• Dr. Jochen Rath, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek •
Offiziell seit dem 7. Mai 1992 pflegen das polnische Rzeszów und Bielefeld eine Städtepartnerschaft. Was bei Vorgesprächen begonnen hatte mit einem vorsichtigen „Austausch von Wörtern“ in der Hoffnung auf mehr, wie es der damalige Stadtpräsident Rzeszóws, Dr. Ing. Mieczysław Janowski, formulierte, wurde zu einer lebendigsten kommunalen Partnerschaften Bielefelds. Wenige Tage nach dem Polnischen Verfassungstag (3. Mai) besiegelten die Stadtoberhäupter Janowski und Eberhard David die im Vorjahr ausgetauschte Urkunde feierlich und schlossen parallel eine Vereinbarung über Partnerschaft und Zusammenarbeit, die vor allem in Wirtschaft, Kunst, Kultur, Wissenschaft und Bildung sowie Kommunalwirtschaft, Umweltschutz und Gemeindewesen entfaltet werden sollte. David erklärte die „Verlobungszeit“ der beiden Städte für beendet und verpflichtete sie eindringlich: „Nun gilt es, den Partnerschaftsvertrag […] mit Leben zu erfüllen“.

Die in Südostpolen, etwa 80 vor der Grenze zur Ukraine gelegene Hauptstadt der Woiwodschaft Karpetenvorland (Podkarpackie) zählte seinerzeit rund 153.000 Einwohner, 2016 waren es 187.000. Drei Hochschulen und die Staatliche Philharmonie (mit einer landesweit gelobten Akustik) sind kulturelle Leuchttürme der Stadt, deren Hauptgewerbe in der Lebensmittelindustrie, Kühlschrankproduktion und Leichtindustrie lagen, darüber hinaus waren die Staatliche Luftfahrtwerke (Państwowe Zakłady Lotnicze) einer der Hauptarbeitgeber. Deren Ursprünge lagen in den 1930er Jahren, als über ein staatliches Förderprogramm in der damaligen Landesmitte Polens Schwer- und damit auch Rüstungsindustrie konzentriert wurde. Mit dieser Ansiedlung in einer der seinerzeit wirtschaftlich rückständigsten Regionen legte Polen die Basis für den enormen Aufschwung dieses Industriezweiges im Raum Rzeszów, der heute als „Aviation Valley“ zu den sechs größten Flugzeugbau-Clustern weltweit zählt.

Die Ursprünge der lebhaften Verbindung zwischen Rzeszów und Bielefeld sind in den frühen 1990er Jahren zu finden, als die Deutsch-Polnische Gesellschaft in Bielefeld und die Stadt eine kommunale Verbindung zum östlichen Nachbarn suchten. In Rzeszów zählte die örtliche Polnisch-Deutsche Gesellschaft seinerzeit etwa 200 Mitglieder. Den Stein politisch ins Rollen brachte im März 1990 ein Vorschlag der Deutsch-Polnischen Gesellschaft (DPG) Bielefeld e.V., die bereits seit ihrer Gründung 1972 versucht hatte, eine Partnerschaft zu einer Stadt in Polen herzustellen, nach politischen Umbrüchen jedoch endlich die Chance gekommen sah, dieses über Jahrzehnte gescheiterte Vorhaben endlich realisieren zu können. Ende März 1990 regte der Vorsitzende J. Wolfgang H. Ridder bei Oberbürgermeister David sehr konkret eine Verbindung zu Rzeszów an und verwies dafür auf bestehende Kontakte zwischen Hochschulen. Eine zunächst angedachte Partnerschaft mit Lublin stellte Ridder hintan, da sich eine Verbindung mit Oldenburg andeutete – freilich schloss Lublin später Vereinbarungen mit Münster (1991) und Delmenhorst (1992) ab, während Oldenburg sich erst seit 2015 wieder um eine polnische Partnerstadt bemüht.

