• Søren Bielke, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld •
„Der letzte Akt findet sozusagen bei geschlossenem Vorhang statt.“ Mit diesen Worten beschrieb die Neue Westfälische am 17. Mai 1972 den Abriss einer der beliebtesten Kleinkunstbühnen Deutschlands, welche sich den Veränderungen in der Medienlandschaft, im Besonderen der Entwicklung des Fernsehens zum Leitmedium nicht entgegenstellen konnte: Das „Trocadero“ in Bielefeld
Das Konzerthaus Schreiber: Aufbau durch Carl Schreiber senior
Bereits im Jahr 1895/96 baute August Seeger an der Ecke Oberntorwall/Notpfortenstraße einen großen Konzerthaus-Saal. Das darin eröffnete Varieté konnte sich jedoch nicht lange halten, da die Bielefelder*innen zu diesem Zeitpunkt noch kein großes Interesse zeigten. Die Langenberger Brauerei Gierse & Schütze kaufte daraufhin das Konzerthaus und setzte Carl Schreiber sen. als Geschäftsführer ein, der den Betrieb ab 1907 pachtete. Nachdem Schreiber das Konzerthaus 1920 der Brauerei abkaufte, sollte das „Konzerthaus Schreiber“ als „Unterhaltungstheater für Lustspiele, Operettengastspiele und Vereinsfeste des Gardevereins und des Kavallerievereins“ dienen.

Nach der Eröffnung des Saals 1919 wurden hauptsächlich Vereinsfeste abgehalten. Im Rahmen von Stiftungsfesten zeigten Bielefelder Turner*innen auf der Bühne ihr Können und auch Karneval wurde hier gefeiert. Im Jahr 1926 holte Carl Schreiber sen. seinen Sohn Carl von Düsseldorf nach Bielefeld. Dieser übernahm zusammen mit seinem Bruder Adolf Schreiber die Leitung der Konzerthaus-Künstlerspiele Schreiber und brachte neues Leben in das Haus. Mit der gemeinsamen Führung begann der Aufstieg dieser Varietébühne zu einem der damals aktivsten und größten Häuser dieser Art. Die Inflation war gerade überstanden und in ganz Deutschland florierten Kleinkunstbühnen und Varietés. Das Radio machte seine ersten Gehversuche und an das Fernsehen war noch nicht zu denken. Zu einem der ersten nachdrücklichen Auftritte gehörte ein bayrisches Ensemble mit Trachtengruppe und einer 16 Mann starken Kapelle. Die zu der Zeit größten Künstler*innen wurden verpflichtet und brachten Bielefeld über die Stadtgrenzen hinaus einen guten Ruf.
Der Saal wurde 1928 erstmalig durch einen Umbau vergrößert und verbessert, dank der optimierten Verhältnisse konnte ein ständiges Kabarett eingerichtet werden. Als Erweiterung diente ab dem 30. August 1930 die neu errichtete „Trocadero-Bar“. Wegen des allgemeinen Niedergangs der deutschen Wirtschaft wurde Ende 1931 der große Saal stillgelegt und nur noch als Kleiderablage genutzt.
Die Krone Westdeutschlands: Übernahme durch den Sohn Carl Schreiber
Mit dem Tod von Carl Schreiber sen. am 4. Dezember 1929 übernahmen die Schreiber-Brüder die Leitung vollständig. Nach dem Tod Adolf Schreibers 1933, welcher ab 1931 vorübergehend auch die Corso-Künstlerspiele in der Bahnhofstraße 11 leitete, führte Carl Schreiber das Konzerthaus allein. Nach dem allgemeinen Wirtschaftsaufschwung Mitte der 1930er-Jahre ergriff Schreiber die Initiative. 150 Handwerker machten in fünf Wochen unter der Leitung des Architekten Walter Stopfel Bielefeld um eine Sehenswürdigkeit reicher.

