23. Mai 1618: Prager Fenstersturz – Bielefeld im Dreißigjährigen Krieg

• Dr. Jochen Rath, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek •

 

Als protestantische böhmische Adelige, die ihre verbürgte Religionsfreiheit vom Kaiser verletzt sahen, am 23. Mai 1618 zwei kaiserlich-katholische Gesandte samt ihrem Sekretär vom Prager Hradschin „defenestrierten“, ahnte niemand, dass dieses der Auftakt für 30 Jahre Krieg sein sollte. Fünf Jahre sollten vergehen, bis der Konflikt in seiner 2. Phase als dänisch-niedersächsischer Krieg mit ernsteren Folgen in der – eigentlich neutralen – Grafschaft Ravensberg mit Bielefeld ankam. Für die Stadt schlug er sich danach vor allem im Wechsel militärischer Besatzungen nieder, als sich mal die eine, mal die andere Partei auf dem Sparenberg festsetzen konnte. Bis 1648 sollten protestantische und katholische Territorien und ihre jeweiligen Unterstützer um die Hegemonie im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation ringen, um Macht und Einfluss und auch, aber nicht immer vorrangig, um Religion.

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Der berühmte Tropfen: Böhmische Protestanten beförderten kaiserliche Gesandte samt Sekretär aus dem Hradschin-Fenster. Deren Überleben sicherte ein Misthaufen (so die Protestanten), hilfreiche Engel (Katholiken) oder geringe Fallhöhe; Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld, Theatrum Europaeum, Bd. 1, S. 16

Der seit der Reformation schwelende Konflikt zwischen katholischen und protestantischen Reichsständen strebte Anfang des 17. Jahrhunderts einer Entladung zu. Am 25. März 1609 verstarb Herzog Johann Wilhelm von Kleve, Jülich und Berg, der auch die Grafschaft Ravensberg regierte, erbenlos. Das Aussterben des Herrscherhauses, dessen Territorien im Rheinland, einer politischen „Wetterecke“, und auch in Westfalen lagen, zog besondere Aufmerksamkeit auf sich: Mögliche Erben, vor allem Pfalz-Neuburg und Kurbrandenburg, meldeten Ansprüche an und erhielten je nach konfessioneller Ausrichtung Unterstützung vom Kaiser, von den Reichsständen und vom interessierten benachbarten Ausland (Frankreich, Niederlande, Spanien). Die rheinischen Teile des Herzogtums nämlich lagen im strategisch wichtigen Korridor, der den Zugang in die seit 1568 um Unabhängigkeit von Spanien kämpfenden Niederlande ermöglichte. Die großen Konfliktbeteiligten rüsteten weiter auf, ehe mit Heinrich IV. von Frankreich im Mai 1610 ein entscheidender Akteur ermordet und der Streit danach entschärft wurde. Die Hauptprätendenten versuchten durch Konfessionswechsel (Johann Sigismund von Brandenburg wurde 1613 reformiert, Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg im Folgejahr katholisch) ihre Position zu verbessern, dennoch verständigten sich die beiden „Possidierenden” 1614 auf die territoriale Trennung der Verwaltung: Brandenburg übernahm dabei Kleve-Mark und Ravensberg, Pfalz-Neuburg dagegen Jülich-Berg. Mitten im Dreißigjährigen Krieg wurde die Grafschaft Ravensberg wiederum 1630 zum gemeinsamen Besitz erklärt, wobei eine Verwaltungsteilung vorgenommen wurde, indem Pfalz-Neuburg die Ämter Sparrenberg, Vlotho und Limberg übernahm, Brandenburg das Amt Ravensberg.

