1. August 1936: Die Inszenierung der Olympischen Spiele in Bielefeld

• Helmut Henschel, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld •

 

Die Olympischen Spiele 1936 – bis heute ein Symbol für die unrühmliche Verquickung von Politik und Sport, für die Vereinnahmung eines sportlichen Großereignisses durch die Nationalsozialisten. Neben der außenpolitischen Wirkung, die unter anderem auf der infamen Inszenierung eines vorgeblich weltoffenen und toleranten Staates basierte, nutzten die Machthaber die Spiele auch, um die eigene Bevölkerung weiter ideologisch zu binden. Wie nie zuvor in der Geschichte wurden eine umfangreiche Medienberichterstattung und eigens dafür geschaffene Infrastrukturen genutzt, um das Sportereignis in das Bewusstsein der „Volksgemeinschaft“ zu rücken. „Olympia, eine nationale Aufgabe“ war die offizielle Devise, die jedem Einzelnen, ganz im Sinne der faschistischen Grundhaltung, das Bewusstsein geben sollte, selbst Teil besagter „Volksgemeinschaft“ zu sein, die für die Austragung der Olympischen Spiele als zwingend notwendig suggeriert wurde. Für dieses Ziel wurden diverse propagandistische Instrumente genutzt, die auch in Bielefeld ihren Einsatz fanden.

1. nationale Aufgabe
Werbeheft des Propagandaausschusses; Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 107,2/Schulverwaltungsamt, Nr. 2225

Dass die Olympischen Spiele 1936 überhaupt in Garmisch-Partenkirchen (Winter) und Berlin sowie Kiel (Sommer) ausgetragen wurden, war einige Jahre zuvor noch sehr fraglich gewesen. Zwar hatte die Vergabe der Spiele 1931 eine breite Mehrheit für Berlin gefunden, jedoch wurden mit der „Machtergreifung“ der NSDAP im Januar 1933 Zweifel laut, ob sich die Richtung der neuen Reichsregierung und der olympische Gedanke überhaupt noch vertrugen. Auch in Parteikreisen selbst war Olympia verpönt. Adolf Hitler hatte 1932 im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen von einem „Komplott aus Freimaurern und Juden“ gesprochen. Dieses Bild wandelte sich, als der Gedanke mehr und mehr an Konturen gewann, die mit dem Sportereignis verbundene internationale Beachtung für die eigene Profilierung zu nutzen. Der Sportfunktionär Hans von Tschammer und Osten (1887-1943), dessen Familie sich nach 1945 in Bielefeld niederließ, ging sogar so weit, in einer Rede unmittelbar vor Eröffnung der Spiele zu behaupten, die „Durchsetzung des olympischen Gedankens“ sei nur in Verbindung mit dem Nationalsozialismus zu leisten gewesen. Da auch internationale Boykottbewegungen mehr oder minder im Sand verliefen und die politischen Kräfte die Diskrepanz in der sich verändernden Haltung der NSDAP zu Olympia nicht erkannten oder erkennen wollten, stand der Ausrichtung der Olympischen Spiele in Berlin durch die Nationalsozialisten nichts mehr im Wege. Mit einer gewissen Vorlaufzeit begann die organisatorische Planung, zugleich aber auch die propagandistische Vorbereitung.

Wie aber gestaltete sich die ideologische Inszenierung des Großereignisses, in dessen Erwartung man stand, ganz konkret vor Ort in Bielefeld? Neben den als „üblich“ zu erwartenden Mitteln wie Sammelalben, Flyern, Werbeprospekten etc. stachen im Zusammenhang mit Olympia einige Ereignisse besonders hervor, die im Folgenden Erwähnung finden sollen.