„Wenn die hellen, warmen Sommerabende resigniert in den Herbst hinübergleiten und die Freude glücklicher Ferientage am Alltag langsam abschleift, dann sind die Stunden froher Geselligkeit willkommene Helfer zur guten Laune“. Mit diesen lyrischen Worten kündigte Carl Schreiber die Wiedereröffnung in der Leinenstadt an.
Unter dem neuen Namen „Trocadero“, benannt nach dem „Palais du Trocadéro“, einem historischen Palast in Paris, eröffnete am 30. August 1930 Westdeutschlands größtes und schönstes Kabarett. Nicht ohne Stolz bezeichnete Schreiber das „Troc“ in Programmheften als „Krone Westdeutschlands“. Beeindruckend im umfassend renovierten Saal waren vor allem die in Deutschland einmalige 7×8 Meter große, rotierende Tanzfläche, auf der nach den Vorstellungen getanzt wurde und eine dazu gehörende Pracht-Beleuchtung, die extra für das Trocadero von einem örtlichen Elektriker neu entwickelt wurde.
„Westdeutschlands schönstes Kabarett in Bielefeld eröffnet“ schrieben die Westfälischen Neuesten Nachrichten anlässlich der Neueröffnung. Viele Jahre später gab Schreiber zu, dass zunächst vieles gegen die Bestrebungen sprach, denn „Bielefeld ist nicht unbedingt ein Boden für solche Unternehmungen“. Mit „das Bielefelder Publikum bildet sich selbst“ lieferte er aber auch den Grund dafür, dass er mit seinem Programm keinen extravaganten stadtfremden Kurs steuerte, sondern vor allem auf Volkstümlichkeit setzte.
Geradezu euphorisch berichteten die Westfälischen Neuesten Nachrichten am 4. September 1930 über die Eröffnung des „Trocadero“. Offensichtlich mit Blick auf die am 1. Oktober 1930 wirksam werdenden Eingemeindungen von Schildesche, Sieker und Stieghorst, womit Bielefeld die Marke von 100.000 Einwohner*innen überschreiten sollte, hieß es: „Die Zeichen mehren sich. Es ist nicht mehr zu leugnen, Bielefeld wird wirklich Großstadt! Jetzt haben die Konzerthaus-Künstlerspiele […] einen kühnen Sprung gewagt und eine moderne Tanzdiele geschaffen, die getrost in jeder Metropole stehen könnte.“
Die Künstler*innen traten nachmittags im Umland auf, abends im „Troc“, das als „Signum für die sündige Großstadt“ (Freitag) galt – in Spenge erinnerte sich ein Friseur: „Und wir hatten es ja bequem, wir brauchten nicht nach Bielefeld zum ´Trocadero´. Alles, was Sie sich denken können, war mal hier, Artisten, Sänger, Zauberer, einfach alles.“

Während des Zweiten Weltkriegs bezahlten die Gäste „Korkengeld“ (ein Entgelt, um selbst mitgebrachte Getränke verzehren zu dürfen und so den Gewinnausfall auszugleichen) oder tranken schales Dünnbier. Der Betrieb konnte so bis zum 1. September 1944 aufrechterhalten werden. Nachdem die Decke und weitere Teile des „Troc“ durch Bomben zerstört wurden, konnten Maurer und Stuckateure nur durch Naturalien für die Restaurierung gewonnen werden.
Ab Frühsommer 1945 wurde das Trocadero von der Militärregierung für die Truppenbetreuung beschlagnahmt. Aufgrund des bereits am 1. Mai 1933 erfolgten NSDAP-Eintrittes von Carl Schreiber, dauerte es bis zum 10. Dezember 1945, eine Lizenz zur Wiederaufnahme von der Militärregierung zu erhalten. Hierfür waren Bemühungen bei der Stadtverwaltung und der Besatzungsmacht notwendig; so wurden alle Freitagvorstellungen für britische Truppen reserviert. Am 2. April 1946 konnte das Trocadero wiedereröffnet werden.
Durch die klaren Stellungnahmen für Carl Schreiber der „internationalen Artisten-Loge“ und des „Varieté-Verbandes“ konnten Bedenken beim Düsseldorfer Kultusministerium ausgeräumt werden, so dass die geänderte Lizenzpraxis keine Schwierigkeiten mit sich brachte. Schreibers Tätigkeit unterlag keiner Einschränkung, da er vom Bielefelder Entnazifizierungs-Ausschuss in die Kategorie „V“ (unbelastet) eingestuft wurde.
Für das Trocadero lief es als eines der wenigen Großvarietés in den ersten Jahren hervorragend, sogar zwei tägliche Vorstellungen konnten ab dem 7. April 1946 stattfinden. Die Einnahmen aus Eintrittspreisen im Jahr 1947 betrugen 887.717 RM. Um den hohen Aufwand für die Gagen, die mehr als die Hälfte des durchschnittlichen Monatsumsatzes ausmachten, zu finanzieren, waren die Eintrittspreise recht hoch. Der Besuch eines Tanzgastspiels kostete acht RM. Als es 1948 erstmals wieder Sekt gab, war der Nachholbedarf so groß, dass die Vorräte nicht ausreichten und das „Troc“ den Schaumwein der umliegenden Lebensmittelgeschäfte aufkaufen musste.
Der Artistenvater
Carl Schreiber erfreute sich beim Publikum größter Beliebtheit und wurde von den Künstler*innen als „Artistenvater“ verehrt. Schreiber, dem eine gewisse Ähnlichkeit mit Winston Churchill nachgesagt wurde, stammte aus dem Schaumburg-Lippischen und kam durch Zufall mit acht Jahren nach Bielefeld. Der berufliche Weg war abwechslungsreich und doch eine gute Vorbereitung für den Betrieb eines Varietés: In Düsseldorf dekorierte er Schaufenster, gründete ein Feinkosthaus und übernahm ein Hotel in Bad Godesberg. Im Innersten war jedoch der Wunsch, die Künste in seinem Leben unterzubringen. Die Menschenkenntnis und Tierliebe, zwei Angelpunkte in seinem Leben, brachten eine gute Grundlage für den Varietébetrieb.