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Die Sparrenburg erlebte während des Dreißigjährigen Krieges wechselnde Besatzungen; Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,11/Graphische Sammlung, Nr. 318: Schloss Sparenberg bey Bielefeld von der Südseite, 1802

Truppendurchzüge und -werbungen hatte es in Ravensberg bereits vor 1618 gegeben, so z. B. 1615 als die Niederländer mit einem 7.000-Mann-Heer die endgültige Aufgabe der Belagerung Braunschweigs durch dessen Landesherrn erzwangen. Jetzt aber wurden diese zur Regelmäßigkeit und rigoroser: Schillers „Der Krieg ernährt den Krieg“, das er in seinem „Wallenstein“ einem kroatischen Reitergeneral in den Mund legte, umschreibt die Methode sehr gut, dass sich die kopfstarken Heere aus dem Land ernährten, das sie besetzten oder durchzogen. Eine Armee mit 40.000 Soldaten verzehrte täglich 800 Zentner Brot, 400 Zentner Fleisch (= 100 Ochsen) und 120.000 Liter Bier. Begleitet wurde dieses Heer von einem Tross aus Familie, Nachschub und anderen „Angespülten“, die ebenfalls zu versorgen war, sowie etwa 25.000 Stück Vieh. Diese Dimensionen erreichten die Kriegsdurchzüge durch die Grafschaft Ravensberg samt Bielefeld zwar nicht, aber sie vermitteln, auf die jeweiligen Größenordnungen runtergebrochen, einen Eindruck, was es bedeutete, fremde Garnisonen und durchmarschierende Truppen zusätzlich versorgen zu müssen. Dem regierenden Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm (1578-1653) gelang es lange Zeit, eine Neutralität zu wahren und halbwegs durchzusetzen, so dass die schlimmsten Exzesse vermieden werden konnten.

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Sternenkonstellationen oder Wolkengebilde galten als Omen für politische Ereignisse. Der 1618 mehrere Wochen sichtbare Komet wurde als Vorzeichen für einen drohenden Krieg gedeutet, den Dreißigjährigen Krieg; Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld, Theatrum Europaeum, Bd. 1, S. 101

Anfang 1623 fanden die ersten größeren Truppendurchzüge in Ravensberg statt. Der „Tolle“ Christian (II.) von Braunschweig-Wolfenbüttel (1599-1626), der seinen Beinamen nicht aus ehrlicher Bewunderung heraus erhielt, sondern wohl aus einer Mischung zugeschriebener Wildheit und Tollkühnheit, erschien auf seinem Weg in die Niederlande mit einem protestantischen Heer bei Vlotho und erhob massive Kontributionen von den Ämtern und Städten, darunter Bielefeld. Ergänzt wurden diese Geldzahlungen bis in den Sommer hinein durch Plünderungen von Feldern und Vieh. Vor dem heranrückenden Liga-Generalissimus Johann T’Serclaes von Tilly (1559-1632) wich Christian wie geplant Richtung Niederlande aus, wurde aber kurz vor der Grenze bei Stadtlohn mit 15.000 Mann von der stärkeren Armee Tillys gestellt und, trotz strategisch günstiger Position, am 6. August 1623 vernichtend geschlagen. Tillys Truppen hatten zuvor die Grafschaft Ravensberg kaum besser behandelt.

