10. Dezember 1913: Die Stadtverordnetenversammlung beschließt den Ankauf der Heeper Fichten

• Dagmar Giesecke, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek •

 

„Der Kampf um die Heeper ‚Fichten‘ ist entschieden, monatelang hat er gedauert und wenn man heute zurückschaut auf die lange Zeit, die von den ersten Verhandlungen an bis zu ihrem Abschlusse verlaufen ist, dann kann man – auch wenn man sich zu den Gegnern des Projektes zählt, wie wir es heute noch tun – eine gewisse Befriedigung nicht unterdrücken. […] Für die Vorlage stimmten geschlossen die 15 Sozialdemokraten und ferner die Fortschrittler: Hövener, Vollmer und Schröder, die Nationalliberalen: Dr. Niehoff, Kramer, Niemann und Lütkemeyer und von den Konservativen: Kommerzienrat Tiemann. […] Das Abstimmungsergebnis ist besonders nach zwei Richtungen interessant. Man erinnert sich noch, daß die Sozialdemokratie im letzten Stadtverordnetenwahlkampf der rechten Seite im Rathaussaal unterstellte, nach den Wahlen die Heeper Fichten zu kaufen, also in der Sache selbst umzufallen”, berichtete am 11. Dezember 1913 die Westfälische Zeitung.

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Heeper Fichten mit Radrennbahn, Kleingartenkolonie und Parkplatzfläche an der Heeper Straße mit ausstellungsbesetzter Freifläche aus der Luft, 1955: Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 4,3/Fotosammlung, Nr. 57-007-033

Schon in der Stadtverordnetenversammlung vom 28. Mai 1913 fand der Tagesordnungspunkt „Kauf der Heeper Fichten” breiten Raum. Der Landwirt Meyer zu Heepen hatte die Fläche von rund 350 Morgen für 700 000 Mark der Stadt angeboten. „Das Kaufstück wird auf der Ostgrenze bis zu dem Goldbach von dem Schwarzen Weg begrenzt, springt dann hinüber und streckt sich am Goldbach entlang, geht dann wieder herab bis an den Weg, wo der Zubringer liegt, das heißt der Hauptkanal, durch welchen die Schmutzwässer der Kanalisation den Rieselfeldern zugeführt werden. […] Dann geht der Besitz an der Kammeratsheide entlang und schneidet mit den Heeper Fichten ab”, teilte die Westfälische Zeitung einen Tag später ihrer Leserschaft mit. Bei der meisten Fläche handelte es sich um Wald, bestehend aus Kiefern, Fichten und Laubbäumen, des Weiteren um Äcker und Wiesen, auch bewohntes Gebäude sollte mit veräußert werden. Erste Verhandlungen gehen schon auf das Jahr 1907 zurück. Allerdings galten die Forderungen von Meyer zu Heepen als überzogen, so dass der Vorgang nicht weiter verfolgt wurde. Einige Zeit später trat man ein weiteres Mal in Kontakt, um über einen Geländeankauf für einen Friedhof zu verhandeln. Dabei ging es um Ackerland an der Heeper Straße und ein Stück Land längs des Schwarzen Weges. Aber auch diese Bestrebungen scheiterten an zu hohen Kosten für die Stadt. Als 1913 neue Verhandlungen anstanden, war der Verkäufer mit seiner Preisforderung erheblich herunter gegangen und die Stadt hatte eventuelle Eingemeindungen im Hinterkopf, mit der dann eine Werterhöhung verbunden wäre. Inzwischen lag der Preis pro qm bei 50 Pfennig. In weiterer Umgebung von Bielefeld war ein solcher bei Weitem nicht zu realisieren. Durch den Ankauf gewann die Stadt die nicht zu unterschätzende Möglichkeit, für den fünten Kanton, der eng bebaut war, die schon lange erforderliche Vorflutverbesserung zu realisieren. Damit verbunden konnte die Regulierung des Lutterbaches, die hohe Priorität hatte, erleichtert und damit Kosten gespart werden.

