12. April 1942: Der gebürtige Bielefelder Ernst Bacmeister erhält den Kulturpreis des NSDAP-Gaues Westfalen-Nord

•  Helmut Henschel, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld •

„Ein norddeutscher Grübler, Dichter und Denker“ – so bezeichneten die Westfälischen Neuesten Nachrichten den Dramatiker, Lyriker, Essayisten und Philosophen Ernst Bacmeister angesichts des an ihn verliehenen Gaukulturpreises. Er sei „nicht nur ein […] Dichter aus schöpferischer Urkraft, dem die Gewalt des Wortes in hohem Maße gegeben ist, sondern auch Vorkämpfer und Theoretiker eines neuen Dramenstils, der sich dem Geiste der Zeit aufs Tiefste verpflichtet fühlt.“ Diese Ehrung, am 12. April 1942 in Münster ausgesprochen, zeigt mehr als nur eine oberflächliche Verbundenheit des in Bielefeld geborenen Bacmeisters zum nationalsozialistischen Deutschland, auch wenn er in seinem Schaffen heute als eher unpolitisch eingeordnet wird. Das hinderte die Stadt Bielefeld jedoch nicht, ihn 1965 mit dem Kulturpreis der Stadt auszuzeichnen. Heute gilt Bacmeister weitgehend als vergessen – Wer aber war dieser unkonventionelle und nur schwer in Kategorien einzuordnende Künstler?

1. Bacmeister Geburtsurkunde
Geburtsurkunde von Ernst Bacmeister; StArchBi, Bestand 104,2.20/Standesamt, Personenstandsregister, Nr. 100-1874

Von Bielefeld bis zum Bodensee: Bacmeisters Wanderjahre

Ernst Bacmeister wurde am 12. November 1874 in Bielefeld als sechstes von zwölf Kindern geboren. Seine Mutter, Lucie Juliane Bacmeister geborene Müller (1843-1904), Tochter des in Bielefeld heimischen Landessuperintendenten Ernst Wilhelm Müller (1810-1872), war mit ihren Kindern aufgrund einer Scharlach-Epidemie in Eisenach in die Heimatstadt geflohen. Ihr Ehemann und Vater von Ernst Bacmeister war der Buchhändler und Verleger Johann Bacmeister (1841-1918), der bereits kurz nach der Ankunft auch in Bielefeld eine Verlagsbuchhandlung angemeldet hatte. Der Aufenthalt der Familie währte jedoch nur wenige Monate. Vermutlich im ersten Halbjahr 1875 zog sie wieder nach Eisenach zurück; das Bielefelder Wochenblatt hatte bereits am 4. Mai dieses Jahres die Abmeldung des väterlichen Geschäfts aus dem Handelsregister angezeigt.

In der Wartburgstadt verlebte Bacmeister seine frühen Kindheitsjahre, bevor man sich 1880 in Kassel niederließ. Anhaltende berufliche Schwierigkeiten des Vaters führten allerdings dazu, dass die Familie innerhalb weniger Jahre sehr häufig umziehen musste. Wohnorte waren unter anderem Herford, Bernburg in Anhalt, erneut Eisenach, Hannover und schließlich Erfurt, wo Bacmeister 1893 sein Abitur machte. Zwischenzeitlich war er für einige Monate bei einem Onkel in Bielefeld untergekommen und soll in dieser Zeit auch Schüler des Ratsgymnasiums gewesen sein. Trotz der vielen Ortswechsel und zeitweiligen Trennungen beschrieb Bacmeister seine Kindheit und im Besonderen die eigene Familie als „engste Heimat und treuliche Umschließung“, wobei er nach eigener Aussage immer wieder Rückzugsorte in seinem „Inneren“ suchte und fand.