Im September 1623 rollte die nächste Plünderungswelle Richtung Bielefeld, Brackwede und Heepen, als Einheiten der katholisch-ligistischen Armee, die Lippstadt belagerten, immer wieder die Nachbarterritorien heimsuchten. Bielefeld wandte sich am 24. September 1623 Hilfe suchend an den brandenburgischen Kurfürsten Georg Wilhelm (1595-1640), der allerdings weit entfernt und nicht in der Lage war, wirksam einzugreifen. Nachdem Johann III. von Rietberg (1566-1625) Lippstadt für die Liga erobert hatte, wandte er sich der Sparrenburg zu. Nach kaum 14-tägiger und eher verhalten aggressiver Belagerung gab Burgkommandant Wilhelm de Viry, dem der Ruf vorauseilte, dass er „nicht beißen und standhalten“ werde, tatsächlich auf. Sparrenburg und Bielefeld fielen in die Hand der Liga, bald darauf übernahmen Verbündete aus Spanien. Deren Kommandant, Henri d´Orsinfaing, erarbeitete sich in den nächsten Jahren einen unschönen Ruf. Mit 150 Mann lag der auf dem Sparenberg, 60 Mann sicherten Vlotho, der Rest der Truppe war in Bielefeld untergebracht. Eine Anordnung Ambrosio Spinolas (1569-1630) sollte die spanischen Soldaten disziplinieren, exzessive Plünderungen und Schlimmeres verhindern. Die „Spanische Furie“ von 1576, als in Antwerpen 8. – 10.000 Einwohner von spanischen Söldnern niedergemetzelt worden waren, sollte sich nicht wiederholen. Kommandant d´Orsinfaing handelte mit den Landständen Schutzgeldzahlungen aus, forderte aber bald erhöhte Abgaben und ließ sich dabei auch nicht von Anordnungen seiner Vorgesetzten schrecken. Seine Drohungen machte er bald wahr, ließ zuweilen Beamte und Landadlige inhaftieren, um die Forderungen zu erpressen.

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Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm (1578-1653) steuerte lange Zeit erfolgreich einen Neutralitätskurs und konnte da-mit zwar nicht wechselnde Besetzungen, aber schlimmsten Exzesse in der Grafschaft Ravensberg vermeiden; Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,11/Graphische Sammlung, Nr. 23

Die spanisch-ligistische Besatzung hielt sich bis 1625 problemlos, geriet aber militärisch unter Druck als zusehends mehr spanische Kontingente aus Westfalen abgezogen wurden, um die Belagerung des niederländischen Breda zu unterstützen. Diese Schwächung nutzten die Kontrahenten unter dem Kommando des Obersts Walram von Gent, die Herford und Bielefeld besetzten. Dabei setzte er eine List ein, indem er Soldaten in Frauenkleidern in die Stadt entsandte, die nachts die Tore öffneten. Nach der Einnahme Bielefelds begann er mit Unterstützung von Landvolk unter dem Befehl Rembert von Kerssenbrock auf Brinkes eine Belagerung der Sparrenburg, deren strategischer Wert aber bald auch von Tilly erkannt wurde. Seit jeher nämlich sicherte die Sparrenburg den Bielefelder Pass: „Nachdem ich erkannt, daß Bielefeld ein wichtiger Paß, habe ich mich dessen mit dem Bergschlosse Sparenberg versichert am 28. Juni, die dort liegende spanische Besatzung, von dem holländischen Obersten Gent belagert, litt bereits Not.“ Mehrere Tausend Soldaten entsetzten die eingeschlossenen Truppen, die regulären niederländischen Kontingente konnten sich absetzen, die Bauern jedoch traf die Rache des ligistischen Entsatzheeres aus Plünderung, Kugeln und kaltem Stahl: „die bauren […] weggeschlagen, und einigen bauren, so sie gefangen bekommen, nasen und ohren abgeschnitten“.

In den folgenden Jahren wurden ligistische Einheiten in der Grafschaft einquartiert und aus dem Land versorgt. Übergriffe waren ebenso untersagt wie üblich – die permanente Wiederholung der Verbote sind das Indiz, dass sie nicht befolgt wurden. Gleichzeitig durchstreiften niederländische Kleinstkontingente das Gebiet und belasteten vor allem die Landbevölkerung. Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg (1578-1653) schrieb seinen ravensbergischen Untertanen vor, dass sie „Tag- und Nachtwachen aufstellen, die Päß und Büsche zu öfteren Malen visitieren und durchstreifen, die herrenlosen Gesindlein sowohl als andern widerwärtigen Parteien mit Fleiß nachstellen, dieselben bester Ordnung verfolgen, […] sie auf Betreten ohne eigen Scheu tätlich niederlegen oder sonst sich deren […] bemächtigen“. Geholfen hatte auch diese Anordnung kaum. Die Plünderungen gingen kaum vermindert weiter. Zu allem Überfluss wurde die Garnison in Bielefeld im Februar 1630 aufgestockt, als 200 Mann aus Tillys Armee eintrafen und das spanische Kontingent ergänzten.