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Bahnhof Karolinenquelle in den Heeper Fichten, 1911. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung, Nr. 57-007-132

Außerdem führte die Trasse der Kleinbahn mitten durch das Gelände und hatte einen Haltepunkt nahe der Karolinenquellen, was für Ausflügler von Wert war. Ab 1902 befand sich dort ein kleines Kurhäuschen, in dem man abgefülltes „Heilwasser” bekommen konnte. 40 Jahre später war die Quelle wieder zugeschüttet. Erst einmal sollte das Terrain der Heeper Fichten ausschließlich als Spekulationsobjekt gewertet werden. Die Westfälische Zeitung bedauert in ihrer Berichterstattung vom 11. Dezember 1913 ebenfalls, dass die Stadtverordneten, die dagegen gestimmt hatten, das Vorhaben nicht grundsätzlich ablehnten, sondern nur gegen die Höhe des Preises waren. Wäre Meyer zu Heepen um noch einmal 50 000 Mark mit dem Preis herunter gegangen, wäre die Zustimmung um ein Vielfaches größer gewesen. Die Beschlussfindung hatte am 1. Dezember unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden, was von der Presse kritisch beurteilt wurde. „Nach § 45 der Städteverordnung kann gewiß ´für einzelne Gegenstände durch besonderen Beschluß die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden`. Es gibt auch eine Reihe von Fällen, in denen man es selbst wünschen muß, daß die Verhandlungen hinter verschlossenen Türen stattfinden; aber man sollte doch meinen, daß die Frage, die die Bürgerschaft in so weitergehendem Maße beschäftigt hat, geheime Verhandlungen ganz und gar nicht angebracht sind”, stellt die Westfälische Zeitung in ihrer weiteren Berichterstattung fest.

Als der Kauf der Heeper Fichten endgültig von Statten gegangen war, beruhigte sich erst einmal die Lage. Die Idee zum Kauf dieses Areals stammte ursprünglich von Paul Meyerkamp, Gartenbaudirektor der Stadt Bielefeld. Dann forderte der Erste Weltkrieg ab 1914 andere Prioritäten. Gleich zu Beginn des Krieges wurden auch in Bielefeld an verschiedenen Orten Sammelquartiere für mobile Truppen eingerichtet, die später als Lazarette Nutzung fanden. Zwei gab es auch in den Heeper Fichten am Schwarzen Weg. Da die Versorgung der Bevölkerung im Laufe der Kriegsjahre immer schwieriger wurde, wurden weite Teile der Heeper Fichten ebenfalls zum Anbau von Gemüse genutzt.

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Plan der Heeper Fichten mit der Kennzeichnung des Gemüseanbaugebietes der Stadt Bielefeld, 1920. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 108,14/Garten-, Forst- und Friedhofsamt, Nr. 4

Im September 1920 teilte der Magistrat dem Regierungspräsidenten mit, dass die Stadtgemeinde Bielefeld zur weiteren Beschäftigung von Erwerbslosen die Erschließung der Heeper Fichten in Aussicht genommen hätte: „Die Gesamtkosten der Anlage belaufen sich auf 170 000 M; an Arbeitslöhnen allein ist mit einer Ausgabe von 117 000 M zu rechnen. Bei 8stündiger Arbeitszeit sind für den Arbeiter und Tag 33 M aufzuwenden.” Teilweise sollten die Kosten aus den Mitteln des Armengrundvermögens bewilligt werden. Zu den Notstands-Arbeiten gehörten u. a. die Urbarmachung des Sundern, die Aufforstung, die Anlage von Waldwegen sowie der Ausbau der Sport- und Spielplätze, die Ende des 19. Jahrhunderts angelegt worden waren. Mitte der 1920er Jahre sollte noch die Teichentschlammung mit dem Ziel vorgenommen werden, dass an dieser Stelle ein Freibad entstehen könne. Im selben Jahrzehnt lieferten sich, wie anderenorts in Deutschland auch, die SPD, KPD und die SA diverse Schlägereien in den Heeper Fichten. Mit der so genannten Machtergreifung 1933 fanden die nun von der Partei, und nicht mehr von der Arbeiterschaft, organisierten Mai-Kundgebungen in den Heeper Fichten statt.

