbehielt. Und am 6. April 1647 bestätigte er, wie gewünscht, das Privileg Bielefelds, in der Fastenzeit wöchentlich dienstags einen Markt u.a. für den Pferdehandel abzuhalten. Die weiteren Punkte blieben aber zunächst unbehandelt.

Die förmliche Übergabe Bielefelds erfolgte am 20. April 1647 an den von weiteren Gesandten begleiteten kurfürstlichen Vertreter Konrad von Burgsdorf. Bielefelds Bürgerschaft hatte ihre Rüstung angelegt und auf dem Wall zwischen Niederntor und Renteipforte Aufstellung genommen, um den hohen Besuch angemessen zu empfangen. Der Magistrat begrüßte die Gesandten anschließend im Renteihof. Während seines Aufenthaltes in Bielefeld bestätigte Burgsdorf die Beibehaltung der Religionsverhältnisse von 1612, so dass die seit 1554 lutherische Stadt weder gegenreformatorische noch nachhaltige reformierte Maßnahmen fürchten brauchte. Erst nach dieser Zusicherung huldigte die Stadt dem neuen Landesherrn.
Als der Kurfürst in der Grafschaft eine Kanzlei und Regierung einrichtete, reichten städtische Vertreter im Sommer 1647 beim Kurfürsten eine Denkschrift mit 21 Punkten ein, die es zu verhandeln galt. Bürgermeister und Rat Bielefelds befürchteten landesherrliche Eingriffe in die kommunalen Freiheitsrechte, jetzt insbesondere die Kompetenzen der städtischen Gerichtsbarkeit, die über Jahrhunderte hinweg erstritten, erkauft und zäh verhandelt worden waren. Der Kurfürst erbat sich Bedenkzeit und vertröstete die Stadt im August 1647 auf einen persönlichen Besuch in der Grafschaft.

Dass Friedrich Wilhelm bereit war, wenn nötig energisch Fakten zu schaffen, bewies er bald darauf in Herford, das danach strebte, freie Reichsstadt zu werden: Im September 1647 besetzten brandenburgische Truppen die Stadt, am 6. Dezember 1647 nötigte der Kurfürst dem Rat in einen Provisionalvertrag zur Anerkennung der landesherrlichen Rechte ab. Wenige Jahre später endeten die reichsstädtischen Träume Herfords genauso endgültig wie nachfolgend die von Münster (1661), Erfurt (1664), Magdeburg (1666) und Braunschweig (1671), deren mittelalterlichen Autonomierelikte eingeebnet wurden.
Umso wertvoller schien im Dezember 1647 die weitgehende Anerkennung der städtischen Privilegien in Rechtsprechungsangelegenheiten. Der Kurfürst kam jetzt den Forderungen der Stadt entgegen, sie bei „ihren Privilegien, Gerechtigkeiten und observantien, alten gebräuchen, gewohnheiten und Statuten, Iure primae Instantiae über ihre Mittbürger und Einwohner“ zu belassen, wie es die Bestätigung schließlich formulierte.
Zum Auftakt anerkannte der Kurfürst die erstinstanzliche und eingriffsfreie Zuständigkeit des Bielefelder Stadtgerichts über ihre Mitbürger und Einwohner, nicht jedoch über die Adelshöfe in der Stadt, was der Magistrat im Sommer noch gewünscht hatte. Punkt für Punkt arbeitete die Urkunde danach die städtischen Forderungen zu den Rechtsprechungskompetenzen ab: Zur „verhütung muthwilligen disputirens und Zanckens, undt damit die Parteyen sich in keine unnöthige Kosten untereinander führen“, bestätigte der Kurfürst die 1578 zugestandene Einführung eines Streitwerts für Appellationen an höhere Gerichte und erhöhte diesen für die Anrufung der Ravensbergischen Kanzlei und des Hofgerichts in Zivilsachen, wie gewünscht, auf 100 Reichstaler.