Bereits im Dezember 1934 stellte das Olympische Komitee einen Entwurf vor, welcher die Beteiligung deutscher Städte bei der Gestaltung des Olympischen Dorfes zum Inhalt hatte. Neben der Einbindung der Kommunen im Hinblick auf die Finanzierung des Großprojekts ging es zusätzlich um die künstlerische Gestaltung der Gebäude im Sinne eines eigenständigen, besonderen Merkmals des im brandenburgischen Elstal etwas außerhalb von Berlin gelegenen Komplexes. So wurde vorgeschlagen, die Quartiere für die einzelnen Mannschaften nach den beteiligten Städten zu benennen und die Außenseite dieser Häuser mit Wandbildern zu gestalten, die einen Bezug zur namensgebenden Stadt herstellten. Damit wurde zugleich einem Erlass des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda Rechnung getragen, der die entsprechende Beteiligung von Künstlern gefordert hatte. Die Reaktion der im Anschluss angeschriebenen Städte war tendenziell eher zurückhaltend bis ablehnend. Bielefeld war die erste Stadt, die bei dem Deutschen Gemeindetag, dem zuständigen Dachverband der deutschen Gemeinden und Gemeindeverbände, wegen der Finanzierung des geplanten Projektes anfragte. Dieses Unbehagen hinsichtlich der Einbringung eigener Geldmittel führte (nicht nur bei Bielefeld) vermutlich dazu, dass das fertiggestellte „Haus Bielefeld“ letztendlich nur mit einer Tonplatte mit dem Motiv eines Spinnrades verziert wurde. Die Westfälischen Neuesten Nachrichten (WNN) berichteten am 9. Juli über die Fertigstellung des Hauses: „Die Innenräume sind mit Wandmalereien aus dem Leben der alten Ravensberger Spinner und Weber und mit Bildern aus der Bielefelder Heimat geschmückt.“ und ergänzten in einem Beitrag vom 1. August: „Über jedem Bett hängt eine Vergrößerung Bielefelder Stadtansichten. Da hängt die Sparrenburg, der Johannisberg, die Oetkerhalle, das Rathaus, auch schöne Altstadt- und Teutoburger-Wald-Motive.“ Es ist gut möglich, dass die Motive dafür in Zusammenarbeit mit der Bielefelder Stadtverwaltung ausgewählt wurden und den ausführenden Künstlern seitens der Verwaltung übermittelt wurden. Ein sicherer Beleg dafür ist aus den überlieferten Akten jedoch nicht herzuleiten. Klar ist jedoch, wer während der Olympischen Spiele in dem Haus wohnte und so einen „Bielefelder Eindruck“ erhielt: Das Team aus Peru wurde dem Haus zugeteilt, blieb aber nicht bis zum Schluss, da die gesamte Mannschaft nach einem Eklat während eines Spieles der Fußballer vorzeitig abreiste. Ob die Mitglieder, wie vorgesehen, die Bilder mit Bielefelder Bezügen mitnahmen, kann nicht sicher gesagt werden. Bereits vorher stand fest, dass ein vom VfB 03 Bielefeld geplantes Fußballspiel zwischen dem eigenen Team und den Peruanern in Bielefeld wegen der strengen Regularien des eigenen Verbandes nicht wie vom Verein gewünscht stattfinden konnte, da ein Spiel zwischen einer Vereinsmannschaft und einer nationalen Auswahl nicht zulässig war. Das „Haus Bielefeld“ wurde Jahrzehnte später abgerissen.

2. Olympiahaus Bielefeld entr 1
Bericht der WNN über das „Haus Bielefeld“ im Olympischen Dorf vom 9. Juli 1936; Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,2/Zeitungen: Westfälische Neueste Nachrichten (9. Juli 1936)