Nach dem Abitur begann er ein philologisches Studium der Neueren Sprachen in Leipzig, welches durch eine Familienstiftung finanziert wurde. Über die Pläne seiner Mutter, die ein theologisches Studium präferiert hatte, konnte er sich hinwegsetzen. Bereits während seiner Studienzeit besuchte er gerne die Theateraufführungen in Leipzig. 1896 wurde er mit einer Arbeit über grammatische Probleme des Rumänischen promoviert (summa cum laude). Bacmeister unternahm daraufhin eine Studienreise nach Rumänien; im Anschluss trat er seine erste Stelle als Hauslehrer in Danzig an. Zu dieser Zeit begann er mit der Veröffentlichung seiner ersten Dramen. Das 1898 erschienene Stück Der Graf von Gleichen wurde nur ein Jahr später vom Wiesbadener Stadttheater uraufgeführt. Zeitgleich absolvierte Bacmeister einen einjährigen Militärdienst in der preußischen, ehemals nassauischen Residenzstadt. Nach der Jahrhundertwende war Bacmeister erneut in verschiedensten Städten als Hauslehrer tätig, der Versuch einer akademischen Laufbahn und die Habilitation scheiterten. Manfred Bosch beschreibt diese unstet wirkende Periode folgendermaßen: „Es folgten problematische Wander- und lange Selbstfindungsjahre zwischen Danzig und dem Zürichsee, die sich beruflich zwischen Hauslehrerexistenz, schriftstellerischer Arbeit und dem gescheiterten Versuch bewegten, eine Laufbahn als Hochschullehrer einzuschlagen.“

Seine 1904 in Zürich verstorbene Mutter Lucie Bacmeister hatte seit Ende der 1890er Jahre unter Mithilfe ihres Sohnes Hans begonnen, ihre bis dahin nur privat veröffentlichten künstlerischen Erzeugnisse wie Erzählungen aber auch Zeichnungen einem breiteren Publikum bekannt zu machen. Am 20. August 1901 fand sie zum ersten Mal in der Westfälischen Zeitung als „Bielefelder Tochter“ Erwähnung. Es folgten unregelmäßig weitere Meldungen zu ihr.

2. Geburtsanzeige Bielefelder Wochenblatt 14.11.1874
Geburtsanzeige im Bielefelder Wochenblatt vom 14. November 1874; StArchBi, Bestand 400,2/Zeitungen, Nr. 100-49

Etablierung als Dramatiker und Autor

Als folgenreiche Entscheidung erwies sich die Annahme einer Hauslehrerstelle um die Jahrhundertwende in Wangen am Bodensee. 1907 ließ er sich endgültig in dem Ort nieder. Zunächst nur in einem kleinen, renovierungsbedürftigen Häuschen wohnhaft, konnte er 1913 mithilfe der finanziellen Unterstützung einer Industriellenfamilie aus Essen in ein deutlich geräumigeres Landhaus mit großem Garten ziehen. Hier fand der Künstler nach den langen Wanderjahren seine Heimat, die er bis zu seinem Tod nicht mehr verlassen sollte. Ebenfalls 1907 heiratete er die Malerin Marie Sophie Elsbeth geb. Bosselmann (1873-1960), mit der er einen Sohn, Arno Bacmeister (1908-1944), hatte.

Von Ende 1911 bis 1913 übernahm Bacmeister die Stelle eines Dramaturgen am Rheinisch-Westfälischen Volkstheater, welches von seinem Bruder Hans gegründet worden war und den Spielbetrieb am 15. Januar 1912 mit einem Stück von Lessing eröffnet hatte. Das Projekt endete aber bereits ein knappes Jahr später, nachdem die Essener Stadtverordnetenversammlung die weitere Unterstützung versagt hatte. Während dieses Intermezzos hatte Bacmeister sein eigenes Stück Der Phantast unter dem Pseudonym Felix Montanus uraufführen können. Die „Kölner Zeitung“ brachte in ihrer Ausgabe vom 8. Januar 1913 eine wohlwollende Kritik und berichtete von „reichem Beifall“ des Publikums.

Den Ersten Weltkrieg verbrachte er als Soldat im Elsass, nahe der Schweizer Grenze. Nach dem Krieg nahm Bacmeister seine Tätigkeit als Autor von Tragödien wieder auf. 1930 bekam er als einer von drei Preisträgern den erstmals vergebenen Jahrespreis des Bühnenvolksbundes für sein Drama Maheli wider Moses. Nach der „Machtergreifung“ durch die Nationalsozialisten im Januar 1933 erfuhr Bacmeisters Werk eine breitere Wahrnehmung auf den Bühnen und in den Feuilletons im Deutschen Reich. Großer Beliebtheit erfreute sich Ende der 1930er Jahre vor allem das Werk Kaiser Konstantins Taufe.

