22. März 1924: Gründung der Freimaurerloge „Freiherr vom Stein“

• Anna Vogt, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld •

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„Bijou“ (Logenabzeichen) der Loge „Freiherr vom Stein“; Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung, Nr. 95-005-042

Eine eigene Sprache, besondere Symbole und Rituale: Die Freimaurerei umwittert bis heute eine gewisse Faszination. Am 22. März 1924 wurde die Bielefelder Freimaurerloge „Freiherr vom Stein“ gegründet. Die sogenannte Lichteinbringung, mit der auch die rituelle Begründung einer Loge nach den Regeln der Freimaurerei erfolgt, fand am 22. Juni 1924 statt. Anlass der Logen-Gründung war die steigende Mitgliederzahl der bereits seit 1844 in Bielefelder bestehenden Freimaurerloge „Armin zur deutschen Treue“: Mit über 220 Mitgliedern war in der Loge „Armin“ kein persönlicher Austausch mehr möglich, die Loge war zu groß geworden. In der Folge schlossen sich 48 Mitglieder zur Gründung einer zweiten Bielefelder Loge zusammen.

Die Anfänge der Freimaurerei in Deutschland

Die erste Großloge der Freimaurer entstand 1717 in London, in Deutschland gründete sich 1737 in Hamburg eine erste Loge. Bis heute finden sich in den als eingetragene Vereine organisierten Logen Personen zusammen, die Ideale wie Glaubens- und Meinungsfreiheit teilen und diese durch Brüderlichkeit und soziales Engagement verwirklichen wollen. Zentral ist das Motiv der persönlichen Befreiung durch Selbsterkenntnis. Als Zeichen der Verbundenheit nennen sich Freimaurer untereinander „Brüder“, ferner werden bei den Zusammenkünften („Tempelfeiern“) besondere Rituale in einem Fremden unzugänglichen Versammlungsraum, dem Tempel, gepflegt. Da die Aufnahme in eine Loge nur auf Vorschlag erfolgt, umgibt den scheinbar im Verborgenen agierenden Bund bis heute etwas Geheimnisvolles.

Die 1844 gegründete Bruder-Loge „Armin zur deutschen Treue“

Die Bielefelder Freimaurerloge „Armin zur deutschen Treue“ war 1844 unter dem noch immer nachhallenden Eindruck der Französischen Revolution und aufklärerischer Gedanken gegründet worden. Ihr vorangegangen war das Gastspiel einer Mindener Loge: Von 1794 bis 1800 hatte die eigentlich in Minden beheimatete Loge „Aurora“ für sechs Jahre ihren Sitz in Bielefeld, da die Stadt für viele Mitglieder günstig lag. Zwar kehrte die 31 Mitglieder zählende Loge am 4. Juli 1800 zurück nach Minden – der Weg für eine eigene Bielefelder Loge war seitdem jedoch geebnet.

Am 18. September 1844 erteilte die Mutterloge „Zu den Drei Weltkugeln“ ihre Zustimmung zur Gründung einer Bielefelder Tochterloge. Kurze Zeit später, am 22. Dezember, erfolgte die Lichteinbringung. Meister vom Stuhl war der damals 46-jährige Postdirektor Carl Gustav Spangler. Unmittelbar nach der Gründung zählte die Loge 28 Mitglieder, wobei nur aufgenommen wurde, wer die preußische Staatsregierung anerkannte. Auch Atheisten und Juden und Frauen waren nach den Regeln der Mutterloge nicht zugelassen, erst in den 1870er-Jahren war es Juden möglich, als „ständig Besuchende“ den Versammlungen beizuwohnen.  

