25. März 1609: Herzog Johann Wilhelm stirbt erbenlos – Bielefeld erwartet Krieg

• Dr. Jochen Rath, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek •

 

Am 25. März 1609 verstarb in geistiger Umnachtung Herzog Johann Wilhelm von Kleve, Jülich und Berg erbenlos. Die von ihm ebenfalls regierte Grafschaft Ravensberg und mit ihr Bielefeld erwarteten eine neue Landesherrschaft – und Krieg. Es waren im Vorfeld des Dreißigjährigen Krieges „geschwinde Zeiten“, wie die Zeitgenossen sagten, Krisenzeiten eben, politisch und konfessionell, was in jener Zeit nahezu gleichbedeutend war.

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Herzog Johann Wilhelm von Jülich, Kleve und Berg (1562-1609), Stich, 1610; Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,11/Graphische Sammlung, Nr. 30

Das Aussterben des bedeutenden und einflussreichen Herrscherhauses, dessen Territorien in einer politischen „Wetterecke“ im Rheinland und auch in Westfalen lagen, erfuhr in dieser Phase besondere Aufmerksamkeit in beiden konfessionellen Lagern: Mögliche Erben meldeten ihre Ansprüche an, der Kaiser sowie weitere Unterstützer aus dem Reich positionierten sich ebenso wie das benachbarte Ausland, nämlich Frankreich und die seit 1568 um Unabhängigkeit von Spanien ringenden Niederlande. Die rheinischen Teile des Herzogtums lagen nämlich im strategisch bedeutsamen Korridor, der den Zugang in die umkämpften Niederlande ermöglichte. Europa, das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, Ravensberg und auch Bielefeld bereiteten sich auf unruhige Zeiten vor.

Der eigentlich für eine geistliche Laufbahn vorgesehene Johann Wilhelm (*1562) hatte 1593 die Regentschaft angetreten. Seine erste Ehe mit Prinzessin Jakobe von Baden (1558-1597), deren Todesumstände (Mord?) ungeklärt sind, blieb ebenso kinderlos wie die 1599 mit Antonetta von Lothringen (1568-1610) geschlossene. Diese hatte sich angesichts der bereits vor der Verheiratung eingetretenen Krankheit ihres Gatten erfolgreich in die politischen Angelegenheiten des Herzogtums eingebracht, und zwar mit einer prokatholischen Tendenz, was auch für Bielefeld Folgen hatte.

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Nach konfessionellen Spannungen war das Zeughaus am Altstädter Kirchplatz 1608 zur Stadtschule ausgebaut worden, Foto, ca. 1890; Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung, Nr. 11-50-3

In Bielefeld waren die konfessionellen Verhältnisse trotz der 1555/56 erzielten reformatorischen Erfolge Hermann Hamelmanns bedingt offen; 10 % der Bevölkerung waren weiterhin katholischen Bekenntnisses. Diese Offenheit zeigte sich u.a. an der der höheren Schule, die sich auch nach der Übernahme durch die Stadt 1558 wie ihre mittelalterliche Vorgängerin weiterhin im Gebiet des Kanonikerstifts der Neustädter Marienkirche am Papenmarkt befand. Die betont protestantische Ausrichtung dieser Stadtschule führte wiederholt zu Streitigkeiten mit dem mehrheitlich katholischen Stiftskapitel. Die katholische Herzogin unterstützte das Stiftskapitel vehement, so dass das Schulgebäude 1607 geschlossen wurde.

1608 beschloss der Stadtrat deshalb, ein eigenes Schulgebäude zu unterhalten: Der Ausbau des bereits bestehenden Zeughauses am Altstädter Kirchplatz finanzierten z.T. Spenden aus der Bevölkerung und vereinzelt auch aus anderen Städten. Nach der Fertigstellung 1609 war ein Umzug jedoch zunächst nicht mehr notwendig, schließlich war mit Herzog Johann Wilhelm soeben der letzte Landesherr aus dem Haus Jülich-Kleve-Berg verstorben und die Unterstützung durch dessen streng katholische Gattin und nunmehrige Witwe zugunsten des Marienkapitels damit ebenfalls erloschen.

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Im April 1609 stellte Bielefelds Rat erfahrene Militärs als Befehlshaber und Geschützmeister ein; Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 140/Protokolle, Nr. 1

Um die Nachfolge Johann Wilhelms entbrannte ein Erbfolgestreit, der sich im Zusammenhang mit den konfessionspolitischen Aufladungen im Vorfeld des Dreißigjährigen Krieges zu einer Krise, ja fast zum erwarteten großen Konfessionenkrieg auswuchs, der freilich erst 1618 ausbrechen sollte. 1608 hatten sich protestantische Reichsstände in der Union verbündet, im Folgejahr bildeten katholische Landesfürsten wiederum die Liga. Es drohte die militärische Eskalation und Internationalisierung der über Jahrzehnte hinweg gewachsenen Spannungen der konfessionellen Lager.