1940 wurde ihm laut einschlägiger Literatur und (späterer) Berichterstattung der Kulturpreis der Stadt Düsseldorf verliehen. Das ist in mehrfacher Hinsicht problematisch: Weder die Westfälische Zeitung noch die Westfälischen Neuesten Nachrichten berichteten über den Preis, was angesichts des sonstigen Umgangs mit dem „Sohn der Stadt“ und den vielfach vorkommenden Meldungen der Bielefelder Zeitungen zu diesem Zeitpunkt überraschend wäre. Einschlägige Akten des Düsseldorfer Stadtarchivs führen Bacmeister auch nicht in der Liste der Preisträger auf – laut den dort enthaltenen Vorgängen wurde 1940 auch gar kein Preis verliehen. Allerdings ist eine engere Bindung Bacmeisters an die Rheinmetropole durchaus nachzuweisen – neben einer nicht kleinen Anzahl an Aufführungen aus der Feder des Dramatikers auf den dortigen Bühnen schrieb er im Auftrag des Oberbürgermeisters bzw. der Stadt Düsseldorf das Stück Der teure Tanz, welches im Gegensatz zu seinen Tragödien ein eher leichtes und heiteres Lustspiel war. Die Westfälischen Neuesten Nachrichten beschrieben die anstehende Uraufführung im Düsseldorfer Schauspielhaus in ihrer Ausgabe vom 12. April 1940 als „besondere Ehrung des Dichters angesichts seines 70. [sic!] Geburtstages.“ Möglicherweise wurde diese Anerkennung im Nachhinein als eine Art Preisverleihung interpretiert. 1965 datierte der WDR diese gar auf das Jahr 1934.

Bis zum Ende des Krieges wurde es zunehmend ruhiger um Bacmeister. In den Zeitungen waren nur noch unregelmäßig Texte des Autors und nur versprengt Hinweise auf stattfindende Aufführungen zu finden. „Hatten die hohen Dramen B.s schon gegen Ende des ,Dritten Reiches‘ immer weniger Zuschauer erreicht, so war nach 1945 die Zeit für B.s Stücke vollends vorüber“, so der Biograf Manfred Bosch. Bacmeister legte seinen Schwerpunkt nach 1945 vor allem auf Natur- und Tierschilderungen. 1947 scheiterte der Plan einer 12-bändigen Werkausgabe. Um finanziell über die Runden zu kommen, behalf er sich mit dem Verkauf von Holz aus dem eigenen Garten.

3. StArchBI_400_003_61_002_013_Bacmeister_Ernst
Portrait von Ernst Bacmeister; StArchBi, Bestand 400,3/Fotosammlung, Nr. 61-002-13

Werk und Wahrnehmung

Das Werk und die künstlerische Auffassung Bacmeisters sind nur schwer zu durchdringen. Auch unter Zeitgenossen und im Besonderen den Fachexperten galten die Stücke häufig als kompliziert und übermäßig vergeistigt, was dazu führte, dass die Dramen zum Teil als „unspielbar“ bezeichnet wurden. Von den 18 Stücken (16 Dramen und zwei Komödien) die Bacmeister bis 1950 schrieb, fand allein Kaiser Konstantins Taufe überdurchschnittliche Beachtung. Bacmeister selbst betrachtete sich als „Bekenner des Geistes“ der sich „mit den Mitteln der Dichtung gegen die Psychologisierung des Menschen gewandt“ habe. Adolf von Grolmann (1888-1973) hatte ihn 1930 als „süddeutschen Hebbel“ bezeichnet. Sein „Glaubensbekenntnis“ und der sich daraus ableitende Zugang zur Welt hatte Bacmeister folgendermaßen formuliert:

„Ich glaube, dass es nirgends im Weltall etwas gibt, was uns Menschen heiliger sein dürfte als der Stern, den wir selber bewohnen, und dass wir uns nicht frommer zum Leben verhalten können, als indem wir die höchste Möglichkeit der Erde, ihre Gottesblüte Geist, immer reiner und reicher in uns verwirklichen. Wo aber diese Blüte im Menschen deutlich erwacht ist, da wird sie in seinem Willen auch zur Frucht und streut ihren Samen aus als eine Fülle geläuterter Taten, die unsere irdische Wohnstätte zu einem diesseitigen Himmel der Heimatlichkeit im unendlichen All gestalten. Und hier erfüllt sich der ewige Sinn des kosmischen Gebildes, das wir unseren Planeten nennen.“