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Mai-Feier in den Heeper Fichten, 1933. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung, Nr. 91-02-007

Die während des Zweiten Weltkriegs in Bielefeld beschäftigten Zwangsarbeiter fanden auch in den Heeper Fichten in Ausländerlagern Unterkunft. Nach dem Untergang des „Dritten Reiches” mussten u.a. auch an diesem Ort so genannte Diplaced Persons untergebracht werden. Auf dem freien Platz in den Fichten fanden 120 Erwachsene ein neues provisorisches Quartier. Flüchtlinge und Ausgebombte mussten dort ebenfalls in Notunterkünften untergebracht werden.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde über den Bau einer Radrennbahn in der Stadt nachgedacht. Dem Radrennclub „Zugvogel” war 1947 der Spielplatz an der Wilhelm-Bertelsmann-Straße hinter dem Telegraphen-Bauamt verpachtet worden, um dort eine Radrennbahn zu betreiben. Finanziert werden sollte das Vorhaben durch eine noch zu gründende Gesellschaft, der Stadt Bielefeld, der Fahrradindustrie und dem Radsportverein. Zu einer Realisierung kam es nicht. Im Mai 1950 entschied sich der Rat für einen anderen Platz zum Bau eines Radrenn-Stadions. Der war gefunden worden in den Heeper Fichten. „Der Bauausschuß hat in den letzten Tagen die verschiedenen Projekte geprüft und sich für eine andere als die bisher vorgesehene Ausführung entschieden. […] Die Mittel für die ersten Bauarbeiten sind gesichert; 85 000 Mark stehen im städtischen Haushalt zur Verfügung und weitere 40 000 Mark sind von Radsportvereinen und der Fahrradindustrie bereitgestellt”, teilte am 12. Oktober 1950 das Westfalen-Blatt mit. Mit der Planung und den Entwürfen wurde der Architekt Clemens Schürmann in Münster beauftragt.

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Der Architekt Clemens Schürmann (Mitte) mit Bauleiter Radek (links) und Betreuer Block auf der Baustelle, Mai 1952. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 108,4/Tiefbauamt, Nr. 175

Über die Ausmaße und die Ausführungen waren die Bielefelder Fahrradindustrie und die anderen beteiligten Stellen unterschiedlicher Meinung, so dass über die Bildung einer GmbH, die die Federführung übernehmen könne, nachgedacht werden musste. Diese kam Ende 1953 endlich zur Gründung. Lange gestritten wurde darüber, ob eine offene Rennbahn oder eine überdachte entstehen soll. Aus Kostengründen fiel die Entscheidung für die offene Variante. Im März 1951 berichtete die Westfälische Zeitung, dass der Bau – kaum angefangen – schon wieder aus finanziellen Gründen ins Stocken gekommen war, was vor allem bei den Radsportfreunden für Unmut sorgte. Nachdem der finanzielle Engpass beseitigt werden konnte, gingen die Bauarbeiten weiter. Im Oktober 1952 musste mit der Planung der Veranstaltungen begonnen werden. Die Eröffnung der Radrennbahn war auf Mai 1953 terminiert. In diesem Zusammenhang sollten die an der Fichtenstraße stehenden Obdachlosenunterkünfte dem Bau von Geschäftsräumen und Umkleidekabinen weichen. Ganz konnte er Termin nicht eingehalten werden. Aber am 14. Juni 1953 kamen 15 000 Zuschauer zum Eröffnungsrennen. Lange währte die Rennbahn nicht als Magnet. Brachte das erste Jahr noch kräftige Gewinne, mussten im zweiten Jahr schon Verluste eingerechnet werden. Seit Anfang der 1960er Jahre büßte der Radsport an Attraktivität ein, verbunden damit waren deutschlandweit weniger fließende Mittel. Mehr und mehr Veranstaltungen wurden abgesagt, was sich auch in Bielefeld niederschlug. Ein weiteres Problem war, dass schon sieben Jahre nach der Eröffnung des Stadions umfangreiche Reparaturarbeiten ausgeführt werden mussten. So wurden in den 1970er Jahren sogar Überlegungen angestellt, ob nicht vielleicht auch Reitturniere oder ein Autokino dort platziert werden könnten, um die klammen Kassen zu füllen. Musikalische Pop- und Undergroundveranstaltungen fanden als Open-Air-Konzerte sowieso schon statt.