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Zeichnung des Logenheims an der Brüderstraße, um 1932; Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung, Nr. 11-0623-005

Ein eigenes Logenhaus stand der Loge „Armin“ nicht zur Verfügung. Stattdessen wurden zunächst Räumlichkeiten des Posthalters Emil Wessel im Spiegelschen Hof/Wesselschen Hof an der Kreuzstraße Nr. 648 (heute Kreuzstraße Nr. 20) genutzt, ab Mai 1864 trafen sich die 93 Freimaurer in einem Gartenhaus des Hotels „Zu den drei Kronen“ in der Obernstraße Nr. 42. Am Geburtstag des Kronprinzen Friedrich-Wilhelm (1831-1888), dem 18. Oktober 1874, erfolgte schließlich die Grundsteinlegung zu einem eigenen Logenhaus. Das Grundstück an der damaligen Schulstraße Nr. 5, benannt nach der 1856 errichteten Cecilienschule, wurde in der Folge in „Brüderstraße“ umbenannt (seit 1934 Elsa-Brändström-Straße). Die Lichteinbringung wurde am 28. November 1875 im Beisein zahlreicher befreundeter Logen gefeiert. Durch die Präsenz eines eigenen Logengebäudes festigte die Loge „Armin“ ihre Stellung und wirkte mit Veranstaltungen und Wohltätigkeits-Konzerten auch in die Stadtgesellschaft hinein. Der Erste Weltkrieg führte zu einem jähen Einschnitt im Logenleben, doch kam es nach Kriegsende zu einem regelrechten Aufleben der Loge, was zu einem Andrang von Interessierten führte, sodass allein 1922 sogar 22 Neuaufnahmen erfolgten.

22. März 1924: Gründung der Loge „Freiherr vom Stein“

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Der Architekt und Freimaurer Bernhard Kramer, Fotograf: Parkenius; Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung, Nr. 61-011-117

Aufgrund der steigenden Mitgliederzahl im „Armin“ wurde 1924 die Logenteilung beschlossen. Vorbereitet wurde die Neugründung von neun Brüdern, die im Hotel Kaiserhof die Planungen vorantrieben: Handelslehrer Karl Adolph (1871-1938), Bergbau-Ingenieur Erich Awe (1883-1967), Studienrat Walter Graf (1889-1960), Architekt Paul Griemert (1883-1949), Tierarzt Hugo Hohmann (1874-1954), Zollrat Hermann Lucke-Kramer (1890-1965), Fabrikant Willy Molsen (1889-1948), Staatsanwaltschaftsrat Anton Spancken (1883-1928) und Fabrikant August Wolff (1872-1942). Mit der Wahl des Staatsmanns Freiherrn vom Stein (1757-1831) als Namensgeber der altpreußischen Loge würdigten die Gründer die Verdienste des Staats- und Verwaltungsreformers. Zudem war von Stein selbst Freimaurer. Zum Meister vom Stuhl wählten die 48 Gründungsmitglieder den Architekten und Stadtverordneten Bernhard Kramer (1869-1953). Noch heute erinnert im Bielefelder Osten, unweit der Eckendorfer Straße, eine 1955 nach Kramer benannte Straße an den Freimaurer.

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Arbeitsplan der Loge „Stein“ aus dem Jahr 1933; Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 300,7/Kleine Erwerbungen, Nr. 508

Die für die neue Loge benötigten Ritualgegenstände gestalteten die Brüder in Zusammenarbeit mit Künstlern selbst: Den Entwurf für die Abzeichen der Ordner und Schaffner sowie für drei Säulen aus Eichenholz lieferte der Bildhauer und Freimaurer Karl Altenbernd (1887-1967), einen in den Tempelfeiern genutzten Teppich gestaltete Karl Hasenclever (1878-1958) gemeinsam mit der Künstlerin Gertrud Kleinhempel (1875-1948), die auch die Ausführung des Teppichs an der hiesigen Kunst- und Gewerbeschule übernahm.

Bereits die ersten Jahre der noch jungen Loge waren beeinflusst durch ein gesellschaftliches Klima, das von zusehends deutschnationalen Gedanken geprägt war. In Teilen der Öffentlichkeit wurde die Niederlage des Ersten Weltkriegs mit Juden, Freimaurern und Jesuiten in Verbindung gebracht. Insbesondere der General und Politiker Erich Ludendorff (1865-1937) hetzte gegen die Freimaurerei und unterstellte, die Logen und andere „überstaatliche Mächte“ beabsichtigten, die Weltherrschaft an sich zu reißen. Derartige Diffamierungen nährten in der Öffentlichkeit ein Misstrauen gegenüber der Freimaurerei.