Nachdem die SPD im April 1990 den Vorschlag der DPG aufgegriffen und sich ebenfalls an den OB gewandt hatte, erörterten im September 1990 mehrere politische Gremien eine Partnerschaft, ehe David Anfang Januar 1991 einen ersten offiziellen Kontakt aufnahm und der Stadtpräsident von Rzeszów, Dr. Ing. Mieczysław Janowski, eine Einladung an Bielefeld aussprach. Am 19. Juni 1991 reiste eine 20-köpfige Delegation mit Oberbürgermeister Eberhard David an der Spitze nach Rzeszów, um eine Städtepartnerschaft vorzubereiten. Zwei Tage vor diesem Besuch war der deutsch-polnische Nachbarschaftsvertrag „über gute Nachbarschaft und freundschaftliche Zusammenarbeit“ abgeschlossen worden, der in Artikel 12 festschrieb, dass beide Staaten der „partnerschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Regionen, Städten, Gemeinden und anderen Gebietskörperschaften […] hohe Bedeutung“ beimessen. Nach dem Besuch schilderte die Neue Westfälische am 25. Juni 1991 ihre Eindrücke unter dem Titel „Charmante Altstadt hinterm Betonwall“ und beschrieb die seit 1989 anhaltenden gesellschaftlich-wirtschaftlichen Entwicklungen und Umbrüche (Stichwort: Solidarnosc) einer Stadt zwischen Wohnsilos sozialistischer Architektur im Außenbereich und einem pittoresken Kern rund um einen Marktplatz mit Rathaus und unterirdischen Gängen aus dem 17. Jahrhundert. Im Länderdreieck Polen-Ukraine-Tschechoslowakei hoffe die aufstrebende Stadt auf eine Scharnierfunktion zwischen Mittel- und Osteuropa.

Im Oktober 1991 folgte ein Gegenbesuch aus Rzeszów. In der Ratssitzung am 17. Oktober 1991 verlasen Oberbürgermeister Eberhard David und der im selben Jahr zum Stadtpräsidenten gewählte Dr. Ing. Janowski, ein gelernter Flugzeugingenieur, den Partnerschaftsvertrag in deutscher und polnischer Sprache und tauschten diesen zunächst aus, die feierliche gemeinsame Ratifizierung sollte später in Rzeszów folgen. Im „Bewusstsein der Geschichte ihrer Völker / wissend um die Geschehnisse der Vergangenheit und in Würdigung der nach dieser Zeit zustande gekommenen freundschaftlichen Beziehungen“ vereinbarten beide Städte eine kommunale Partnerschaft, die durch Kontakte der Bürgerschaften, insbesondere der Jugendlichen, und in Form von direkter Verständigung und Einzelprojekten realisiert werden sollte. Im Januar 1992 bildete sich in Bielefeld ein Kuratorium „Städtefreundschaft Rzeszów/Bielefeld“ mit Pfarrer i.R. Klaus Ilmer-Kephalides als Vorsitzendem. Der Zusammenschluss verstand sich als aktiver Teil der Partnerschaft und wollte mithelfen, die beiden Städte „einander näher zu bringen, Informationen auszutauschen, Kontakte zu Gruppen, Vereinen, Chören und anderen Interessengemeinschaften zu vermitteln, gegenseitige Besuche anzuregen und auf vielen Wegen die Partnerschaft mit Leben zu erfüllen.“

