• Dagmar Giesecke, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek •
„Im Jahre 1966 besteht der Landkreis Bielefeld 150 Jahre. In diesem Zeitraum erfuhren Landwirtschaft, Gewerbe, Handel und Industrie tiefgreifende Wandlungen, die alle Lebensbereiche erfasst und Landschaft und Bevölkerung geprägt haben. An diesen Entwicklungen hat der Landkreis im Zusammenwirken mit seinen Gemeinden immer lebhaften Anteil gehabt, da es sein Auftrag und seine vornehmste Aufgabe war und ist, das Wohl seiner Bürger zu fördern und zu sichern. Kreistag und Kreisverwaltung geben aus Anlass des 150jährigen Bestehens ihres Landkreises diese Schrift heraus, die in Streiflichtern Vergangenes darstellen und über die Gegenwart in die Zukunft weisen soll. Möge sie allen Bürgern des Landkreises, insbesondere auch der Jugend, Anregung sein, sich mit der Entwicklung ihres heimatlichen Raumes und der in ihm wirksamen Kräfte näher vertraut zu machen“, unterschrieben von „Landrat“ Else Zimmermann (1907-1995) und Kreisdirektor Helmut Schütz (1906-1989) in der Festschrift zum 150jährigen Bestehen des Landkreises Bielefeld 1966.

Es war nicht nur ein langer Weg für Bielefeld zur Großstadt, sondern auch ein nicht ganz einfacher Weg zum Landkreis. Mit dem Tod des Grafen Bernhard, der ohne männlichen Erben geblieben war, starb das Geschlecht der Ravensberger aus und die Grafschaft ging in die Zuständigkeit der Herzöge von Jülich, Kleve und Berg über. Nach einem Erbfolgestreit gehörte die ehemalige Grafschaft Ravensberg ab 1647 zu Kurbrandenburg-Preußen. Erst mit der Eingliederung nach Preußen erlebten die bis dahin fast unveränderten Verwaltungsstrukturen einen grundlegenden Umbau. 1719 wurde die Grafschaft Ravensberg mit dem Fürstentum Minden administrativ vereinigt, das inzwischen protestantisch geworden war. Droste hießen von nun an Amtmänner und Vogteien gab es nicht mehr. Juristische Kompetenzen erweiterten zudem die Aufgabenbereiche der neuen Amtmänner. 1740, unter Friedrich dem Großen, bekamen Landräte wiederum neue Befugnisse, und die Grafschaft Ravensberg, bestehend aus den Ämtern Ravensberg, Sparrenberg, Vlotho und Limberg, erhielt zwei aus der Ritterschaft bestimmte Landräte.

1806, nach der preußischen Niederlage bei Jena und Auerstedt, mussten u. a. Minden und Ravensberg an Frankreich abgetreten werden, ein Jahr später wurden beide dem neu errichteten Königreich Westphalen unter Jérome Bonaparte, dem Bruder Napoleons, unterstellt. Neu gebildete Departements und Distrikte lösten alte gewachsene Verwaltungsstrukturen ab. Es gab nun einen Distrikt Bielefeld, der dem Weserdepartement im neu entstandenen Königreich angeschlossen war. Gleich hatte sich das Königreich Westphalen dem am 12. Juli 1806 gegründeten Rheinbund angeschlossen. Damit verbunden waren militärische Verpflichtungen, u. a. beim Russland-Feldzug 1812. Aber nicht genug, die bäuerliche Bevölkerung musste französische Lager auch weit außerhalb bis hin nach Magdeburg mit ihren Ernten versorgen. 1813 verhängten die Franzosen über den Bezirk Bielefeld den Blockadezustand, mit anderen Worten, das Militär hatte die Macht übernommen. Das napoleonische Reich zeigte erste Risse. In der Völkerschlacht bei Leipzig vom 16. bis 19. Oktober 1813 siegten die preußischen Truppen mit ihren Verbündeten Russland, Österreich und Schweden über Napoleon.