Die Loge zur Zeit des Nationalsozialismus

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Noch 1939 wurde in der NS-Propagandaschrift „Schulungsbrief“ gegen die „undeutsche Seelenhaltung der Freimaurerei“ gehetzt; Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 300,7/Kleine Erwerbungen, Nr. 1011

Mit der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten 1933 geriet die Freimaurerei endgültig in Misskredit. Die Existenz einer Gemeinschaft, die sich aufgrund ihres abgeschotteten Agierens schlecht kontrollieren und instrumentalisieren ließ, war den Nazis ein Dorn im Auge. Die Freimaurerei wurde verboten, es kam zu Übergriffen und Plünderungen. Nur wenige Monate nach der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler, sandte Logenmeister Kramer am 13. April 1933 eine Nachricht an seine Brüder, in der er über die Umbenennung informierte – eine Maßnahme, die mit der Hoffnung verbunden war, den Repressionen zu entgehen:

„An alle Mitglieder und ständig Besuchenden der bisherigen Loge Freiherr vom Stein.
Nach einer Mitteilung vom 11.4.33 der bisherigen Großen Nationalen Mutterloge Zu den drei Weltkugeln heißt diese fortab „Nationaler christlicher Orden Friedrich der Große.“ Freimaurerlogen und Logen überhaupt gibt es nicht mehr. Unsere Vereinigung heißt „Ordensgruppe Freiherr vom Stein“. Die ritualmäßigen Arbeiten werden in den nächsten Wochen ruhen. Über das Weitere wird Ihnen nach näherer Mitteilung des Ordens Nachricht zugehen. Unsere geselligen Abende bleiben bestehen, ebenso wird das für den 22. d.M. angesetzte Schwesternfest stattfinden.“

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„Logenhaus besetzt – SA in der Brüderstraße“ vom 28. Juni 1933; Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,1/Westermann-Sammlung, Nr. 49

Trotz des abwartenden Handelns kam es bereits am 27. Juni 1933 zu einem ersten Übergriff: Während einer Versammlung zum in „Sonnenwendfest“ umbenannten Johannisfest besetzten SA-Männer das Logenhaus. Einem Bericht Bernhard Kramers zufolge drangen 50 Mann in das Haus ein und stürmten das Klubzimmer und den großen Saal. Die Polizei lehnte es ab, etwas gegen den Angriff zu unternehmen. Nur auf persönliches Einwirken des Bürgermeisters Fritz Budde (1895-1956) erfolgte die Rückgabe eines gestohlenen Meisterhammers. Ein Jahr später, am 30. Juni 1934, kam es zu einem erneuten Angriff, bei dem rund 70 SA-Männer gewaltsam in das Logengebäude drangen, eine ätzende Flüssigkeit versprühten und Einrichtungsgegenstände zerstörten. Nachdem 1935 das Gebäude der Mutterloge „Zu den drei Weltkugeln“ in Berlin beschlagnahmt wurde, musste man sich dem Auflösungsdruck schließlich ergeben: Am 16. Juni 1935 billigte die Mutterloge die deutschlandweite Auflösung aller Logen. Direkt danach fiel auch in Bielefeld bei der Loge „Stein“ am 16. Juli 1935 der Auflösungsbeschluss, die Loge „Armin“ kam am 17. Juli 1935 zusammen, um die Loge zu liquidieren. Als Abschiedsfeier von der Freimaurerei begingen die zwei Bielefelder Logen gemeinsam mit der Detmolder Loge „Zur Rose am Teutoburger Wald“ am 13. Juli 1935 im Detmolder Logenhaus noch das Johannisfest – unter behördlicher Beaufsichtigung. Meister Kramer gab in seiner Abschiedsrede zu bedenken: „Der Freimaurerbund hat aufgehört zu existieren, die freimaurerische Idee, die keinen Anfang genommen hat, wird auch kein Ende nehmen.“ – eine Botschaft, die angesichts der Überwachung der Veranstaltung, besonders mutig erscheint.