Die feierliche Unterzeichnung fand schließlich am 7. Mai 1992 im Rathaus Rzeszóws statt. Unmittelbar im Anschluss enthüllten die Delegationen im Laubengang des Rathauses den Wappenstein Bielefelds. Der zweisprachige Originalvertrag ist im Alten Rathaus vor dem Rochdale-Raum zusammen mit den anderen Partnerschaftsurkunden Bielefelds ausgestellt. Der Städtepartnerschaftsvertrag Bielefeld – Rzeszów schrieb zunächst eine Zusammenarbeit für drei Jahre fest. Daraus ist mittlerweile eine der lebendigsten und intensivsten partnerschaftlichen Verbindungen Bielefelds mit unterschiedlichsten Begegnungsprogrammen geworden. Auf der offiziellen Ebene finden jährlich Delegationsreisen und -besuche statt, jeweils zu einem aktuellen kommunalen Thema, wie z.B. Wohnungswesen, Schule und Bildung oder Umweltschutz.
Seit 1992 veranstaltet die Stadt Bielefeld regelmäßige Jugendreisen in die polnische Partnerstadt in Kooperation mit dem II. Liceum in Rzeszów. Knappe zwei Monate nach der Besiegelung der Partnerschaft kam eine erste offizielle Jugendgruppe aus Rzeszów nach Bielefeld. Die Jugendlichen leben in Gastfamilien und tauchen in den polnischen Familienalltag ein. Bei den Gegenbesuchen der polnischen Jugendlichen in Bielefeld wird die erlebte Gastfreundschaft erwidert und häufig ergeben sich neue Freundschaften. Wenige Wochen später kickte der VFL Theesen bei einem internationalen Fußballturnier in Rzeszów und anlässlich der Tage der deutsch-polnischen Begegnung gastierte die Folklore-Tanzgruppe Resovia Saltans in Bielefeld. Es folgten noch im selben Jahr u.a. eine Ausstellung eines Rzeszówer Fotografen in der City-Bank und eine Konzertreise des ostwestfälischen Kammerchores. Parallel zum intensivierten kulturellen Austausch bahnten sich weitere Kontakte an. Die FH Bielefeld und die technische Universität Rzeszów unterzeichneten am 13. Juli 1993 einen Kooperationsvertrag, um den Austausch von Studierenden und Lehrenden sowie gemeinsame Forschungsprojekte, Seminare und Tagungen zu fördern.

Dass die sensible Geschichte zwischen beiden Staaten einer freundschaftlichen Beziehung gewichen ist, ist auch Städtepartnerschaften mit ihren vielfältigen Ausprägungen zuzuschreiben. Dass die Geschichte jedoch ein gemeinsames Erbe ist und nicht vergessen werden darf, spiegelt sich auch in Dokumenten im Stadtarchiv Bielefeld wieder. Ende 2012 zeigten das Helmholtz-Gymnasium und die Zespół Szkół Ekonomicznych gemeinsam mit dem Staatsarchiv Rzeszów und dem Stadtarchiv Bielefeld die zweisprachige Ausstellung „Vier Wochen im September – Die Stadtgesellschaften Rzeszów und Bielefeld 1939“ parallel in beiden Städten. Schülerinnen und Schüler hatten in den örtlichen Archiven recherchiert und unter Anleitung Ereignisse und Strukturen dieses Zeitraums in beiden Städten untersucht. Eine Zufallsüberlieferung im Stadtarchiv Bielefeld lieferte dabei eindrückliche Fotodokumente aus Rzeszów 1940/41. In dieser Zeit lag eine vor allem im Raum Ravensberg/Bielefeld aufgestellte Wehrmachtseinheit des Infanterie-Regiments 648 in der damals 42.000 Einwohner zählenden Stadt. Zur Kompanieführung zählte Wilhelm Kurzhahn (1895-1968), der zuvor in führender Position in der Handwerkskammer Bielefeld beschäftigt gewesen war und ein Fotoalbum ü ber seine Kriegserlebnisse anlegte. In Rzeszów fotografierte Kurzhahn u. a. ein „Jüdisches Begräbnis“, wohl eines der letzten Bildzeugnisse der jüdischen Kultur in der Stadt bis 1945 und bildete Kasernen-Appelle, Aufmärsche der Militärkapelle („Klingling, bumbum und tschingdada“) vor dem mit einer Hakenkreuz-Fahne beflaggten Rathaus und die „Waisenhaus-Kaserne“ ab.