Zur architektonischen Konzeption des Berliner Olympiageländes selbst gehörte unter anderem ein Glockenturm, der wie auch die weiteren Bauwerke von Werner March (1894-1976) entworfen wurde. Die dazugehörige Glocke mit der Innschrift „Ich rufe die Jugend der Welt“ wurde in Bochum durch den Bochumer Verein für Bergbau und Gußstahlfabrikation (BVG) gegossen und im Januar 1936 aus dem Ruhrgebiet nach Berlin überführt. Diese Fahrt mit im Reich verteilten Haltepunkten wurde zur propagandistischen Ouvertüre in das olympische Jahr instrumentalisiert, indem unter anderem im Radio regelmäßig über den Transport berichtet wurde und so nicht nur die Bürger der beteiligten Städte, sondern alle Interessierten Anteil an der Präsentation der Glocke nehmen konnten (und sollten). Auch in Bielefeld machte der Zug halt, so dass die Glocke am 17. Januar auf dem damaligen Schillerplatz zwischen Rathaus und Stadttheater präsentiert werden konnte. Begleitet von einem Aufgebot des 4. Reviers der Bielefelder Polizei kam der Trecker der Reichsbahn inklusive der Glocke, die Stadtgrenze an der Gütersloher Straße passierend, gegen ca. 20 Uhr auf dem Schillerplatz an. Die beiden heimischen Tageszeitungen berichteten von einer großen Menge erwartungsvoller Bielefelder, bestehend aus Bürgerinnen und Bürgern sowie Funktionären der verschiedenen Parteigliederungen, die sich auch vom schlechten Wetter und Schneetreiben nicht abhalten ließen. Jedoch führte das Wetter dazu, dass ein Teil des Programms gestrichen werden musste. Darunter fiel jedoch nicht die Rede des „Führers des Reichsbundes für Leibesübungen, Ortsgruppe Bielefeld“ Emil Casselmann (1898-1973), Lehrer des hiesigen Gymnasiums. Seine Worte sind in der Retroperspektive grotesk, obskur und erschreckend zugleich; neben dem zu erwartenden Loblied auf die „deutsche Werkmannsarbeit“ bemerkte er nämlich: „Mögest du deine machtvolle Stimme laut werden lassen zum friedlichen Tun, und möge dein Klang von Deutschland aus in die unruhevolle, haßerfüllte und waffenklirrende Welt hinausschallen und die Völker der Erde ermahnen, daß es höhere Ziele gibt, als Ländergier und Kriegsgeschrei.“ Das arrangierte nationalsozialistische Narrativ eines friedlichen Volkes, welches den Frieden und die Völkerverständigung fördert, fand so auch lokal und regional Ausdruck und Beachtung. Die Glocke selbst wurde für die Nacht auf dem Kesselbrink deponiert und am nächsten Tag auf ihrem Weg nach Berlin nach Stadthagen im Schaumburger Land verbracht. Nach Beendigung der Spiele blieb sie im Glockenturm auf dem Reichssportfeld hängen (und ging nicht auf Reisen durch die ganze Welt, um erst nach 150 Jahren wiederzukehren, wie Emil Casselmann es beschworen hatte), wodurch sie im Krieg irreparable Schäden erlitt. Sie steht heute als Denkmal auf dem Olympiagelände.

2.1 Emil Casselmann
Portrait des Lehrers und Führers der Ortsgruppe Bielefeld des Reichsbundes für Leibesübungen, Emil Casselmann; Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,2/Zeitungen: Westfälische Neueste Nachrichten (16. Mai 1936)