Auch der Rat Bielefelds ergriff am 6. April 1609 erste Schutzmaßnahmen, „weiln jetziger Zeit uf thodtliches ableben unsers gnedigen Fursten und Hern, Hern Johans Wilhelmen Hertzogen zu Gulig, Cleve, und Berg etc. allerhandt Unruh und thatliche Zusetzunge“ zu befürchten waren. Da „fleißige Ufsicht und Wacht zuhalten“ war und man sich vor „unversehentlichen Uberfal“ schützen wollte, nahm die Stadt Habacuc Vehemeier als „Wachtmeister“ für zwei Monate in ihre Dienste und zahlte ihm monatlich 5 Reichstaler.

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Titel des Buchs von Ernst Nacken „Morgenlicht leuchte!“, 5. Auflage von 1921; Landesgeschichtliche Bibliothek, Sign. D 30 N 2 1

Am 21. April 1609 folgte die Anstellung von Adam Busch aus Ahlen als Geschützmeister („Buchsenmeister“), der sich für zwei Monate verpflichtete, auf Anforderung mit seinem Sohn Peter nach Bielefeld zu kommen, um beim „groben geschutz“ Dienst zu tun. Für diesen Bereitschaftsdienst erhielt er zunächst 5 Reichstaler monatlich als „wartgelt“. Falls er zur Beaufsichtigung des Bielefelder Geschützparks einberufen werden sollte, wollten beide Seiten die Besoldung erneut verhandeln.

„O du armes Land, o Du mein Ravensberg“, ließ Ernst Nacken in seinem 1909 erstaufgelegten Buch „Morgenlicht leuchte!“ einen Akteur ausrufen, als nach dem Tod des Herzogs die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse ins Wanken gerieten. Ganz im Zeichen lokalpatriotisch gefärbter Hohenzollern-Begeisterung anlässlich des 300. Jubiläums der Preußen-Zugehörigkeit hatte Nacken den Herzog auf der Burg Sparenberg statt in Düsseldorf sterben lassen – und dessen Gemahlin kurz zuvor gleich mit. Seinem Romanhelden, dem Leibjäger Johann Kock, legte er die Hoffnung auf die Nachfolge durch die Brandenburger nahe: „Er ahnte, daß damit für das Ravensberger Land die Morgenröte glücklicherer Tage heraufzog.“ Nackens Preußen-Euphorie gipfelte in der Kapiteleinleitung „Im Jahr des Heils 1609! Es regte sich der Flügelschlag einer neuen Zeit. […] Hoffnung zog ins Land. Jeder segnete das Jahr 1609, denn von ihm erwartete man Glück und Frieden, Ordnung und Sicherheit.“ Die historische Wahrheit sah allerdings anders aus als Nackens schriftstellerische Jubiläumstrunkenheit 1909: Es drohte vor allem der große Krieg.

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Die Grafschaft Ravensberg wurde zwischen den Brandenburg und Pfalz-Neuburg wiederholt verwaltungsmäßig geteilt, erst 1647 fiel sie an die Hohenzollern; Karte, 1789; Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,8/Karten und Pläne, Nr. 26

„Wie nun solchergestalt eine grosse Erbschafft vacant war, so fanden sich auch sehr viele Competenten dazu ein“, schrieb 1747 E.A.F. Culemann in seinen „Ravensbergischen Merckwürdigkeiten“. Die beiden Hauptprätendenten um das Erbe waren Lutheraner und erhielten Unterstützung von der protestantischen Union und vom katholischen König Heinrich IV. von Frankreich, der die Macht des Hauses Habsburg im Reich, in den Niederlanden und in Europa zu brechen suchte. Die Erbschaftskandidaten Johann Sigismund von Brandenburg (1572-1619) und Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg (1578-1653) einigten sich im Juni 1609 in Dortmund auf eine Gemeinschaftsregierung, um ein Eingreifen des kaum neutralen Kaisers zu verhindern. Rudolf II. aber erkannte den Vertrag nicht an und bestellte eine kommissarische Regierung, was aber mangels militärischer und politischer Durchsetzungsfähigkeit folgenlos blieb. Im Oktober 1609 bestätigten Kurbrandenburg und Pfalz-Neuburg eine bereits im Juni vereinbarte Gleichstellung beider Konfessionen in den neuen Territorien, was die mehrheitlich evangelischen Landstände Ravensbergs akzeptieren mussten.

Bis 1610 nahmen die Aufrüstungen der Prätendenten und ihrer Unterstützer (Frankreich, Union, England) sowie der Gegenseite (Kaiser, Spanien, Liga) weiter zu, die von Katholiken gehaltene Festung Jülich stand vor der Belagerung, Truppenbewegungen entlang des Rheins folgten, eine Internationalisierung und Eskalation des Konflikts schien kaum noch noch aufzuhalten. In dieser kritischen Phase fiel mit Heinrich IV. von Frankreich am 14. Mai 1610 ein entscheidender Akteur des Erbfolgestreits in Paris einem Attentat zum Opfer. Seine Witwe entschärfte den Konflikt mit Spanien umgehend. Der große Krieg war zunächst abgewendet, auch für Bielefeld: Adam Busch blieb in Ahlen, Habacuc Vehemeiers militärisches Talent kam nicht zum Einsatz.