Nach der Auflösung 1935 verkaufte die Loge das Haus an der Brüderstraße unter dem Druck der Nazis an das Deutsche Rote Kreuz – kurz vor Kriegsende zerstörte ein Bombentreffer das Gebäude. Die Gestapo beschlagnahmte Bücher, Akten und das Inventar, bevor das Material zur Auswertung für die sogenannte „Gegner-Forschung“ des Reichssicherheitshauptamtes der SS nach Berlin gelangte. Heute befindet sich ein Teil der Dokumente der Loge „Stein“ im Geheimen Staatsarchiv Berlin (Bestand Nr. 10.3.1.3/Tochterlogen, Nr. 5.2.B.93 Johannisloge „Freiherr vom Stein“ Bielefeld). Erst im Juni 2017 konnten zwei Bücher aus der ehemals über 1.000 Bände umfassenden Bibliothek der Loge „Armin“ von der Zentralen Landesbibliothek Berlin an die Loge zurückgegeben werden – in der Landesbibliothek waren sie im Rahmen der Provenienzforschung als unrechtmäßiges Eigentum identifiziert worden.

Mit der Auflösung der Logen waren die Schikanen nicht überwunden. So gingen Abfragen an Schulen, welche Lehrer Freimaurerlogen angehörten. Am Bielefelder Ceciliengymnasium durften unter anderem die Studienräte Dr. Hermann Menn (1891-1970), Walther Graf (1889- 1960) und Friedrich Schlüer (1893-1989) „in Rücksicht auf ihre frühere Zugehörigkeit zum Freimaurerorden“ nicht mehr die Referendarausbildung übernehmen. Auf den Hinweis des Oberstudiendirektors Dr. Karl Hahn (1881-1968), alle drei Lehrer seien Frontkämpfer gewesen und politisch unverdächtig, durften die Lehrer zumindest noch im Beisein der Referendare unterrichten – gutachterliche Tätigkeiten waren jedoch untersagt.

Der ‚Meister vom Stuhl‘ Bernhard Kramer (1869-1953)

Die Anfeindungen trafen auch den ehemaligen Meister der Loge „Stein“ persönlich. Seit 1901 erledigte der Architekt für die Gemeinde Brackwede die baupolizeilichen Untersuchungen, prüfte Bauanträge und erledigte die Bauabnahmen. Zudem zeichnete er für zahlreiche Gemeindebauten verantwortlich – im Gegenzug war ihm die Annahme von Privataufträgen untersagt.

Die NSDAP Brackwede, geführt von Fraktionsführer Fritz Meyer, reichte im Juli 1933 einen Antrag in die Amtsversammlung ein, den Architekten Kramer seiner Funktion zu entheben. „Architekt Kramer ist Freimaurer, außerdem besitzt er eine gutgehende Praxis in Bielefeld (…). Gegenüber diesem wohlhabenden Manne, besitzt Brackwede Baufachleute mit gleicher Vorbildung wie Kramer, die jedoch in schlechteren wirtschaftlichen Verhältnissen leben und als deutsche Männer bekannt sind.“ Anstelle des Architekten Kramer solle ein Brackweder Architekt von gutem Ruf die Stelle künftig wahrnehmen: „Das Amt würde dadurch erhebliche Ersparnisse erzielen und einen wirtschaftlich nicht gut gestellten Mitbürger in Arbeit und Lohn und Brot bringen, während Herr Kramer sehr gut von seinem Vermögen leben kann.“ Sehr deutlich schwingt in dem Wortlaut das Misstrauen gegenüber einem gut situierten Freimaurer mit. Tatsächlich wurde dem Antrag stattgegeben und die Auflösung des Vertrags mit Kramer beschlossen.

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Schreiben Kramers v. 3.10.1933; Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 130,2/ Amt Brackwede, Nr.2375