Bereits wenige Tage nachdem die Glocke die Stadt verlassen hatte, traf der „Olympia-Zug“ in Bielefeld ein, eine vom Propagandaausschuss für die Olympischen Spiele entwickelte Ausstellung. Die fahrbare Konstruktion, bestehend aus mehreren Zugmaschinen mit Anhängern, war bereits seit dem 1. September 1935 unterwegs, um die Werbemaßnahmen für das sportliche Großereignis unter der Leitung des nationalsozialistischen Staates und der damit zusammenhängenden propagandistischen Intention in möglichst jeden Winkel des Reiches zu transportieren. Die in Bielefeld auf dem Kesselbrink positionierten Wagen präsentierten in der Ausstellung Modelle und Pläne des Reichsportfeldes und gingen auf die Historie der Olympischen Spiele ein. In einem Zelt wurden unter anderem Filmausschnitte der parallel laufenden Vorbereitungen zu den Winterspielen in Garmisch-Partenkirchen gezeigt. Nachdem der Zug am 21. Januar unter Begleitung des 2. Polizeireviers in der Stadt eingetroffen war – empfangen von neugierigen Passanten, Parteigliederungen, SS und SA, HJ und BDM – erfolgte der Aufbau. Am 23. und 24. Januar war die Ausstellung geöffnet. Die jeweiligen Schulchroniken belegen, dass vom Ratsgymnasium und von der Cecilienschule Schülerinnen und Schüler die Formation auf dem Kesselbrink besuchten. Von letzterer wurden vorrangig die guten Turnerinnen ausgewählt, da das Kartenkontingent begrenzt war. Es ist anzunehmen, dass auch Gruppen anderer Bielefelder Schulen die Ausstellung sahen, hatte doch das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung den Regierungspräsidenten in Minden bereits am 19. Dezember 1935 darauf hingewiesen, „dass die Ausstellung des Olympia-Zuges […] auch während der Unterrichtszeit von Schulen besucht werden darf.“ Überhaupt standen die Schulen besonders im Fokus der „olympischen Werbung“. Vermehrt wurde von den staatlichen und kommunalen Stellen auch in Bielefeld darauf hingewiesen, entsprechende „Olympia-Hefte“ mit Informationen zu den einzelnen sportlichen Disziplinen in den Schulen zu verkaufen und die Schüler der Ausstellung zuzuführen. Die WNN berichtete am 24. Januar von über 3000 Jugendlichen allein am ersten Tag der Öffnung. Insgesamt wurde die Ausstellung in den zwei Tagen auf dem Kesselbrink von etwa 7.000 Personen besucht.

3. Olympia-Zug entr
Bericht der WZ über die Ausstellung auf dem Kesselbrink vom 22. Januar 1936; Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,2/Zeitungen: Westfälische Zeitung (22. Januar 1936)

Unmittelbar vor der Eröffnungsfeier der Spiele am 1. August fand ein vom „Reichssportführer“ veranstalteter Sternflug statt, bei dem der 1930 eröffnete Bielefelder Flugplatz in der Senne (neben 80 weiteren Flugplätzen) als Wertungs- und Auftankplatz vorgesehen war. Die etwa 150 Flieger aus dem Deutschen Reich sollten innerhalb täglich vorgegebener Zeitfenster an insgesamt drei Tagen vom 28. bis 30. Juli über individuell ausgewählte Routen letztendlich zum neu eingeweihten Flugplatz Rangsdorf bei Berlin gelangen und so für Olympia und den „deutschen Flugsport“ werben. Am ersten Tag machte ungünstiges Wetter den Fliegern einen Strich durch die Rechnung – nur 13 Flugzeuge landeten wegen der schlechten Sicht, des Regens und dem Wind auf dem Flugplatz in der Senne, darunter die Pilotin Alix Willisch aus Bonn. Ungleich stärker wurde Bielefeld am zweiten Tag des Sternfluges frequentiert; fast die Hälfte aller teilnehmenden Flugzeuge steuerte die Senne an, darunter der General der Flieger Erhard Milch (1892-1972), dessen vermeintliche jüdische Abstammung später Ziel umfangreicher Spekulationen wurde, sowie der ebenfalls bekannte Sportflieger und Luftwaffenangehörige Hans Seidemann (1902-1967). Nach drei Flugtagen hatten 90 Maschinen Bielefeld angeflogen, wovon die beiden Tageszeitungen euphorisch berichteten. Die Westfälische Zeitung (WZ) schränkte in ihrer Ausgabe vom 31. Juli die Lobeshymnen allerdings ein wenig ein: „Nur hätte man dem Beispiel anderer Flugplätze […] folgend, den Gästen aus dem Wolkenland während ihres kurzen Aufenthaltes auf dem Flugplatz eine kleine Erfrischung reichen sollen, etwa eine Tasse Kaffee und einige Brötchen oder ähnliches. Bei nächster Gelegenheit wird man auch daran denken.“