Festgestellte Übeltäter durfte die Stadt weiterhin in ihrem Rechtsraum, d.h. auch in der vorgelagerten Feldmark, festnehmen und befragen. Verhängte Geldstrafen und –bußen fielen jeweils hälftig an die Stadt und den Landesherrn. Urteile mit Leib- und Lebensstrafen waren wie bisher der Ravensbergischen Regierung zur Ratifizierung vorzulegen. 2.000 Reichstaler musste die Stadt zahlen, um die Jurisdiktion in einer bis zu den Wehrtürmen der Stadt-Landwehr reichenden Zone auszuüben. Weiter sollte der Stadt des Recht „in Criminal, Leib: undt Lebenßstraff“ grundsätzlich zwar verbleiben, inner- und außerhalb Bielefelds und der Feldmark verübte Straftaten ihrer Bürger und Einwohner zu verfolgen und zu ahnden, allerdings mit der Einschränkung, dass bei Leib- und Todesstrafen wie bisher die Ravensbergische Kanzlei gegenzuzeichnen hatte. Zusätzliche regelte das Privileg die Ehegerichtsbarkeit.
Formal bestätigte die Urkunde von 1647 die Freiheiten und Vorrechte Bielefelds, gleichwohl waren etliche Punkte strittig und wurden in den Folgejahren verhandelt – nicht immer zugunsten der Stadt. Kurfürstliche Eingriffe in die städtische Selbstverwaltung, in Handel und Gewerbe, Kirchen- und Schulwesen, Steuererhebung und Finanzhoheit, Nutzung städtischer Bauten sowie insbesondere die städtische Gerichtsbarkeit mussten hingenommen werden. Im Vergleich zu anderen Konflikten zwischen Landesherren und Landstädten in Niederdeutschland nach 1648 vollzog sich der endgültige Übergang Bielefelds in den kurbrandenburgischen Territorialstaat jedoch weitaus weniger spektakulär.
Quellen
- Bestand 100,1/Urkunden, Nr. 510: Friedrich Wilhelm, Kurfürst von Brandenburg, bestätigt die Rechtsprechungs-Privilegien der Stadt Bielefeld (Ausfertigung), 1647 April 21
- Bestand 100,2/Ältere Akten, Nr. 452: Friedrich Wilhelm, Kurfürst von Brandenburg, bestätigt das 1542 durch Herzog Wilhelm von Jülich-Kleve-Berg verliehene städtische Privileg der Abhaltung eines wöchentlichen Markttages in der Fastenzeit (Abschrift), 1647
- Bestand 300,5/Handschriften, gebunden, Nr. 85: Gerichtsbarkeit der Stadt Bielefeld, 1523-1708
- Bestand 400,11/Graphische Sammlung, Nr. 19: Ansicht Bielefelds (Stich), Anfang 17. Jahrhundert
- Bestand 400,11/Graphische Sammlung, Nr. 46: Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg; Stich, 1688/1721
Literatur
- Burkardt, Johannes, Minden und Ravensberg: Zwei nordwestfälische Territorien unter der Herrschaft des Großen Kurfürsten, in: Michael Kaiser/Michael Rohrschneider (Hg.), Membra unius capitis. Studien zu Herrschaftsauffassungen und Regierungspraxis in Kurbrandenburg (1640-1688) (Forschungen zur brandenburgischen und preußischen Geschichte Neue Folge, Beiheft 7), Berlin 2005, S. 121-145
- Culemann, Ernst Albrecht Friedrich, Ravensbergische Merckwürdigkeiten, 3. Teil, Minden 1752 (online)
- Niemann, Ursula, Die Besitzergreifung der Stadt Bielefeld und des Amtes Sparrenberg für Brandenburg im Jahre 1647, in: Ravensberger Blätter 52 (1952), S. 209-211
- Opgenoorth, Ernst, Friedrich Wilhelm – der Große Kurfürst von Brandenburg. Eine politische Biographie, Erster Teil: 1620-1660, Göttingen 1971
- Vogelsang, Reinhard, Bielefeld, Herford und Lemgo – drei Landstädte im Staat der frühen Neuzeit, in: 88. Jahresbericht des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg (2002/2003), S. 51-78
- Weddigen, Theodor, Die freien Höfe und Häuser, die Exempten oder Eximirten, in: 10. Jahresbericht des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg (1895), S. 25-56
Erstveröffentlichung: 01.12.2007
Hinweis zur Zitation:
Rath, Jochen, 21. Dezember 1647: Kurfürst Friedrich Wilhelm bestätigt Privilegien Bielefelds, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld,
https://historischer-rueckklick-bielefeld.com/2007/12/01/01122007/, Bielefeld 2007