In einer Antwort an den Amtsbürgermeister Hermann Bitter (1893-1945) schrieb Kramer: „Ich darf darauf hinweisen, dass bei den Bauten, die ich in den 32 Jahren meiner Tätigkeit geprüft habe und kontrolliert habe, nicht ein einziger Bauunfall vorgekommen ist […].“ Dennoch erhielt er am 29. September 1933 seine Kündigung. Mit einem dreiseitigen Antwortschreiben versuchte Kramer noch, die Entscheidung rückgängig machen zu lassen: Explizit erkundigte er sich, ob seine Kündigung etwas mit seiner Logenzugehörigkeit zu tun habe. In einer zehn Punkte umfassenden Aufzählung unterstrich er den „treudeutschen“ und antijüdischen Charakter der Logen („Juden sind niemals in die Grossloge zu den 3 Weltkugeln und deren Tochterlogen aufgenommen worden.“) und verwies auf die bedingungslose Unterstellung der Logen unter den Führerwillen. Zum Nachweis der Regimetreue erklärte Kramer ferner, dass das im August 1933 eingeweihte Horst-Wessel-Denkmal in der Nähe des Stillen Friedens vom Freimaurer und Architekten Paul Griemert (1883- 1949) ausgeführt worden sei, der dafür sogar auf eine Vergütung verzichtet habe. Die Steinmetzarbeiten habe der Freimaurer Franz Beckord (1896-1960) verrichtet. Die Beteuerungen änderten nichts: Mit dem Hinweis, die Kündigung habe mit der Zugehörigkeit zu einer Loge nichts zu tun, verlor Kramer zum Jahresende 1933 seinen Job. Ein zynisches Dankesschreiben für die sehr guten langjährigen Dienste beschloss den Vorgang. Eindeutig war Kramer seine Zugehörigkeit zu den Freimauren zum Verhängnis geworden.

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Ehrenurkunde für den Freimaurer Bernhard Kramer, Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 300,7/Kleine Erwerbungen, Nr. 509

Ein durch die erlittenen Repressionen begründetes Abwenden von der Freimaurerei erfolgte bei Kramer nicht, ganz im Gegenteil: Unmittelbar nach Kriegsende setzte er sich für die Wiederbegründung der Loge ein, weshalb ihm die Brüder der Loge „Zu den drei Sparren“ anlässlich seines 80. Geburtstags am 26. Januar 1949 ein Gedenkblatt schenkten, das ihn als Hüter maurerischen Geistes rühmte.

Neubegründung der Loge nach dem Zweiten Weltkrieg

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Ansichtskarte des Hotel Ravensberg in Schildesche, im Hintergrund die Stiftskirche; Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,6/Ansichtskarten, Nr. 609

Der Zweite Weltkrieg hatte gerade sein Ende gefunden, da begannen die ehemaligen Freimaurer die Wieder- und Neugründung von Logen. Am 15. Oktober 1945 fand hierzu ein erstes Planungstreffen im Bielefelder Ratskeller statt. Nachdem dieser durch das Militär beschlagnahmt worden war, fanden weitere Zusammenkünfte der Ehemaligen im Ausflugslokal „Brakensieks Parkgarten“ in der Nähe des Bürgerparks an der Werther Straße Nr. 116 statt. Doch erst das „Hotel Ravensberg“ in Schildesche konnte – zumindest vorübergehend – den Freimaurern einen neuen Versammlungsort bieten. Am 3. März 1947 gründete sich in dem Hotel zunächst die neue Loge „Zu den drei Sparren“– 136 Gründungsmitglieder gehörten ihr an. Als Meister wurde Oberstudiendirektor Paul Müller (1894-1966) gewählt. Der Neugründung hatte die Britische Militärregierung am 18. Januar 1947 zugestimmt. Am 12. Mai 1947 erfolgte die Lichteinbringung – damit hatte die erste Bielefelder Loge der Nachkriegszeit ihre Arbeit aufgenommen.   

Als das Zentraljustizamt für die britische Zone vier Monate später, am 15. September 1947, eine Anordnung über die Wiederherstellung aufgelöster Vereine erließ, erfolgte die Aufteilung der Sparren-Loge in die beiden vorherigen Logen „Armin zur deutschen Treue“ und „Freiherr vom Stein“. Im Juli 1949 nahm 37 Mitglieder der Loge „Stein“ wieder ihre Arbeit auf, am 14. Oktober 1950 leuchteten im „Armin“ wieder die Lichter.