Diese Gelegenheit bot sich bereits einige Tage später: Der sogenannte „Touristikflug Nr. 2“ führte am 9. August in der Mehrheit ausländische Flieger von Berlin nach Bielefeld und von dort weiter nach Bremerhaven. Allerdings ging in diesem Fall das Programm deutlich über Kaffee und belegte Brötchen hinaus: Die etwa 25 Piloten aus unter anderem Österreich, Polen und Ungarn wurden von Oberbürgermeister Fritz Budde (1895-1956) persönlich begrüßt und nach einem Essen auf dem Johannisberg zum Hermannsdenkmal, zum Donoperteich und zur Übernachtung nach Bad Salzuflen gefahren, um am nächsten Tag nach Norddeutschland weiterzureisen. Durch diesen Besuch sollten in erster Linie die ausländischen Olympiateilnehmer ein durchweg positives Bild der „Peripherie“ außerhalb Berlins erhalten. Bei der Begrüßung auf dem Bielefelder Flugplatz betonte Major Boehmer seine Hoffnung, „dass die Gäste auch in der Provinz jenen Geist fänden, der dem olympischen Berlin sein Gepräge gebe.“ Aber auch die einheimische Bevölkerung bekam durch den internationalen Besuch einen Eindruck dessen, was Olympia für Berlin bzw. das Reich bedeuten sollte, wie es die WNN am 9. August zusammenfasste: „Der DLB-Ortsgruppe aber sei Dank gesagt, für ihr erfolgreiches Bemühen, einen kleinen Abglanz der Olympischen Spiele auf unsere Heimatstadt fallen zu lassen.“

Die Flieger waren aber nicht alleiniger Berührungspunkt mit ausländischen Gästen. Im gesamten Olympiasommer befanden sich verschiedenste Besucher aus dem Ausland in Bielefeld, um der als solchen von den Verantwortlichen vor Ort vermittelten „Verständigung der Völker dienen zu können.“ Regierungspräsident Adolf von Oeynhausen (1877-1953) wies in einem Schreiben an die Städte, Landkreise und Staatspolizeistelle vom 27. Juli nachdrücklich darauf hin, Ausländer bei Vergehen nicht voreilig zu verhaften, um „der Auslandspresse möglichst keine Handhabe zu irgendwelcher Hetze gegen Deutschland“ zu geben. Neben einzelnen, mehrheitlich privat reisenden Touristen waren auch ganze Gruppen in der Stadt. Unter anderem traf Ende Juli im Rahmen eines Schüleraustausches eine Mädchengruppe aus dem englischen Coventry unter der Leitung einer „Miss Jones“ ein, deren Teilnehmerinnen auf Gastfamilien in der ganzen Stadt verteilt wurden. Bereits im Vorfeld hatten die deutschen und englischen Mädchen Briefe ausgetauscht. Während ihres zehntägigen Aufenthaltes wurden zum Beispiel die Koch-Adler-Werke besucht, Bauernhausmuseum und Sparrenburg besichtigt sowie diverse Fahrten in das Bielefelder Umland, unter anderem nach Bad Oeynhausen, Osnabrück und zum Hermannsdenkmal unternommen. Allerorts wurde das Verbindende zwischen England und Deutschland betont; ein Beteiligter bezeichnete die Unternehmung als einen Austausch zwischen „Stammesschwestern“.

In eine ähnliche Richtung ging auch die Berichterstattung über den Besuch einer Trachtengruppe aus Frankreich am Abend des 15. August. Die Gruppe hatte am Kongress für Freizeit und Erholung in Hamburg teilgenommen sowie die Olympischen Spiele in Berlin besucht und war von der Bielefelder Kreisverwaltung der Nationalsozialistischen Gemeinschaft (NSG) „Kraft durch Freude“ eingeladen worden, auch das Ravensberger Land zu sehen. Die etwa 50 Gäste wurden im Rahmen der Feierlichkeiten des „Bielefelder Volkstanzpreises“ empfangen, die zu dem Zeitpunkt auf dem Schillerplatz stattfanden und von einer Werkskapelle von Dürkopp musikalisch begleitet wurden. Der als Repräsentant der Stadt sprechende Bürgermeister und Parteimitglied Dr. Kurt Graeven (1890-1958) bemühte in seiner in diesem Zuge gehaltenen Rede ebenfalls das Motiv des Verbindenden und Einigenden: „Sie bauen [durch Ihren Besuch] mit an der Brücke der Verständigung zwischen den beiden großen Nachbarvölkern Deutschland und Frankreich.“ Und Kreisleiter Fritz Himmerich (1906-1987) schlug in die gleiche Kerbe, wenn er bemerkte: „Heute haben wir nun die besondere Freude, die Vertreter der französischen Nation bei uns begrüßen zu können, und wir freuen uns, dass aus den früheren Gegnern nun Freunde wurden, die gewillt sind, unser neues Deutschland zu verstehen.“ Der Kontakt zwischen den Einheimischen und den ausländischen Gästen, vor allem aber die regionale Berichterstattung darüber bringen gut zum Ausdruck, wie die janusköpfige Strategie des Propagandaausschusses eines friedlichen und fast schon beneidenswerten Deutschlands unter dem Nationalsozialismus nach außen, sowie eines Narratives der Vorzüge der „Volksgemeinschaft“ nach innen auch in Bielefeld ihre Ausführung fand.