Im Gegensatz zu seinem Bruder Walther Bacmeister (1877-1953) trat Ernst Bacmeister nur selten politisch in Erscheinung. Ganz offensichtlich aber erfuhr der Literat durch die Nationalsozialisten eine unerwartete Würdigung seines Schaffens. Bei der Reichspräsidentenwahl 1932 hatte er noch Paul von Hindenburg unterstützt, der zu diesem Zeitpunkt in Opposition zu seinem Gegenkandidaten Adolf Hitler stand. In einem in verschiedenen Zeitungen veröffentlichten Aufruf, unterzeichnet von diversen Literaten (darunter z.B. Ina Seidel), hatte sich Bacmeister für die Wiederwahl des Amtsinhabers Hindenburg ausgesprochen. Wie aber auch bei Seidel (1885-1974) änderte sich die Haltung gegenüber Hitler mit der Zeit. In seiner als Autobiografie zu lesenden Schrift Wuchs und Werk von 1939 berief sich Bacmeister in dem Kapitel „Mein Philosoph begegnet mir“ zudem mit sakral anmutenden Worten auf den Philosophen Willy Schlüter (1873-1935) und bezeichnete die eigenen Dramen als Ausdruck des Denkens Schlüters. Von diesem ist bekannt, dass er die „Nationale Erhebung“ begrüßte und in einigen seiner Schriften stark antisemitische Tendenzen zu finden sind. Ob Bacmeister in dieser Hinsicht direkt durch Schlüter beeinflusst wurde, ist nicht sicher festzustellen; dennoch liegt eine ähnliche Denkweise nahe. Tatsache ist, dass das 1922 entstandene Drama Barbara Stossin vom „Amt Rosenberg“ unter dem Vordenker und ideologischen Impulsgeber der NSDAP Alfred Rosenberg empfohlen wurde. Spätere Biografen bescheinigten Bacmeister eine „pseudoreligiöse Hitlerverklärung“. Die Westfälische Zeitung beurteilte die Rolle Bacmeisters am 23. April 1934 folgendermaßen: „60 Jahre alt musste Bacmeister werden, bis seine Bedeutung im neuen Deutschland endlich erkannt wurde.“ Die Westfälischen Neuesten Nachrichten erläuterten am 26. Januar 1940 in einem längeren Artikel über den Dramatiker deutlich nüchterner: „Bacmeisters neue Kunstauffassung steht in einem vielschichtigen Gegensatz zur heutigen Theaterpraxis. Ob aus ihm das Theater sich neu gestalten kann und wird, muss die Zukunft erweisen.“ Und etwas bemüht wirkt die sich anschließende Einordnung in das gegenwärtige ideologische Gebilde: „Bacmeister [ist], in der Stille schaffend und nur den Stimmen in seinem Inneren gehorchend, lebender Zeuge der geheimnisvollen schöpferischen Gemeinschaft des Volksgeistes. Als solcher fand er im nationalsozialistischen Staate seine Anstellung.“ Etwa ein Jahr später äußerte Walter Goch (1898-1945), seines Zeichens NSDAP-Kreispresseamtsleiter und Schriftleiter der Westfälischen Neuesten Nachrichten, in einem Portrait über Bacmeister die Hoffnung, dass dessen Schaffen in einen „neuen deutschen Typus der Tragödie“ münden werde. In der Zeit von 1933 bis 1945 wurden die Dramen unter anderem in den Schauspielhäusern von Stuttgart, Hannover, Dresden und Hamburg aufgeführt.

4. StArchBI_107_06_2598_Ernst Bacmeister Andreas und die Königin_wahrscheinlich 1941
Aufführung des Dramas Andreas und die Königin von Ernst Bacmeister im Bielefelder Stadttheater, wahrscheinlich 1941; StArchBi, Bestand 107,6/Städtische Bühnen und Orchester, Nr. 2598

Verleihung des Gaukulturpreises

Summa summarum verwundert es nicht, dass Bacmeister 1942, als Anerkennung seines Schaffens und seiner affirmativen Haltung der Kulturpolitik des „Dritten Reiches“ gegenüber, den Kulturpreis des Gaues Westfalen-Nord erhielt. Dieser wurde erstmalig vom Gauleiter Alfred Meyer (1891-1945) im Rahmen der seit 1936 jährlich veranstalteten und aufwendig inszenierten „Gaukulturwoche“ und anlässlich des 10-jährigen Bestehens des Gaues an Bacmeister und den in Gelsenkirchen aufgewachsenen Maler Josef Arens (1901-1979) verliehen. Bereits 1940 war während der Gaukulturwoche aus den Werken Bacmeisters gelesen worden; ein Jahr später wurde aus gleichem Anlass heraus das Werk Die Schlange aufgeführt. Der anwesende Bacmeister wurde im Anschluss vom Gauleiter mit einem Lorbeerkranz geehrt und erhielt laut einschlägigen Presseberichten großen Beifall des „dicht mit Angehörigen von Partei, Wehrmacht und Staat besetzten Hauses.“