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Bei Stadtlohn erlitt der „tolle Christian“ von Braunschweig-Wolfenbüttel mit seinem protestantischen Heer durch den Katholiken Tilly am 6. August 1623 eine vernichtende Niederlage. Trotz strategisch günstiger Position verlor er zwei Drittel seiner 15.00 Söldner; Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld, The-atrum Europaeum, Bd. 1, zw. S. 746 u. 747

Der auf Neutralität und Schonung pochende Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm wurde deshalb beim Regensburger Kurfürstentag vorstellig, der ab Juli 1630 tagte. Für Kaiser Ferdinand (1578-1637) hatte dieser unter günstigen Vorzeichen begonnen, denn das Kriegsglück schien sich ihm und der katholische Sache zugewandt zu haben. Kaum waren die Gesandten versammelt, landete der Schwedenkönig Gustav Adolf (1594-1632) in Pommern und warf sich in den folgenden Jahren für den Protestantismus in das Schlachtengetümmel. Unter Druck gewährte der, auch den katholischen Fürsten zu mächtig werdende, Kaiser zahlreiche Konzessionen, darunter eine Absprache der Konfliktparteien, ihre Truppen u. a. aus der Grafschaft Ravensberg abzuziehen und damit die Neutralität Pfalz-Neuburgs bis auf Weiteres anzuerkennen. Das ligistische Regiment Blankhart gab die Sparrenburg auf und schleifte vereinbarungsgemäß kleinere Festungsanbauten. Zwei Jahre wurde der Status respektiert, dann fanden wieder Einquartierungen statt: 1632 Gottfried Heinrich Graf zu Pappenheim (Liga), der in Westfalen im Rücken der schwedischen Armee operierte, seine Truppenpräsenz aber nach einem Einspruch Wolfgang Wilhelms drosselte. Gleichwohl bestimmte er Bielefeld wegen seiner günstigen strategischen Lage im Sommer 1632 wieder zum Sammelpunkt von 10 Reiterregimentern, was einer Sollstärke von 10.000 Kavalleristen entsprach. Angesichts dieser Dimensionen protestierte die Stadt mit Verweis auf landesherrliche Neutralitätserklärungen. Pappenheim verdächtigte die Ritterschaft und Untertanen der Grafschaft der Parteilichkeit zugunsten der Schweden und belegte Ravensberg bald mit größeren Kontingenten, darunter drei Infanteriekompanien in Bielefeld. In der Folgezeit fand wiederholt ein Geschacher um die Einquartierungen statt, die entweder mit unkalkulierbaren Risiken in der Grafschaft selbst stattfanden oder durch Geldzahlungen an Nachbarterritorien (Lippe) abgewendet werden konnten.

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Reiche Ernte hielt der skelettierte Sensenmann während der Pestepidemie 1636 in Bielefeld unabhängig von Stand und Herkunft (symbolisiert durch den Kurfürstenmantel und Bauernkittel). Wolff Ernst Aleman bediente sich für die Illustration in seiner Ravensberg-Chronik bei Johann Michael Dilherrs (1604-1669) „Augen- und Hertzens-Lust“ von 1661; Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 300,5/Handschriften, gebunden, Nr. 81, Bd. 1