Einen Monat später marschierten preußische Truppen wieder in die Grafschaft Ravensberg ein, der Krieg aber war noch nicht gewonnen, Europa noch nicht überall von den Franzosen befreit. Die Kämpfe gingen weiter, der Bevölkerung wurden weiterhin kriegsbedingte Lasten aufgebürdet, aber jetzt im Namen Preußens. Geldspenden, Naturalien und Fourageabgaben wurden eingesammelt. Männer im wehrtauglichen Alter wurden zwangsrekrutiert und in Holland und andernorts, u. a. in Brabant eingesetzt. Nach der endgültigen Beendigung der Befreiungskriege 1815 kehrten die preußischen Soldaten in ihre Heimatorte zurück, auch in die Grafschaft Ravensberg. Nicht nur hier wurden die Landwehrregimenter aufgelöst. Auf dem Wiener Kongress vom September 1814 bis Juni 1815 wurde Europa neu geordnet. Preußen erhielt u. a. die Grafschaft Ravensberg zurück, damit verbunden einige Gebiete, die vorher anderweitig zugehörig oder selbständig gewesen waren. Es entstand die Provinz Westfalen mit der „Hauptstadt“ Münster. Allerdings war die Zusammenlegung nicht ganz unproblematisch. Traditionelle Unterschiede waren verbunden mit konfessionellen, sozialen und wirtschaftlichen. Ludwig Freiherr von Vincke (1774-1844) wurde ihr erster Oberpräsident, war verantwortlich für die administrative Eingliederung in den preußischen Staat und engagierte sich vor allem in der kommunalen Selbstverwaltung. Bis zu seinem Tod 1844 war er im Amt.

Gegliedert war die Provinz in die drei Regierungsbezirke Münster, Minden und Arnsberg. Das „Amts-Blatt der Königlich Preußischen Regierung zu Minden“ teilte am 20. Juli 1816 mit, dass die alten Verwaltungsstrukturen zum 1. August desselben Jahres aufgegeben und alle Zuständigkeiten der Regierung in Minden konzentriert werden. Mitte Oktober wurde bekannt gegeben – ebenfalls im Amtsblatt – dass zum 1. November 1816 u. a. der Landkreis Bielefeld unter Führung des kommissarisch eingesetzten Landrates Franz von Borries (1785-1858) gegründet wird. Von Borries war schon unter Napoleon politisch tätig. Ab 1817 war er offiziell ernannter Landrat. Er bekleidete das Amt bis 1837. Dann wechselte er zur Regierung nach Minden.
„An Stelle der erloschenen Regierungskommission trat im Jahre 1816 die landrätliche Verwaltung. Der Kreis war in dieser Zeit zunächst nur ein staatlicher Verwaltungsbezirk, der allein vom Landrat in Minden nach den Weisungen der Bezirksregierung verwaltet wurde. Das Amt des Landrats entstammte preußischer Tradition. Der Landrat war königlicher Beamter mit weitgehenden hoheitlichen Befugnissen, zum anderen war er als eingesessener Rittergutsbesitzer Vertrauensmann der Kreisstände, die sich aus den Fürsten und Herren […] zusammensetzten. Damit war ihm neben seinen staatlichen Obliegenheiten die Pflicht auferlegt, die örtlichen Rechte und Interessen zu wahren und tatkräftig zu fördern“, so zu lesen in der Festschrift zum 150-jährigen Bestehen des Landkreises 1966, herausgegeben vom Landkreis selber. Zum neuen Landkreis Bielefeld gehörten die Stadt Bielefeld, der ehemalige Kanton Bielefeld, der Kanton Brackwede, der Kanton Schildesche mit Theesen, Vilsendorf und Brake, ebenfalls der Kanton Heepen. Teile von Isselhorst (heute Gütersloh) gehörten auch zum Kreis und waren verwaltungsmäßig dem Amt Brackwede angegliedert. Dornberg unterstand dem Amt Schildesche. Nicht üblich für die damalige Zeit war, dass die neu angelegten Verwaltungseinheiten von den kirchlichen abwichen. So waren u. a. Ubbedissen, Lämershagen und Senne II konfessionell dem Kirchspiel Oerlinghausen zugeordnet, obwohl Oerlinghausen dem Fürstentum Lippe zugehörig war.

Im Laufe der Jahrzehnte ergaben sich – aus heutiger Sicht – im Wesentlichen nur moderate Veränderungen in den Verwaltungsstrukturen. Der erste große Einschnitt war 1878 das Ausscheiden der Stadt Bielefeld aus dem Landkreis Bielefeld. Die Stadt hatte schon Anfang 1876 beim Innenministerium den Antrag auf Auskreisung gestellt, mit der Begründung, dass dies für die weitere gedeihliche Entwicklung der Stadt absolut notwendig sei. „Der Minister des Innern hatte darauf erklärt, dass der Antrag […] nicht als unbegründet anzusehen sei, da die in sich geschlossene, leistungsfähige und gewerbereiche Stadt Bielefeld wohl geeignet erscheine, die Aufgaben eines Kreisverbandes zu erfüllen und als selbständiger Stadtkreis begründet zu werden. Die Frage der Bildung des Stadtkreises […] könne aber nicht unabhängig von der Frage der anderweitigen Regelung der Kreisverhältnisse bezüglich der nach dem Ausscheiden der Stadt übrigbleibenden Teile des Kreises verhandelt werden“, ist 1903 in einem Bericht von Fritz Fincke zum 25-jährigen Bestehen der gemeinsamen Kreisverwaltung für den Landkreis und den Stadtkreis zu lesen. Für den „Rest“kreis gab es somit zwei Möglichkeiten, zum einen könne er als selbständiger Landkreis erhalten bleiben, zum anderen zwischen den angrenzenden Kreisen Wiedenbrück, Herford und Halle zur Aufteilung kommen. Nach reichlichem Abwägen bleib der Landkreis erhalten mit der Maßgabe, dass die 1847 zusammen gegründete Kreisparkasse und die Unterhaltung der Kreischausseen weiterhin gemeinsam getragen werden.