Diese Entwicklung kulminierte nun in der Verleihung des Preises im Jahr 1942. Die am 12. April stattfindende Veranstaltung in der Stadthalle von Münster stand ganz im Zeichen der „Huldigung der Heimat an die Front“ und das die gehaltenen Reden durchscheinende Motiv bezog sich vor allem auf die Soldaten der Wehrmacht, welche „die wichtigste kulturelle Arbeit leisten.“ In der Verleihungsrede hob Meyer hervor, dass Bacmeister zu den Dichtern gehöre, „die für ein deutsches Nationaltheater schaffen“ und im Urkundentext hieß es, Bacmeister habe die „Innenkräfte deutschen Geistes“ bewahrt und sie in seinen „dramatischen Werken wirksam“ aufgezeigt. Der Gauleiter schloss mit den Worten: „Auch der Künstler trägt zum Siege bei. […] Alles für Deutschland! Es lebe der Führer! Alles für den Sieg!“ Die Westfälische Zeitung bezeichnete die Preisverleihung für Bacmeister im Nachgang als „Teil des Dankes [durch den] Heimatgau […], den ihm die ganze Nation schuldet.“

Bacmeister und Bielefeld

Die Beziehung zu seiner Geburtsstadt Bielefeld war ambivalent und schwankte zwischen verhältnismäßig großer Anerkennung und völligem Desinteresse. Bis dahin vom kulturellen Leben der Stadt exkludiert, fanden Bacmeister und sein Werk erstmalig am 12. September 1922 Erwähnung in der Bielefelder Presse, als die Westfälische Zeitung den Druck zweier unlängst erschienen „lebensphilosophischer Betrachtungen“ ankündigte. Für die folgenden Jahre lassen sich einige wenige kurze Notizen in den heimischen Zeitungen zu Aufführungen der Werke Bacmeisters in anderen Städten nachweisen. Zu Beginn der 1930er-Jahre wurden auch zunehmend kurze Essays sowie lyrische Beiträge von ihm abgedruckt. Am 15. Mai 1934 schrieb Dr. Hans Kornfeld, Chef des Kulturressorts der Westfälischen Zeitung angesichts einer Bacmeister-Uraufführung in Düsseldorf, den Künstler selbst zitierend: „,Das westfälische Bielefeld, wo ich geboren wurde, ist mir nur ein geographischer Bericht.´ So schreibt Ernst Bacmeister in seiner Monographie. Schade. Vielleicht trägt das Stadttheater nun das seinige dazu bei, daß Bielefeld für den Dichter Bacmeister auch ein künstlerischer Begriff wird.“ Zum 60. Geburtstag Bacmeisters erschien ein Bericht in den Westfälischen Neuesten Nachrichten, der beinahe schon apologetisch über die „späte Würdigung“ seitens der „Heimatstadt“ sprach. Man entschuldigte sich mit der auch reichsweit erst spät aufgekommenen Anerkennung des Dramatikers und wies darauf hin, dass Bacmeister „nicht zu den Schriftstellern [gehört], die für den Tagesbedarf geschrieben haben.“ Trotz alledem habe „Bielefeld als Geburtsstadt […] mehr als andere Städte die Verpflichtung, dieses Dichters zu gedenken“. In der Folge nahm die Beachtung Bacmeisters seitens der Presse stetig zu.

Von besonderer Bedeutung für die Beziehungen Bacmeisters nach Bielefeld war aber vorrangig die Buchhandlung Fischer, die der Inhaber Otto Fischer (1907-1995) zusammen mit dem bekannten Kunstsalon seit 1927 in der Obernstraße 47 führte. Fischer hatte einen Freundeskreis gegründet, um Autor und Werk in Bielefeld bekannt zu machen. Dieser Freundeskreis veranstaltete in unregelmäßigen Abständen sogenannte Bacmeister-Abende, teilweise unter Anwesenheit des Autors, die laut Presseberichterstattung aber nur spärlich besucht wurden. Nichtsdestotrotz fühlte sich Bacmeister durch die Bemühungen seitens Fischers seiner Heimatstadt immer stärker verbunden, wie es die Korrespondenz zwischen den Beiden im Vorfeld einer der Abende darlegt.