Die erste Kriegshälfte hatte die Grafschaft Ravensberg davon profitiert, dass nahezu ausschließlich ligistische Truppen aufgenommen werden mussten, Gefechte aber kaum stattfanden. Ravensberg war überwiegend von katholischen Territorien (Münster, Paderborn, Osnabrück) umgeben, ligistische Truppen hielten den Weserbogen. Damit sollte 1633 Schluss sein. Vom Fürstbistum Osnabrück fiel Anfang März ein in schwedischen und braunschweigischen Diensten stehender Verband in Ravensberg ein, besetzte zuerst Herford und am 7. März 1633 Bielefeld.  Später kamen hessische Truppen hinzu. Insgesamt rund 13.000 Soldaten. Die Übergabe der Sparrenburg verweigerte der Drost Matthias von Wendt allerdings, da er eine Zustimmung seines Landesherrn benötigte. Für die Verpflegung zweier Regimenter aus schottischen und englischen Söldnern, die die Festung observieren sollten, verlangten die Kommandeure wöchentlich 2.000 Reichstaler von der Stadt. Angesichts knapper Kassen unterstützte die Ritterschaft die Stadt mit eigenen Lieferungen, verlangte aber im Gegenzug, dass die Adelshöfe in Bielefeld von Einquartierungen verschont blieben. Trotz Plünderungsverboten schraubten die Befehlshaber ihre Forderungen weiter in die Höhe, verlangten mehr Geld und Fourage, so dass Bielefeld erneut die Ritterschaft um Unterstützung bitten musste. Erst als sich das Kriegsgeschehen in Richtung Weserbogen bei Rinteln und Hameln verlagerte, wurden die Regimenter abgezogen und Bielefeld für eine Weile entlastet. Nach der Schlacht bei Oldendorf Hessisch am 8. Juli 1633 und der Übergabe Hamelns an die Protestanten wenige Tage später, quartierten sich die Sieger wieder mit Regimentern in Ravensberg ein, davon 3.000 Kavalleristen in Bielefeld. Wie üblich, wurden Kontributionen von Land und Stadt erhoben, mit dem Neutralitätshinweis regelmäßig abgelehnt, aber mit dem Gewaltargument dennoch durchgesetzt.

1633 fand ein kleineres Feuergefecht in Bielefeld statt, als der letztlich erfolglose Verteidiger Hamelns, Oberst Schellhammer die von protestantischen Einheiten unzureichend gedeckte Stadt im Handstreich nahm und sogar die Sparrenburg einnehmen konnte, was, wie so häufig, nicht von langer Dauer war. Denn 1634 rückte ein protestantisches Reiterregiment in Bielefeld ein, die Soldaten waren von den städtischen Bürgern zu verpflegen, indem bis zu drei Haushalte einen Bewaffneten unterhielten. Der am 30. Mai 1635 geschlossene Prager Frieden, den der Kaiser und die katholische Liga mit Kursachsen vereinbarten und den die meisten Reichsstände anschließend ratifizierten, schien bessere Zeiten zu versprechen, allein: Schweden und Frankreich setzten die Kriegshandlungen fort, womit der Kaiser zwar gerechnet, aber auf die Hilfe der befriedeten Reichsstände gesetzt hatte, um die beiden ausländischen Kriegsteilnehmer aus dem Reich zu vertreiben. Die Grafschaft Ravensberg musste unvermindert Einquartierungen und Plünderungen hinnehmen. Im Juli 1635 fielen protestantische Einheiten aus Wiedenbrück u. a. in Brackwede ein, fanden den Ort aber menschenleer vor, selbst in der gewaltsam aufgebrochenen Kirche, die eigentlich als Schutzraum anerkannt war, fanden die Landsknechte niemanden vor. Die Bevölkerung hatte sich, wie der Vogt dem Landdrosten berichtete, wie „unvernünftig Vieh […] in Büsche und Berge verkriechen“ müssen, um zu überleben. Truppen aus Bielefeld dagegen weideten in Heepen und Schildesche mehr als 1.000 Pferde, verheerten die Landfürchte, plünderten und prügelten. Im Frühjahr 1636 drohte der Grafschaft über Tage hinweg erstmalig eine größere Schlacht. Zwischen Herford und Bielefeld lagen zwölf kaiserliche Regimenter (12.000 Mann zuzüglich Tross) einer schwedischen Armee unbekannter Stärke gegenüber. Es blieb bei kleineren Scharmützeln, ehe hessische Kontingente die Schweden verstärkten und einen Abzug der Katholiken erzwangen.