Mehrere weiterführende Schulen in Bielefeld unterhalten eigenständige Kontakte mit polnischen Partnerschulen mit wechselseitigen Begegnungen und Unterrichtsprojekten – die Zespół Szkół Ekonomicznych und das Rudolf-Rempel-Kolleg stehen seit 2013 im regelmäßigen Austausch. An der Universität und der Fachhochschule Bielefeld studieren zahlreiche junge Menschen aus Rzeszów, und europäische Förderprogramme ermöglichen einigen Studierenden mehrmonatige Praktika in Bielefeld. Der Bielefelder Kinderchor hat vor einigen Jahren sein Können bei einem Konzertbesuch in Rzeszów ebenso gezeigt wie die Bielefelder Philharmoniker. Künstler aus Rzeszów stellten ihre Arbeiten im Bielefelder Rathaus aus und Bielefelder Künstler in der Galerie im Rathaus in Rzeszów. Auf dem Leinewebermarkt bot das Swingorchester der Musikschule Nr. 2 aus Rzeszów 2008 einen musikalischen Beitrag als Gegenleistung für einen Konzertbesuch der Big Band der Musik- und Kunstschule Bielefeld.
Quellen
- Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 102,1/Oberbürgermeister, Nr. 1585: Städtepartnerschaft Rzeszów/Polen, 1992/93
- Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 102,1/Oberbürgermeister, Nr. 1586: Städtepartnerschaft Rzeszów/Polen, 1991
- Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 103,5/Presse- und Verkehrsamt, Nr. 441: Städtepartnerschaft mit Rzeszów, 1991
- Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 103,5/Presse- und Verkehrsamt, Nr. 445: Städtepartnerschaft mit Rzeszów, 1992-1995
- Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 103,5/Presse- und Verkehrsamt, Nr. 450: Städtepartnerschaft mit Rzeszów, 1992
- Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 103,5/Presse- und Verkehrsamt, Nr. 451: Städtepartnerschaft mit Rzeszów, 1992
- Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 103,5/Presse- und Verkehrsamt, Nr. 465: Städtepartnerschaft mit Rzeszów, 1990-1993
- Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 103,5/Presse- und Verkehrsamt, Nr. 467: Städtepartnerschaft mit Rzeszów, 1992-1993
- Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 103,5/Presse- und Verkehrsamt, Nr. 479: Städtepartnerschaft mit Rzeszów, 1990-1991
- Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 103,5/Presse- und Verkehrsamt, Nr. 502: Städtepartnerschaft mit Rzeszów, 1991
- Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,4/Nr. 77: Fotoalbum des Hauptmanns Wilhelm Kurzhahn (1895-1968) über das Landesschützen-Bataillon XXIV/VI, später Wach-Bataillon Infanterie-Regiment 648, danach Landesschützen-Bataillon 415, 1939-1943
- Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,10/Zeitgeschichtliche Sammlung, Nr. 5391: Städtepartnerschaften mit Bielefeld, 1992-2011
Literatur
- Rath, Jochen (Red.), Vier Wochen im September – Die Stadtgesellschaften Rzeszów und Bielefeld 1939 – Cztery tygodnie września – Społeczeństwa miast Rzeszowa i Bielefeldu 1939 (Bielefelder Beiträge zur Stadt und Regionalgeschichte, Bd. 23), Bielefeld 2012
- Stadt Bielefeld, Pressestelle/Städtepartnerschaften (Hg.), Bielefeld: Die Partnerstädte. Rochdale, Enniskillen, Concarneau, Nahariya, Nowgorod,Rzeszów, Esteli, Bielefeld 1998
Erstveröffentlichung: 1.5.2017
Hinweis zur Zitation:
Rath, Jochen, 7. Mai 1992: Feierliche Unterzeichnung der Städtepartnerschaftsurkunde Rzeszów – Bielefeld, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld, https://historischer-rueckklick-bielefeld.com/2017/05/01/01052017, Bielefeld 2017