5. 400,3 Nr. 31-043-001_Kunstsalon Fischer, Blick von der Buchhandlung Fischer aus, 1961
Kunstsalon Fischer, Blick von der Buchhandlung Fischer in der Obernstraße 47 aus (1961); StArchBi, Bestand 400,3/Fotosammlung, Nr. 31-043-1

Im Februar 1935 berichtete die Westfälische Zeitung über die starke Zunahme von Aufführungen der Werke Bacmeisters in den Schauspielhäusern des Reiches und beendete den Artikel mit der rhetorischen Frage: „Wann folgt das Bielefelder Stadttheater??“ Im August des gleichen Jahres gab eben dieses bekannt, dass für die neue Spielzeit die Aufführung der Komödie Barbara Stossin geplant sei. Fortan wurde er zu einem regelmäßig gespielten Autor im Stadttheater. Wie auch bei den von Otto Fischer verantworteten Veranstaltungen war Bacmeister zum Teil bei den entsprechenden Vorstellungen selbst anwesend. Am 28. Januar 1940 hielt er anlässlich seines 65. Geburtstags eine Rede im Stadttheater zum Thema „Die neue Tragödie aus der Leidenschaft des Geistes“. Mit der Aufführung der Stücke Andreas und die Königin, sowie Gudulinde im Jahr 1941, begleitet von reger Presseberichterstattung, fand die Beziehung zwischen Bacmeister und Bielefeld einen vorläufig letzten Höhepunkt. In den Folgejahren erschienen zwar noch einzelne Texte sowie Hinweise auf Aufführungen in den Zeitungen, insgesamt wurde es aber, parallel zu den diesbezüglichen Entwicklungen im Reich, ruhiger um Ernst Bacmeister.

1949 erschien ein kurzer Artikel in der westfälischen Zeitung zum 75. Geburtstag des Dichters. Im Dezember des gleichen Jahres ehrte das Stadttheater zusammen mit der Literarischen Gesellschaft den Jubilar; der entsprechende Leseabend war jedoch nur schwach besucht. 1957 war Bacmeister zu einer weiteren Lesung aus der Tragödie Der indische Kaiser in der Stadt. Zum 85. Geburtstag erschienen ebenfalls einige Artikel. Die Freie Presse zum Beispiel bemerkte in ihrer Ausgabe vom 12. November 1959 über Bacmeister: „[…] der sich kaum dagegen wehren konnte, daß in einer verflossenen Epoche sein Werk von unwissenden Kulturpropagandisten usurpiert und mißbraucht wurde. Und von denen, welchen das in abseitiger Stille entstandene Werk vertraut ist, sind wiederum nur wenige bereit, dem Autor auf seinem Wege zu folgen.“ Auch zum 90. Geburtstag wurden Texte für die heimischen Zeitungen verfasst, die aber bereits deutlich kürzer waren und zum Teil die gleichen Sätze wie die fünf Jahre zuvor erschienen Artikel enthielten.

Verleihung des Kulturpreises der Stadt Bielefeld

Wie aber kam es, trotz des nachweislich abnehmenden Interesses an Bacmeister, zur Verleihung des Kulturpreises der Stadt Bielefeld an den immer noch am Bodensee lebenden Dichter?

Bereits im November 1964 hatte dieser Eingang in die Beratungen des städtischen Kulturausschusses gefunden, als sich ein Verlag aus Süddeutschland angesichts des 90. Geburtstags Bacmeisters mit der Bitte um Zuschuss zu einem Sammelband mit Werken des Dramatikers an die Stadt wandte. Vor einer diesbezüglichen Entscheidung wollten die Mitglieder allerdings Einsicht in eine Auswahl der literarischen Erzeugnisse Bacmeisters nehmen, um sich selbst einen Eindruck über den künstlerischen Wert zu verschaffen. Dieser Gedanke ist, so legen es die Ausschussprotokolle nahe, nicht weiterverfolgt worden. Erst in der Sitzung am 5. April 1965 forderte der Vorsitzende Dr. Rudolf Nierhoff die Verleihung des städtischen Kulturpreises für 1965 an Bacmeister. Er begründete dies mit dem Geburtsort in Bielefeld und der internationalen Reputation des Künstlers, welches nach der Satzung Voraussetzung für die Verleihung des Preises sei. Der Kulturpreis war 1956 für Persönlichkeiten gestiftet worden, die sich „auf dem Gebiet der Kunst, der Wissenschaft und der Technik“ mit außerordentlichen Ergebnissen hervorgetan hatten und aus Bielefeld stammten oder aktuell im Raum Bielefeld tätig oder tätig gewesen waren.