Das Logengebäude in der Lessingstraße

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ie Freimaurer Eduard Wolf, Erich Awe und Cornelius Nuyken setzten sich für den Kauf des Hauses an der Lessingstraße ein; Erinnerungsblätter zum 40. Stiftungsfest der Johannisloge Freiherr vom Stein, LgB J 80 34

War die Nutzung des Hotels Ravensberg zunächst eine gute Übergangslösung, wurden die Räumlichkeiten mit steigender Mitgliederzahl jedoch rasch zu klein. 1954 zog die Loge „Armin“ in das wiederaufgebaute Hotel „Drei Kronen“ in der damaligen Missundestraße in der Nähe des Hauptbahnhofs (heute befindet sich hier die Stadthalle), die Loge „Stein“ blieb im Hotel Ravensberg, wobei die Frage nach einem geeigneten Versammlungshaus mehr und mehr drängte. Unter anderem wurden mit den Vereinen „Ressource“ und „Eintracht“ Verhandlungen geführt, um zur Untermiete deren Räumlichkeiten mit zu nutzen. Als dem Bruder Cornelius Nuyken (1898-1985), Begründer der pharmazeutischen Handelsgesellschaft Bie-Dro, der Loge „Stein“ jedoch das Angebot zum Kauf der Villa an der Lessingstraße Nr. 3 „zu vorteilhaften Bedingungen bei sofortiger Barzahlung“ mitsamt einer abtrennbaren Bauparzelle angeboten wurde, war man von den vermeintlich neuen Räumlichkeiten sehr angetan, wie es in einem Memorandum zum Erwerbs des Grundstücks heißt:

„Nach einer eingehenden Besichtigung durch Brr. beider Logen wurde einhellig festgestellt, daß das Gebäude in Bauart und -ausführung von hervorragender Qualität und als Logenhaus geeignet sei. Vom Stein lag der Entschluss zuzugreifen gemäß der außerordentlichen Mitgliederversammlung vom 11.11.55 schnell vor. Von Seiten des Armin stand man positiv zu seinem Kaufinteresse.“

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Das Logenhaus an der Lessingstraße, Ecke Lortzingstraße; Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,10/Zeitgeschichtliche Sammlung, Nr. 4267

Mit dem Kauf im November 1955 verfügten die Bielefelder Logen wieder über ein eigenes Haus. Dass sich das Gebäude an der Lessingstraße befand – der Dichter Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781) war selbst Freimaurer – ist dem Zufall geschuldet.

So geeignet das neue Haus den Logenbrüdern 1955 schien, so wechselvoll und von Unrecht geprägt war seine Geschichte: Der Kaufmann Benjamin „Benno“ Katz (1874-1934) hatte das heute denkmalgeschützte Haus als Privatvilla für seine Familie gebaut und war im Juni 1925 eingezogen. Katz war Begründer des seit 1923 bestehenden Textilunternehmens KATAG (Katz Textil-Aktiengesellschaft). Nach seinem Tod 1934 übernahm Sohn Willy Katz (1902-1941) die Geschäfte. Die Nationalsozialisten zwangen den jüdischen Unternehmer jedoch aus Deutschland. Im August 1939 gelang es Willy, noch zusammen mit seiner Frau Vera und dem Sohn Peter nach England zu emigrieren. Das Haus wechselte in der Zwischenzeit mehrmals den Besitzer, bis es schließlich die Freimaurer 1955 erwarben – das Haus eines jüdischen Unternehmers, das dieser im Zuge des Verfolgungsdrucks der Nazis zwangsweise räumen musste. Die Freimaurer gaben ihrer neuen Wirkungsstätte den Namen „Lessinghaus“, um auf den deutschen Dichter und Freimaurer Lessing zu verweisen. In dem „Memorandum über den Erwerb des Grundstücks Lessingstr. 3 durch die Logen Armin z.d. Treue und Freiherr vom Stein“ 1958 hieß es abschließend, dass der Erwerb nicht nur ein wirtschaftlicher Gewinn sei, ferner erhöhe das repräsentative Gebäude „die Werbekraft unserer Ideen und unterstützt unsere Bestrebungen, kulturell wertvollen Veranstaltungen auch einen entsprechenden Rahmen zu geben.“

Die Entwicklung der Loge in der Nachkriegszeit
Das neue Logenheim wurde in der Nachkriegszeit zum Treffpunkt der hiesigen Freimaurerlogen. Neben den maurerischen Zusammenkünften wurde es auch für Filmvorträge, Konzerte und Ausstellungen genutzt. Mit der Gründung der Loge „Britannia“ durch englische Militärangehörige kam 1957 noch eine dritte, christlich-orientierte Loge hinzu, die bis heute ebenfalls ihren Sitz im Lessinghaus hat.