Gar nicht in das Bild passte dabei der Vorfall um den Jöllenbecker Theologen Ewald Schildmann (1910-1989), der am 16. Juli von Schlägern der SA verprügelt worden war und anschließend in Schutzhaft genommen wurde. Die Jöllenbecker Kirchengemeinde protestierte scharf gegen diese Willkür und das Presbyterium erstattete kurze Zeit später Anzeige bei der Staatsanwaltschaft Bielefeld gegen beteiligte Mitglieder der NSDAP. Die innerhalb der Gemeinde Jöllenbeck entstandene Unruhe führte dazu, dass während der Olympischen Spiele nur wenige Hakenkreuzflaggen vor Ort sichtbar waren. Dieses Beispiel belegt, dass es hier und da – wenn auch im Kleinen – durchaus Störgeräusche im ansonsten fein säuberlich konstruierten Bild der NS-Propaganda gab.

4. Radio Grimm doppelgroß
Annonce der Firma Radio-Grimm in der WZ vom 1. August 1936; Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,2/Zeitungen: Westfälische Zeitung (1. August 1936)

Die Tageszeitungen und Meldungen aus der Verwaltung zeigen, wie sehr die Stadt in diesen Tagen auf Olympia ausgerichtet war. Neben den bereits erwähnten Ereignissen zeigte sich dies durch Flaggen im Stadtbild, ein mit dem Frühjahr stetig zunehmender Schwerpunkt auf Olympia bei den Ausgaben der Bielefelder Tageszeitungen, einem darauf ausgerichteten Programm in den Bielefelder Kinos, die unter anderem Bilder von den Wettkämpfen und bereits im Vorfeld Filme über die Winterspiele oder den Kampf des deutschen Boxers Max Schmeling (1905-2005) gegen Joe Louis (1914-1981) zeigten; der Boxkampf hatte zwar nicht direkt etwas mit Olympia zu tun, aber als Sportveranstaltung mit günstigem Ausgang für Deutschland passte er gut in die Instrumentalisierungsstrategie der NS-Propaganda. Am Alten Markt wurde durch einen Lautsprecher die Radioübertragung zu Olympia gesendet. Bielefelder konnten über „Kraft durch Freude“ Tickets erhalten und wurden in Sonderzügen nach Berlin gefahren. Das „Sporthaus Friedrich Berke“ wies in Zeitungsanzeigen mehrfach darauf hin, dass das Geschäft am 8. August geschlossen sei, da die Belegschaft einen Betriebsausflug zu den Olympischen Spielen unternehme und die notwendigen Einkäufe bitte bereits am Vortag zu erledigen seien. Die Bielefelder Sportvereine organisierten „Olympia-Werbeveranstaltungen“ in der Rudolf-Oetker-Halle und während der „Bielefelder Turn- und Sportwoche“.