Wer einmal im Trocadero gastierte, war als Artist*in anerkannt. Auch über verschiedene Krisenzeiten und Währungsreformen konnte Schreiber diesen Ruf aufrechterhalten. Er selbst fand hohe Anerkennung im Kreise seiner Berufskolleg*innen und war viele Jahre im Hauptvorstand des Verbandes Internationaler Varietétheater und Zirkusdirektoren, bis er diesen Posten aus Gesundheitsgründen 1956 niederlegen musste. An seinem 70. Geburtstag wurde er zum Ehrenmitglied des Vorstands ernannt. Schreiber galt als idealer Chef einer Kleinkunstbühne, der mit Ehrgeiz und Eifer für immer neue Attraktionen sorgte. Charakteristisch für die freundschaftlichen Beziehungen Schreibers zu einer Reihe von Künstler*innen war, dass er dem Kabarettisten und Dichter Fred Endrikat alle 14 Tage ein Päckchen mit spezieller Bielefelder Zwiebelleberwurst schickte, da Endrikat diese so gerne aß. Bekannt war Schreiber auch für seine minutiöse Genauigkeit. Bei Probeauftritten nutze er eine Stoppuhr, um die Auftritte zu optimieren. So empfahl er durchaus, am Anfang zwei, drei Figuren wegzulassen, „dadurch kommen Sie schneller zum Höhepunkt“. Die auftretenden Künstler*innen waren oft von internationalem Rang, manchmal reichten die Ausmaße der Bühne für die Darbietungen der Artist*innen kaum aus.

Miss-Wahlen, Elefanten und große Künstler*innen: Das Programm im Trocadero
Das Zielpublikum war sehr divers. Sollte tagsüber die ganze Familie mit Zauberkunst, Artistik auf freistehender Leiter, Tiernummern und Jonglage bei Kaffee und Kuchen angesprochen werden, begann abends die Zeit für die Nachtschwärmer*innen bis in die frühen Morgenstunden. Bereits in den 1950er-Jahren gab es Gerüchte über pikante Amüsier-Möglichkeiten in den Séparées. Sogar Rundfunkübertragungen fanden statt. Besonders beliebt war auch der alljährlich veranstaltete Je-Ka-Mi(Jeder-Kann-Mitmachen)-Abend, bei dem Amateur-Künstler*innen ihr Können vor Publikum präsentieren konnten. Als Gage gab es eine Flasche Sekt und ein Freigetränk.
Sogar eine der zahlreichen Aufstiegsfeiern des DSC Arminia Bielefeld wurde im Juli 1938 in den Räumen des Trocadero gefeiert. Nachdem als Auftakt die gefallenen Mitglieder des DSC gewürdigt wurden, traten die Artist*innen des Trocadero auf und die Vereinsgeschichte wurde vorgestellt. Den Spielern wurde die Goldene Vereinsnadel überreicht. Auch der vom Betriebsamt zu vorgerückter Stunde abgeschaltete Strom „konnte das Arminenvolk nicht bewegen, zu wanken und zu weichen“, so die Westfälischen Neuesten Nachrichten am 4. Juli 1938.