Die neue Kreisordnung von 1887 brachte etliche Veränderungen, nicht nur in der Verwaltung, sondern auch in die Vertretung der Landkreise, die nun ein Kommunalverband zur Selbstverwaltung seiner Angelegenheiten wurden. An der Spitze der Kreisverwaltung stand der Landrat, der weiterhin nur von König ernannt werden konnte. Der Kreistag war u. a. dafür zuständig, die Haushaltspläne und Besoldung der Kreisbeamten zu beschließen sowie die Jahresabrechnungen der Verwaltung zu entlasten. Darüber hinaus wählte er den Kreisausschuss und die Kommissionen. Im Wesentlichen hielt sich die Kreisordnung bis zum Ende des Ersten Weltkrieges. Mit dem Beginn der Weimarer Republik verschwanden die Vorrechte der Großgrundbesitzer. Jeder Bürger hatte nun aktives und passives Wahlrecht. Auch die Frauen durften wählen.

1930 fanden die ersten größeren Eingemeindungen in die Stadt Bielefeld statt. Schildesche, Sieker und Stieghorst verloren ihre Gemeinde-Selbständigkeit. Das Amt Gadderbaum wurde vier Jahre später zur amtsfreien Gemeinde mit eigener Ortspolizeibehörde. Auch mit dem Ende des Nationalsozialismus und der Auflösung Preußen kam es ein weiteres Mal zu kleineren Verschiebungen. Mit Else Zimmermann (1907-1995) wurde 1963 erstmalig in Deutschland eine Frau an die Spitze eines Kreistages gewählt. Sie hatte das Amt bis 1967 inne. 1956 erhielt Brackwede Stadtrechte, 1965 folgte Senne II, das zur Sennestadt wurde. Beide Städte konnten ihren Status nicht lange halten. Trotz großer Proteste beider Städte gingen sie zum 1. Januar 1973 mit der großen Gebietsreform, gemeinsam mit dem Kreis Bielefeld, in der Stadt Bielefeld auf.
Quellen
- Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 120,1/Kreis Bielefeld, Nr. 363, Nr. 1800, Nr. 1950
- Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 130,6/Amt Schildesche, Nr. 9
- Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,2/Zeitungen
- Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung
Literatur
- Bielefelds langer Weg zu Großstadt, Ravensberger Blätter, 2003, Heft 2
- Kohl, Wilhelm, Die provisorische Regierungskommission für die Grafschaft Ravensberg in Bielefeld. Eine preußische Behörde der nachnapoleonischen Zeit, in: 70. Jahresbericht des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg, Bielefeld 1975/76, S. 173-211
- Kreis Bielefeld (Hg.), 150 Jahre Landkreis Bielefeld 1816-1966, Bielefeld 1966
- Kreis Bielefeld (Hg.), Kreis Bielefeld – von seiner Gründung 1816 bis zu seiner Auflösung 1972, Bielefeld 1972
- Kreisheimatverein Beckum-Warendorf e.V. (Hg.), Münsterland, Jahrbuch des Kreises Warendorf, Jahrgang 55, Warendorf 2006
- Kreistag des Landkreises Bielefeld (Hg.), Landkreis im Aufbau, Bielefeld 1952
- Leesch, Wolfgang, Geschichte der Verwaltung des Kreises Herford, in: 150 Jahre Landkreis Herford, Herford 1966, S. 9-57
- Schrader, Rudolf, Die politische Geschichte Ravensbergs, in: Minden-Ravensberg. Ein Heimatbuch, S. 11-42, Bielefeld/Leipzig 1929
- Vogelsang, Reinhard, Geschichte der Stadt Bielefeld, Bd. 1, Von den Anfängen bis zum Mitte des 19. Jahrhunderts, Bielefeld 1980
- Vogelsang, Reinhard, Geschichte der Stadt Bielefeld, Bd. 2, Von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des Ersten Weltkriegs, Bielefeld 1988
Erstveröffentlichung: 1.11.2016
Hinweis zur Zitation:
Giesecke, Dagmar, 1. November 1816: Der Landkreis Bielefeld wird geboren, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld,
https://historischer-rueckklick-bielefeld.com/2016/11/01/01112016, Bielefeld 2016