5. Kino Gloria mit Olympiaflagge, 91-05-028_
Das Bielefelder Kino Gloria in der Niedernstraße 12, über dem Eingang und links im Bild sind Olympiaflaggen zu erkennen; Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,003/Fotosammlung, Nr. 91-05-028

Neben diesen Bezügen zwischen Bielefeld und den Olympischen Spielen zeigte sich auch ein ganz konkretes, Personen in der Stadt betreffendes Verbindungsmoment: Als einziger in Bielefeld wohnender Sportler nahm Heinrich (Heinz) Hasselberg (1914-1989) als Radrennfahrer als Teil des deutschen Teams in der Mannschaftsverfolgung über 4000 Meter tatsächlich an den Olympischen Spielen teil. Der kaufmännische Angestellte war 1914 in Bochum geboren worden und hatte sich als Teil der dortigen Radsportszene etablieren können. Erst im Dezember 1935 war er, vermutlich durch Komplikationen im Betrieb der Bochumer Radrennbahn bedingt, nach Bielefeld gezogen. Warum es ausgerechnet die ostwestfälische Stadt wurde, darüber lässt sich heute nur noch spekulieren. Möglicherweise ist es die Bekanntschaft zu dem Bielefelder Radrennfahrer Heinz Wengler (1912-1942) gewesen, denn Hasselberg fand seine Unterkunft im Wenglerschen Haushalt in der Bielefelder Apfelstraße 51. Zwar wurde die bekannte Radrennbahn in den Heeper Fichten erst nach dem Zweiten Weltkrieg realisiert, aber es ist durchaus denkbar, dass die beiden Sportler die bereits 1931 unter der Ägide des RC Zugvogel aus einem alten Fußballplatz der Arminia umgebaute „Dürrkopp-Radrennbahn an der Pottenau“ für ihr Training nutzten.

6. Olympiaheft, 300,7 Nr. 1048_
Eines von insgesamt 26 produzierten Informationsheften, deren Verkauf vor allem für Schüler propagiert wurde; Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 300,7/Kleine Erwerbungen Nr. 1048

Trotz der an sich umfangreichen olympischen Dokumentation der heimischen Presse beinhalteten die Artikel erstaunlich wenig zu Hasselberg, was an dem erst kurzen Aufenthalt des Radsportlers in Bielefeld oder auch an den engen vom Propagandaministerium gesetzten Grenzen bei der Gestaltung der Meldungen gelegen haben mag. Am 6. August druckte die WNN eine von Hasselberg aus Berlin an die Zeitung gesandte Postkarte ab. In ihrem Bericht über den undankbaren 4. Platz der Verfolgungsstaffel vom 10. August fand er noch nicht mal namentliche Erwähnung. Immerhin gewährte ihm die WZ eine kurze Rückschau in ihrer Ausgabe vom 20. August: Es ging um das mehr als unglücklich verlaufene Rennen und die so knapp verpasste Medaille, das Miteinander im Olympischen Dorf und die Begegnung mit dem „Führer“ am 15. August beim Empfang der deutschen Sportler, die, laut Hasselberg, für ihn die eindrücklichste Erfahrung im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen ausmachte. Hasselberg blieb nicht mehr lange in Bielefeld: Schon am 5. September 1936 zog er wieder zurück nach Bochum. Nach einigen weiteren erfolgreichen Jahren als Radsportler starb er 1989 in seiner Geburtsstadt. Heinz Wengler, der mutmaßliche Bielefelder Bezugspunkt für Hasselberg, starb bereits am 19. September 1942 in einem Feldlazarett an der Ostfront. 1937 hatte er noch eine Etappe der Tour de France gewinnen können. Als Propagandainstrument für die hiesigen Nationalsozialisten wird er trotzdem nur bedingt in Frage gekommen sein, da sein Vater Heinrich Wengler 1939 als Teil einer sozialistischen Gruppe und wegen gewerbsmäßiger Abtreibung verfolgt wurde und über ein Jahr im Gefängnis in Hamm inhaftiert gewesen war.

Neben Hasselberg gab es zwei weitere „Bielefelder“, die für den Start bei den Olympischen Spielen vorgesehen waren: Willi Oberbeck (1910-1979), wie Hasselberg auch nur wenige Monate überhaupt in der Stadt wohnhaft, fand letztendlich keine Berücksichtigung für das auf vier Fahrer beschränkte Team im 100-Kilometer Straßenradrennen. Ebenfalls nominiert war der laut WZ für den SUS Bielefeld startende Österreicher Fritz Neuruhrer (1910-1977), der im Hochsprung aber in der Qualifikation scheiterte.