Für Gesprächsstoff sorgten auch die in den 1950er- und 1960er-Jahren veranstalteten Modeschauen und Wahlen zur Miss Bielefeld und Miss Germany. Auch eine „Miss Westfalen“ wurde am 30. Mai 1951 gekürt. An der Wahl teilnehmen durften Frauen im Alter von 17 bis 27 Jahren. In zwei Wahlgängen, der erste im Kleid, der zweite im Badeanzug, sollte eine Vertreterin gefunden werden, die daraufhin zur Wahl der „Miss Germany“ geschickt wurde. Sollte bei den Bewerberinnen kein Badeanzug vorhanden sein, wurden auch leihweise Exemplare zur Verfügung gestellt, „Bikini-Anzüge“ waren hingehen nicht zugelassen. Von der Vorwahl am Nachmittag berichtete die Westfälische Zeitung am 1. Juni 1951: „Fünfundzwanzig Thronanwärterinnen hielten sich zunächst für schön genug, um in den Wettbewerb der „Kurfürsten und Kurfürstinnen“ zu treten. Nach dem ersten Gelächter über die erste wenig schöne Maid müssen sich gleich sieben seitwärts in die Büsche geschlagen haben.“ Mit zehn Bewerberinnen ging es abends in die Hauptwahl. Die 21-jährige Jutta Engelbrecht aus Detmold konnte das als Jury fungierende Publikum überzeugen und neben ihrem Titel ein Radio und weitere Präsente Bielefelder und auswärtiger Firmen mitnehmen.

Im Gästebuch des Hauses sind große Namen zu finden: Zu den Sänger*innen, Solist*innen, Artist*innen und Dichter*innen, die auf der Bühne des „Troc“ begeisterten, zählen neben vielen anderen unvergessenen Claire Waldorff, Peter Frankenfeld, Joachim Ringelnatz, Heinz Erhardt, Lale Andersen und Maria Valente, die mit ihrer damals noch unbekannten Tochter Caterina Valente und drei weiteren Kindern 1942 und 1943 auftrat. Über einen Auftritt der Valentes hieß es am 22. Februar 1943 in der Westfälischen Zeitung: „Die vier Nachwuchskünstler ihrer Familie sind auf dem besten Wege, der fabelhaften Mutter nachzuarten“. Marika Rökk und Willi Fritsch wurden auf der Höhe ihres Ruhmes so von Autogrammjägern und Schulklassen bedrängt, dass sie beinahe ihren Auftritt verpassten. Vom Karnevalisten Willi Ostermann wurde berichtet, dass wegen seines großen Lampenfiebers oft ein Freund hinter der Bühne des Trocadero stand, um mitzusingen, da er nicht alleine auftreten konnte.

Im Dezember 1951 trat die 20-jährige Elefantendame Nelly aus dem indischen Urwald auf. Durch den Hintereingang zwängte sie ihre 76 Zentner, um auf der Bühne ungewöhnliche Kunststücke wie Rechenrätsel, Kommunikation mit dem Dresseur und das Spielen von Mundharmonika und Drehorgel darzubieten. Das Westfalen-Blatt berichtete amüsiert von einem pikanten Zwischenfall hinter der Bühne. Nachdem Nelly über den Oberntorwall zum Auftritt trottete, begegnete ihr im Theater die Solotänzerin des Hauses, Elly, die mit einem Strohhut bekleidet, an ihr vorbeigehen wollte: „Nichts hatte die wohlbeleibte Elefantendame dagegen, doch den Strohhut der Tänzerin konnte sie unmöglich passieren lassen. Was soll denn auch ein Strohhut auf dem Kopf einer Tänzerin sitzen, wenn er viel besser in einen Elefantenmagen paßt. Der Rüssel ging hoch, der Hut ging ab und schlupp, saß das prachtvolle Gebilde hinter der Binde.“