Der Kulturausschuss bildete daraufhin eine siebenköpfige Vorschlagskommission unter der Leitung des SPD-Ratsherren Hans-Georg Lachmanns (1905-1992), dessen Ergebnisse in der nächsten Sitzung am 3. Mai präsentiert wurden: Lachmann teilte den Anwesenden die grundsätzliche Befürwortung einer Verleihung an Bacmeister mit; die Vorschlagskommission sei einstimmig dafür gewesen. Daraufhin überwies der Kulturausschuss – ebenfalls einstimmig – die Sache an den Stadtrat, der in seiner Sitzung am 26. Mai die Verleihung beschloss.

Auffällig ist die im Anschluss formulierte Pressemitteilung des Rats, welche einen Tag später in der Freien Presse abgedruckt wurde. Nach einer kurzen biografischen Einführung ging es um die an den Dichter verliehenen Preise: „Im April 1942 erhielt er zum ersten Mal einen Literaturpreis, und zwar den Kulturpreis von Westfalen-Nord [sic!].“ Dass der Hinweis auf die Verleihung durch den Parteigau der NSDAP nur zufällig nicht Erwähnung fand, darf sicherlich ausgeschlossen werden. Es gab also aufseiten des Rats, mindestens aber im Kulturausschuss, ein Bewusstsein über die hochproblematischen Aspekte dieses eindeutig NS-ideologisch gefärbten Preises von 1942. Anders scheint die Weglassung des Begriffes Gau nicht zu erklären zu sein. Aber auch die weitere Presseberichterstattung beschränkte sich auf die eher unkritische Würdigung Bacmeisters. Zwar wurde regelmäßig die bereits erwähnte Unspielbarkeit der Stücke erwähnt, darüber hinaus aber gab es keinerlei Hinweise auf die problematische Vergangenheit Bacmeisters.

6. StArchBI_300_05_193_005_Goldenes Buch
Eintrag von Ernst Bacmeister im Goldenen Buch der Stadt anlässlich der Verleihung des Kulturpreises; StArchBi, Bestand 300,5/Handschriften, gebunden, Nr. 193 (S. 5)

Die Verleihung des mit 3.000 D-Mark dotierten Preises fand am 12. Juni um 11 Uhr im Großen Sitzungssaal des Rathauses unter Anwesenheit der Mitglieder des Stadtrates und „zahlreiche[r] Persönlichkeiten der Stadt Bielefeld“ statt. Eingerahmt durch Streichquartette von Haydn und Mozart erfolgte eine Lesung von Ausschnitten aus dem Werk Bacmeisters, vorgetragen vom Schauspieler Friedrich Hölzlin (1890-1983), sowie die eigentliche Preisverleihung durch Oberbürgermeister Herbert Hinnendahl (1914-1993). Unter anderem würdigte er Bacmeister mit folgenden Worten: „Ihr schriftstellerisches Schaffen, das abseits von dem materiellen und auf Erfolg gerichteten Streben unserer Zeit als stiller Dichter und Denker mehr auf Tiefe, Inhalt und Ehrlichkeit abgestellt ist, ist von unbestrittener Bedeutung und bleibendem Wert.“ Bacmeister habe das „Erbe der deutschen Klassik“ weitergetragen. Etwas euphemistisch scheint in der Nachschau angesichts der überschaubaren Anzahl an Preisen die Rede von der „wiederholten Würdigung“ durch die Fachwelt, was in „vielen Auszeichnungen“ zum Ausdruck gekommen sei. Der Kulturpreis der Stadt Bielefeld sei in diesem Sinne die „Krönung des Lebenswerkes.“ Zum Abschluss der Veranstaltung trug sich der Preisträger in das Goldene Buch der Stadt ein. Die Preisverleihung fand, wenn auch in der Regel nur durch kurze Zeitungsmeldungen, deutschlandweite Beachtung. Die Resonanz in den Bielefelder Buchhandlungen blieb hingegen gering: Die Verkaufszahlen der Schriften Ernst Bacmeisters konnten nicht nennenswert gesteigert werden.

Eine kleine Kuriosität ereignete sich am Rande: Das im gleichen Jahr der Preisverleihung herausgegebene Nachschlagewerk „Bielefelder Künstlerbiografien“ von Heinrich Becker (1881-1972) enthält neben vielen Bielefelder Kulturschaffenden keinen Eintrag zu Bacmeister. Aufgrund des Redaktionsschlusses am 1. Juni war, so scheint es, eine nachträgliche Einfügung des Künstlers vermutlich nicht mehr möglich gewesen – zugleich zeigt dieser Vorgang darüber hinaus aber auch, wie wenig Bacmeister in einschlägigen Kreisen der Stadt noch bekannt war.