7. Urkunde_Mitarbeit Olympia
Urkunde über Verleihung der Deutschen Olympia-Erinnerungsmedaille für Mitarbeit bei Olympischen Spielen 1936 zu Berlin für den Bielefelder Walter Friedrich Ludwig Förster (1898-1981); Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 300,7/Kleine Erwerbungen Nr. 1133

Obwohl die internationale Bewertung der Olympischen Spiele differenzierter und wesentlich kritischer ausfiel, als es sich die Machthaber erhofft hatten, gelang zumindest nach innen die erhoffte Festigung des Nazi-Regimes. Durch die vom Ministerium für Propaganda in eine bestimmte Bahn gelenkte Berichterstattung wurde die in Resten vorhandene Opposition entmutigt, in ihren Widerstandsbestrebungen fortzufahren, während der Großteil der Bevölkerung, in ihrer Überzeugung bestätigt, respektive überzeugt wurde, der Nationalsozialismus alleine sei in der Lage, eine Veranstaltung dieser Größe mit der entsprechenden weltweiten Außenwirkung und der erforderlichen organisatorischen Leistung zu verbinden und zu verwirklichen. In der Rückschau formulierte „Der Ravensberger“, ein Bielefelder Heimatblatt, 1937 mit markigen und heroischen Worten: „Zum ersten Male […] stand ein großes Volk, eine ganze Nation bis zum letzten Mann im entlegensten Dorf im Banne der Olympischen Spiele. […] Wer die Olympischen Spiele in Berlin ganz, bis in ihre letzten Feinheiten miterlebte, bei dem wird im Innern eine Saite stolzer, beglückender Freude nachklingen bis in sein hohes Alter.“ Auch die Bielefelder Bürgerschaft ließ sich davon fesseln – auch wenn Zweifel angebracht sind, ob die Begeisterung während des Transports der Glocke, der Olympiaausstellung, des Sternflugs usw. tatsächlich das hohe Maß erlebte, wie es in den entsprechenden Artikeln der Tageszeitungen zum Ausdruck kam. Nichtsdestotrotz war die diktatorische Herrschaft der NSDAP reichsweit und regional zu diesem Zeitpunkt gefestigter denn je; dazu hatten die Olympischen Spiele und die damit verbundene Tätigkeit des Propagandaministeriums und seines Olympiaausschusses eindeutig beigetragen.

 

Quellen

Literatur

  • Eckhardt, Frank, Olympia im Zeichen der Propaganda. Wie das NS-Regime 1936 die ersten Medienspiele inszenierte, in: Bernd Heidenreich/ Sönke Neitzel (Hg.), Medien im Nationalsozialismus, Paderborn 2010, S. 235-251
  • Hilmes, Oliver, Berlin 1936. Sechzehn Tage im August, München 2016
  • Hübner, Emanuel, Bielefeld und die Olympischen Spiele 1936, in: Ravensberger Blätter 2016, Heft 2, S. 38-55
  • Ders., Das Olympische Dorf von 1936. Planung, Bau und Nutzungsgeschichte, Paderborn 2015
  • Schumacher, Hans, 80 Jahre Flugplatz Bielefeld 1930-2010. Eine kalendarische Dokumentation, Bielefeld 2010
  • Wittenberg, Friedhelm, Zum Nationalsozialismus und Kirchenkampf in Jöllenbeck: Der SA-Überfall auf Missionar Ewald Schildmann im Jahre 1936, abgerufen hier: http://www.erinnerungszeit.de/joellenbeck-schildmann-1936.pdf, Stand: 30.7.2021

Erstveröffentlichung: 01.08.2021

Hinweis zur Zitation:
Henschel, Helmut, 1. August 1936: Die Inszenierung der Olympischen Spiele in Bielefeld, https://historischer-rueckklick-bielefeld.com/2021/08/01/01082021/, Bielefeld 2021

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