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Kontributionen an einquartierte Einheiten waren üblich. 1644 stellte die Stadt dem Major Anton Dietrich von Ketteler eine Obligation über 600 Reichstaler aus, die sie schwedischen Reiterkompanien seit Herbst 1639 schuldete; Stadtarchiv Bielefeld, Bestand100,1/Urkunden, Nr. 502

Wohl im Gefolge dieser massiven Truppenansammlung erschien vor Bielefeld nach den ersten drei apokalyptischen Reitern (sie symbolisieren Kriegsausbruch, Tod und Hunger) der vierte, der laut der biblischen Offenbarung Krankheit und Niedergang verkündete: „Da sah ich ein fahles Pferd; und der, der auf ihm saß, heißt ´der Tod´; und die Unterwelt zog hinter ihm her. Und ihnen wurde die Macht gegeben über ein Viertel der Erde, Macht, zu töten durch Schwert, Hunger und Tod und durch die Tiere der Erde.“ Die Pest suchte die Stadt heim. Innerhalb weniger Wochen starben rund 350 Menschen, hunderte flohen in das sicherer geglaubte Umland, wo die Infektionsgefahr aufgrund geringerer Bevölkerungsdichte nicht so ausgeprägt schien. Von vormals 3.000 Menschen innerhalb der Stadtmauern, waren kaum 2.000 verblieben. Angesichts der anhaltenden Belastungen schilderte der Rat dem Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm den „elenden Zustand“ und sprach von einem „kontinuirlichen, hochbeschwerlichen Kriegswesen durch die mehr denn 13jährige stetige starke Einquartierung, Contributionen, Exactionen [Abgaben] und kriegerische Pressuren“, die die Stadt in die Verschuldung und zu Veräußerungen von Hab und Gut getrieben hatten, um liquide zu bleiben und die Forderungen zu erfüllen. Investitionen in die „allerends baufällige Stadt“ seien so unmöglich. Jetzt grassiere obendrein die „giftige Seuche der Pestilentz“ in „diesem geringen Städtlein“.

Bis zum Friedensschluss in Münster und Osnabrück 1648 erlebte Bielefeld zwar erneut kleinere Einquartierungen, blieb aber von größeren Heimsuchungen verschont. Am 10. April 1647 einigten sich die Kurbrandenburg und Pfalz-Neuburg, auf einen Vergleich, dem zufolge die Grafschaft Ravensberg an Brandenburg fallen sollte. 14 Tage später besetzten kurbrandenburgische Truppen die Sparrenburg. Eine neue Ära in der Geschichte Bielefelds und der Grafschaft Ravensberg begann, die mit einer kurfürstlichen Privilegienbestätigung am 21. Dezember 1647 einen verheißungsvollen Auftakt nehmen sollte.

 

Quellen

  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 101,1/Urkunden, Nr. 509: Obligation der Stadt Bielefeld für den Oberst Anton Dietrich Ketteler anlässlich des Einfalls schwedischer Truppen; 1644 September 28
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 300,5/Handschriften, gebunden, Nr. 81: Collectanea Ravensbergensia des Wolff Ernst Aleman, (1688) 1691-1725 (1757-1763)
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 300,5/Handschriften, gebunden, Nr. 111: Sammlung von Akten zu Militärsachen, 1647-1711
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,11/Graphische Sammlung, Nr. 318: Schloss Sparenberg bey Bielefeld von der Südseite, 1802
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,11/Graphische Sammlung, Nr. 23: Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm (1578-1653)

Literatur

 

Erstveröffentlichung: 1.5.2018

Hinweis zur Zitation:
Rath, Jochen, 23. Mai 1618: Prager Fenstersturz – Bielefeld im Dreißigjährigen Krieg, https://historischer-rueckklick-bielefeld.com/2018/05/01/01052018, Bielefeld 2018

 

 

 

 

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