In den Folgejahren erinnerten die heimischen Zeitungen zum Geburtstag in kurzen Artikeln an den Dramatiker. Zum 10. Todestag des am 11. März 1971 gestorbenen Bacmeisters brachte das Westfalen-Blatt 1981 nur noch einen kleinen Artikel, in dem alleine der Preis von 1930 (hier irrtümlich 1932) Erwähnung fand. Selbst der Kulturpreis der Stadt wurde nicht weiter angesprochen. Heute wird die Verleihung des Kulturpreises von Historikern als Fehlentscheidung, „glatter Fehlgriff“ oder auch „bemerkenswerte […] Instinktlosigkeit“ des Stadtrates bewertet. Eine tiefgehende Auseinandersetzung mit der NS-Zeit in Bielefeld sollte aber auch erst einige Jahre später durch die sogenannte 68-er-Bewegung an echter Bedeutung gewinnen.

Quellen:

  • StArchBi, Bestand 103,5/Presse- und Verkehrsamt, Nr. 419
  • StArchBi, Bestand 107,1/Kulturdezernat, Nr. 487
  • StArchBi, Bestand 107,6/Städtische Bühnen und Orchester, Nr. 2598
  • StArchBi, Bestand 140/Protokolle, Nr. 210e
  • StArchBi, Bestand 140/Protokolle, Nr. 503
  • StArchBi, Bestand 300,6/Autographen, Nr. 47
  • StArchBi, Bestand 400,1/Westermannsammlung, Nr. 101 (S. 307)
  • StArchBi, Bestand 400,2/Zeitungen, Nr. 6 (Westfälische Neueste Nachrichten, diverse Ausgaben)
  • StArchBi, Bestand 400,2/Zeitungen, Nr. 50 (Westfälische Zeitung, diverse Ausgaben)
  • Zeitung „Echo der Gegenwart“ (Aachen) vom 17. Januar 1912
  • „Kölnische Zeitung“ vom 14. März 1913
  • Stadtarchiv Düsseldorf, Signatur 0-1-23-392

Literatur:

  • Bacmeister, Ernst, Wuchs und Werk. Die Gestalt meines Lebens, Markkleeberg 1939.
  • Bosch, Manfred, Ernst Bacmeister, in: Baden-Württembergische Biographien, Online-Version, Stuttgart 2008.
  • Dambacher, Eva, Literatur- und Kulturpreise 1859-1949: Eine Dokumentation, Marbach am Neckar 1996.
  • Ditt, Karl, Der Westfälische Literaturpreis im Dritten Reich. Die Förderung westfälischer Schriftsteller/innen zwischen Literatur-. Heimat- und Parteipolitik, in: Westfälische Forschungen, Band 42 (1992), S. 324-345.
  • Klee, Ernst, Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945, Eintrag zu Ernst Bacmeister, Frankfurt/Main 2007.
  • Kühne, Hans-Jörg, Bielefeld ’66 bis ’77. Wildes Leben, Musik, Demos und Reformen, Bielefeld 2006.
  • Otto Fischer Kunst- und Buchhandlung Bielefeld, Otto Fischer Buch- und Kunsthandlung. Fünfzig Jahre Wirken für Buch und Bild, Bielefeld 1901 – 1951, Bielefeld 1951.
  • Raepke, Frank, Ernst Bacmeister, in: Killy, Walther, Literaturlexikon. Autoren und Werke deutscher Sprache, Gütersloh 1988, S. 281f.
  • Schmidt, Christoph, Nationalsozialistische Kulturpolitik im Gau Westfalen-Nord. Regionale Strukturen und lokale Milieus (1933-1945), Paderborn 2006.
  • Wagner, Bernd J., Kulturpolitik unterm Hakenkreuz. Kunstausstellungen in Bielefelder Museen zwischen 1933 und 1945, in: Ravensberger Blätter, 2002 (Heft 2), S. 26-39.
  • o.A., Ernst Bachmeister, in: Lexikon Westfälischer Autorinnen und Autoren, Online-Version.

Links:

https://www.leo-bw.de/web/guest/detail/-/Detail/details/PERSON/kgl_biographien/118646230/biografie

Hinweis zur Zitation:
Henschel, Helmut, 12. April 1942: Der gebürtige Bielefelder Ernst Bacmeister erhält den Kulturpreis des NSDAP-Gaues Westfalen-Nord, https://historischer-rueckklick-bielefeld.com/2022/04/01/01042022/, Bielefeld 2022

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