Konkurrenz Fernsehen: Niedergang des Varietés
Zum 70. Geburtstag Schreibers 1959 wurde in den Zeitungen bereits von den Schwierigkeiten durch die Konkurrenz des Fernsehers berichtet, wie bereits vorher durch die der Kinos. Während die Eintrittsgelder über Jahre gleichgeblieben waren, verschlangen erhöhte Kosten für Gagen, Kapelle, Beleuchtung, Neuanschaffungen, soziale Leistungen, Bühnenbild und Steuern immer größere Summen. Schreiber reagierte auf die Entwicklung u. a. mit dem Versuch, eine Kellergaststätte einzurichten, was das Bauordnungsamt jedoch ablehnte. In einer kaum überraschenden Voreingenommenheit für seinen Mandanten skizzierte Schreibers Rechtsanwalt 1959 die Bedeutung des „Trocadero“: „Es ist sicherlich auch nicht im geringsten übertrieben zu behaupten, daß das ´Trocadero´ nahezu ein Wahrzeichen der Stadt Bielefeld und weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt ist“. Aus der Bedeutung für den Fremdenverkehr und dem beabsichtigten Schankbetrieb für das „gute Bürgertum“ leitete der Anwalt gar ein „öffentliches Interesse“ für die „originelle Neuschöpfung“ ab, die den Varieté-Betrieb gegenfinanzieren sollte.
Der Tod Carl Schreibers nach längerer Krankheit am 10. Mai 1961 läutete endgültig das Ende des „Troc“ ein. Eine Entwicklung fand ihren Abschluss, die sich innerhalb nur einer Generation auf dem Gebiet der Kleinkunstbühne vollzogen hatte. Trotz der Persönlichkeit und fachlichen Routine Carl Schreibers war es nicht möglich, den Besucherrückgang, der bereits größere Varietébühnen in Hauptstädten Europas zum Erliegen gebracht hatte, zu stoppen. So war in den letzten Jahren der Betrieb nur noch an den Wochenenden so lebhaft, wie er es zu Glanzzeiten die ganze Woche über war. Am 13. Mai 1961 schrieb die Freie Presse noch: „Möge sein letzter Wunsch in Erfüllung gehen, daß auch weiterhin am Oberntorwall der Name „Trocadero“ leuchten möge, wie Carl Schreiber ihn ein arbeitsreiches Leben lang dort leuchten sah.“

Dem Sohn Carl Schreiber jun., der viele Jahre zusammen mit seinem Vater und nach dessen Tod alleine das Etablissement führte, war es dann vorbehalten, sich schweren Herzens unter dem Druck der veränderten Zeiten zur Aufgabe des Hauses zu entschließen. Nach dem Tod Carl Schreibers 1961 wurde bereits 1962 die Bühne geschlossen und es fand nur noch ein Tanzbetrieb statt. Doch auch dieser konnte sich gegenüber modernen Diskotheken nicht durchsetzen. Das „Troc“ war nicht mehr in der Lage, mit den Honoraren Schritt zu halten. Für Fernseh-Auftritte erhielten die Künstler Gagen, für die Sie zuvor einen Monat gastieren mussten. Am 30. September 1971 legten die letzten Musiker ihre Instrumente aus den Händen und die Gaststätte schloss ihre Türen. Nach dem Ende des „Astoria“ in Bremen war das Trocadero das vorletzte Varieté in der Bundesrepublik, nun blieb nur noch das Hansa-Theater in Hamburg als Kleinbühne dieser Art übrig. Auf dem Reißbrett der Architekten bestand das Haus bereits nicht mehr. Ein fünfgeschossiges Bürohaus der Deutschen Beamtenversicherung Wiesbaden war auf dem Grundstück am Oberntorwall geplant, welches als besondere Attraktion eine Dachterrasse mit Cafeteria anbieten sollte.
Am 17. Mai 1972 wurde das Trocadero abgerissen.
Quellen
- Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 108,5/Bauamt, Hausakten, Nr. 762-764: Oberntorwall 17-18, 1863-1972
- Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,1/Westermann-Sammlung, Nr. 130 und Nr. 131: Theater, Kino, Varieté, Nr. 203: Bauten
- Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,2/Zeitungen, Nr. 6 (Westfälische Neueste Nachrichten), Nr. 13 (Freie Presse), Nr. 27 (Neue Westfälische), Nr. 50 (Westfälische Zeitung), Nr. 54 (Westfalen-Blatt)
- Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung Oberntorwall, Nr. 11-1556-38, 11-1556-39, 11-1556-87, 53-3-345, 53-3-38
- Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,6/Ansichtskarten, Nr. 469
Literatur
- Bootz, Andreas, Kultur in Bielefeld 1945-1960 (Bielefelder Beiträge zur Stadt- und Regionalgeschichte, Bd. 12), Bielefeld 1993
- Freitag, Werner, Am Kreuzweg der Moderne. Erinnerungen an die nationalsozialistische Revolution in Spenge, in: Stefan Brakensiek u.a. (Hg.), Kultur und Staat in der Provinz. Perspektiven und Erträge der Regionalgeschichte (Studien zur Regionalgeschichte, Bd. 2), Bielefeld 1992, S. 381-417
Erstveröffentlichung: 01.05.2022
Hinweis zur Zitation:
Bielke, Søren, 17. Mai 1972: Abriss des Varietétheaters „Trocadero“, https://historischer-rueckklick-bielefeld.com/2022/05/01/01052022/, Bielefeld 2022