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Titelseite der Publikation „40 Jahre Johannisloge Freiherr vom Stein“, LgB J 80 34

Verglichen mit der Vorkriegszeit hatte die Zahl der Freimaurer zunächst abgenommen: 1962 zählten alle Bielefelder Logen insgesamt 180 Mitglieder. Als die Loge „Stein“ 1964 unter Vorsitz des Meisters Ernst Ebeling (1910-1986) ihr 40jähriges Bestehen feierte, waren von den insgesamt 90 Mitgliedern noch vier Gründungsmitglieder aktiv. Anlässlich des Jubiläums gab die Loge die Schrift „40 Jahre Johannisloge »Freiherr vom Stein« OR, Bielefeld“ heraus, mit dem Bestreben, „dem Geschichtsschreiber in späteren Jahren über die ersten Zeiten unserer Loge ein vollständiges Quellenmaterial zu hinterlassen, für das es nur noch wenige lebende Zeugen gibt.“

Zur Förderung von Studierenden gründeten sieben Brüder der Loge „Stein“ am 30. Juni 1969 das „Sozialwerk Freiherr von Stein Bielefeld e.V.“ (seit 1994: „Sozialwerk Bielefelder Freimaurer“) mit dem Ziel, günstigen Wohnraum zu schaffen. An der Westerfeldstraße 164 a entstand ein Wohnheim für bis zu 30 Studierende. 1981 wurde zusätzlich der Ostmannturm an der Hanns-Bisegger-Str. Nr. 7 zum Studentenwohnheim umgebaut. Auf vier Etagen entstanden 68 Zimmer, die an Studierende – ohne jeglichen Bezug zur Freimaurerei – vermietet werden. Das Gebäude des Wohnheims an der Westerfeldstraße wich 2004 einem Bau der Bielefelder Baugenossenschaft, die Studentenwohnungen im Ostmannturm bestehen bis heute.

Als die Loge „Stein“ 1974 ihr 50. Stiftungsfest beging, lobte der Meister der Schwesterloge „Armin“, Harald Frommholz (1923-2000), die stets brüderliche Zusammenarbeit und ihr gemeinnütziges Wirken. Drei Segenswünsche gab er der Loge mit auf den Weg:

„Möge Eure Bauhütte bewahrt bleiben vor der zerstörenden Gewalt entfesselter Naturkräfte und vor den noch schlimmeren Gefahren ungehemmter menschlicher Leidenschaften, die den festesten Bau zu stürzen vermögen. Möge sie bewahrt bleiben vor dem bleiernen Hang zur Trägheit, die der Menschen edelsten Anstrengungen und Opfer zu nichts zerrinnen läßt. Möge sie stets eine Stätte der Harmonie und des Friedens sein, in brüderlicher Eintracht und ernsthafter Arbeit, im Dienste der Menschheit.“

Weitere Logen-Gründungen

In der jüngeren Vergangenheit kam es zu drei weiteren Logengründungen: 1984 gründete sich die christlich orientierte Loge „Zur Brudertreue im Ravensberger Land“. Auch erste Frauenlogen entstanden: Am 21. April 2007 wurde in Bielefeld die Frauen-Loge „Symbola“ gegründet, die ihren Sitz jedoch in Herford hat. 2016 folgte die Gründung der zweiten Frauen-Loge „Im Zeichen des Opals“. Mit ihrer 100jährigen Geschichte ist die Loge „Freiherr von Stein“ damit heute die zweitälteste Freimaurerloge Bielefelds. 