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Trauergefolge aus der Grafschaft Ravensberg anlässlich der Beisetzung Herzog Johann Wilhelms 1628, aquarellierter Stich (Ausschnitt), 1629; Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,11/Graphische Sammlung, Nr. 239

Gleichwohl gärte es weiter, zumal die beiden lutherischen Prätendenten, begleitet von einer Flut juristischer Darstellungen, ihre Positionen durch Konfessionswechsel zu verbessern suchten: Johann Sigismund von Brandenburg wurde 1613 reformiert, Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg im Folgejahr katholisch. Dennoch verständigten sich die beiden „Possidierenden” 1614 im Vertrag von Xanten auf die territoriale Trennung der Verwaltung: Brandenburg verwaltete Kleve-Mark und Ravensberg, Pfalz-Neuburg dagegen Jülich-Berg. Mitten im Dreißigjährigen Krieg erklärten beide Häuser die Grafschaft Ravensberg wiederum 1630 zum gemeinsamen Besitz, legten aber aus praktischen Gründen fest, dass Pfalz-Neuburg die Ämter Sparrenberg, Vlotho und Limberg, Brandenburg dagegen das Amt Ravensberg verwaltete. Am 10. April 1647 schließlich einigten sich Brandenburg und Pfalz-Neuburg in Düsseldorf auf einen Vergleich, dem zufolge die Grafschaft Ravensberg an Kurbrandenburg fiel. Als 1648 der Westfälische Frieden folgte, schienen die „geschwinden Zeiten“ vorerst beendet.

Und Johann Wilhelm, der 1609 verstorbene Herzog? Sein Bleisarg stand seit seinem Todesjahr in der Hofkapelle des Düsseldorfer Schlosses aufgebahrt. Erst am 30. Oktober 1628 ließ Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg ihn in der Stiftskirche feierlich bestatten. Dem Sarg folgte auch eine Abordnung aus der Grafschaft Ravensberg.

 

Quellen

  • Bestand 100,2/Ältere Akten, Nr. 1: Übergang der Grafschaft Ravensberg an Brandenburg (1609-1633)
  • Bestand 140/Protokolle, Nr. 1: Protokollbuch des Rates (1586-1628)
  • Bestand 300,5/Handschriften, gebunden, Nr. 95: Landesherrliche Edikte, Publicanden (Sammlung) (1293-1712)
  • Bestand 400,3/Fotosammlung, Nr. 11-50-3
  • Bestand 400,8/Karten und Pläne, Nr. 26: Die Grafschaft Ravensberg mit der Abtey Herford [Westphaelischer Atlas, Nr. 281], 1785
  • Bestand 400,11/Graphische Sammlung, Nr. 30: Herzog Johann Wilhelm von Jülich, Kleve und Berg (Stich, 1610)
  • Bestand 400,11/Graphische Sammlung, Nr. 239: Verschriebene aus der Graffschaft Ravensberg. Trauergefolge aus der Grafschaft Ravensberg anlässlich der Beisetzung von Herzog Johann Wilhelm von Jülich, Kleve und Berg 1628 (1629)

Literatur

  • Bielefelder Ratsverhandlungen von 1586-1628, in: 8. Jahresbericht des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg (1891), S. VII-XIV u. 1-42
  • Clark, Christopher, Preußen. Aufstieg und Niedergang 1600-1947, München 2007
  • Culemann, Ernst Albrecht Friedrich, Ravensbergische Merckwürdigkeiten, 1. Teil, Minden 1747
  • Nacken, Ernst, Morgenlicht leuchte!, 5. Aufl., Barmen 1921
  • Nottarp, Hermann, Das katholische Kirchenwesen der Grafschaft Ravensberg im 17. und 18. Jahrhundert (Studien und Quellen zur westfälischen Geschichte, Bd. 2), Paderborn 1961
  • Sensen, Stephan/Eckhard Trox/Maria Perrefort/Gerhard Renda/Veit Veltzke (Hg.), Wir sind Preußen. Die preußischen Kerngebiete in Nordrhein-Westfalen 1609-2009, Essen 2009
  • Tümpel, Hermann Hg.), Minden-Ravensberg unter der Herrschaft der Hohenzollern. Festschrift zur Erinnerung an die dreihundertjährige Zugehörigkeit der Grafschaft Ravensberg zum brandenburg-preußischen Staate, Bielefeld/Leipzig 1909
  • Vogelsang, Reinhard, Bürgerschule und Gelehrtenanstalt – 450 Jahre Gymnasium in Bielefeld, in: Johannes Altenberend/Wolfgang Schröder (Hg.), Deo et literis. Schule mit Geschichte – Schule mit der Zeit, Bielefeld 2008, S. 11-48

 

Erstveröffentlichung: 01.03.2009

Hinweis zur Zitation:
Rath, Jochen, 25. März 1609: Herzog Johann Wilhelm stirbt erbenlos – Bielefeld erwartet Krieg, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld,
https://historischer-rueckklick-bielefeld.com/2009/03/01/01032009/, Bielefeld 2009

 

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