 

Quellen

  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 100,2/Ältere Akten, Nr. 346: Die Freimaurerloge, 1818-1845
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 102,4/Büro des Rates, Nr. 1946: Einführung und Verpflichtung von Ratsmitgliedern, 1948-1994
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 103,2/Hauptamt, Nr. 768: Zugehörigkeit von Beamten zu Freimaurerlogen, 1935
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 107,2/Schulverwaltungsamt, Nr. 2348: Bosse-Realschule für Jungen. Zugehörigkeit von Lehrern zu Freimaurerlogen, 1913-1969
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 108,5/Bauordnungsamt Hausakten, Nr. 4397: Westerfeldstraße 164, 1924-2004
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 130,2/Amt und Stadt Brackwede, Nr. 2375: Prüfung und Abnahme von Baugesuchen durch den Architekten Bernhard Kramer und Kündigung Kramers, 1899-1934
  • Stadtarchiv Bielefeld, 150,20/Ceciliengymnasium, Nr. 60: Erlasse und Verordnungen von Schulaufsichtsbehörden „Geheime Angelegenheiten“, 1933-1944
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 300,7/Kleine Erwerbungen, Nr. 508: Arbeitspläne der Bielefelder Logen, 1931-1933; Nr. 509: Geburtstags-Gedenkblatt der Loge „Zu den drei Sparren“ für Bruder Bernhard Kramer, 1949-1949; Nr. 533: Einladung der Loge Freiherr vom Stein zu einer Vernissage, 1981; Nr. 1011: Der Schulungsbrief, 1937-1939
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,2/Zeitungen, Nr.
    • 5: Bielefelder General-Anzeiger, v. 8.1933 (Grundsteinlegung Horst-Wessel-Denkmal)
    • 13: Freue Presse v. 7.12.1963
    • 20: Neue Westfälische Volkszeitung, v. 12.1879 (Wohltätigkeitskonzert der Loge Armin)
    • 32: Neue Westfälische v. 22.3.1999 (Loge Freiherr vom Stein feiert 75jähriges Bestehen); 28.6.2008 (Freimaurer stellen sich vor);
    • 41: Der Wächter v. 10.1874 (Grundsteinlegung Brüderstraße); v. 29.11.1875 (Einweihung Logenheim)
    • 48: Bielefelder Kreisblatt v. 12.1863 (Dank der Kleinkinderbewahr-Anstalt);
    • 49: Bielefelder Wochenblatt v. 6.1865 (Dank der Bewohner in Senne für Spende)
    • Bielefelder Tageblatt v. 16.3.1880 (Festfeier zur Geburtstag des Kaisers)
      50: Westfälische Zeitung v. 12.12.1962, 3.1964
    • 54: Westfalen Blatt v. 12.9.1961, 20.3.1999 (Bericht über die Geschichte der Loge)
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,10/Zeitgeschichtliche Sammlung, Nr. 4267: Einladungskarte Freimaurer-Loge Armin zur Deutschen Treue, 1994; Nr. 5873: Einladung zum Vortrag und Ausstellungseröffnung „150 Jahre“, 1995; Nr. 8556: Einladungskarte Loge „Armin zur deutschen Treue“, 1869

Literatur

  • Armin zur deutschen Treue (Hrsg.), 150 Jahre Freimaurer-Loge Armin zur Deutschen Treue, Bielefeld 1994, LgB J 80 44
  • Franz, Eckhart: Logen-Archive. Darmstadt 2003, LgB J 80 37
  • Frommholz, Harald: 150 Jahre Armin zur Deutschen Treue, Spenge 1994, LgB J 80 43
  • Lindner, Paul: Offener Brief über die Freimaurerei, Bielefeld 1927, LgB J 80 27
  • Geschichte der Johannis-Loge „Wittekind zur Westfälischen Pforte“ in Minden. 1780-1980. Minden 1980, LgB J 80 33
  • 40 Jahre Johannisloge Freiherr vom Stein Bielefeld, Bielefeld 1964, LgB J 80 34
  • Vogelsang, Reinhard: Im Zeichen des Hakenkreuzes. Bielefeld 1933-1945, 3. Aufl., Bielefeld 1986, LgB G 500 184

Andere Archive

Erstveröffentlichung: 01.03.2024

Hinweis zur Zitation: Vogt, Anna, 22. März 1924: Gründung der Freimaurerloge „Freiherr vom Stein“, https://historischer-rueckklick-bielefeld.com/2024/03/01/0103024/ , Bielefeld 2024

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