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Ostkurve der Radrennbahn, Deutsche Steher-Meisterschaften, 1961. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung, Nr. 57-007-024

1997 drohte der Rennbahn das endgültige „Aus”. Aus dem städtischen Finanztopf sollten 40 Prozent weniger Mittel fließen, die durch Vermietungen an Dritte eingebracht werden sollten. Kurzfristig konnte die Schließung durch Umschichtung der Mittel doch noch verhindert werden. Heute besteht die Radrennbahn noch immer. Jährlich finden drei bis vier Rennveranstaltungen statt. Allerdings ist der gesamte Bau in einem beklagenswerten Zustand. Seit Juli 2012 steht die Radrennbahn unter Denkmalschutz und ist somit erst einmal vor dem Abriss gesichert.

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Kirmes auf den Heeper Fichten. Bis heute wird der Platz vor der Radrennbahn für großflächige Ausstellungen in Zelten, Zirkusaufführungen und Rummel genutzt, 1963. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung, Nr. 56-002-075

„Wir haben uns gestern davon überzeugen können, daß auf der etwa 12 000 qm großen, schlauchartigen links des Ovales der Radrennbahn alles o.k. ist. Es gibt keine Wassersorgen: Wasch- und Duschanlagen sind in guter Verfassung, dazu steht den Campingplatzbesuchern auch eine gute Geschirrspülanlage zur Verfügung. […] Die neue Masche: zwei Kästen mit je drei Möglichkeiten für elektrischen Stromanschluß”, schrieb am 24. Juni 1959 das Westfalen-Blatt kurz nach der Eröffnung des Campingplatzes. 5000 Personen sollte das Areal beherbergen können. Anziehen sollte der Platz vor allem Deutsche, Holländer und Dänen, so dass diese neue Einrichtung auch weit über Deutschland hinweg beworben wurde. Anzeigen erschienen im ADAC-Europa-Campingführer und auch in einschlägigen Nachschlagewerken in Dänemark und den Niederlanden. Anfang Januar 1959 hatte auch der Ausschuss für Leibesübungen der Stadt Bielefeld den Campingplatz für den Aufbau gestimmt. Aber schon zwei Jahre später bemängelte die Westfälische Zeitung am 30. März den schlechten Zustand, den sie gerade vorher noch so gelobt hatte. Für Männer und Frauen gab es keine getrennten Waschanlagen, nur sechs im Freien montierte Waschbecken, auch die Toiletten ließen wohl zu wünschen übrig. Eigentlich sollte das der große Wurf werden, die international genutzte Radrennbahn und in Verbindung damit direkt vor Ort vorhandene Unterkunftsmöglichkeiten. Aber der Plan ging nicht auf. 1966 konnte der Campingplatz nur noch rund 1700 Übernachtungen für das Jahr vorweisen. Die meisten davon steuerte das so genannte fahrende Volk bei, die Sinti und Roma, was in der Öffentlichkeit gar nicht gut ankam. Noch im selben Jahr wurde der Platz geschlossen.

 

Quellen

  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 103,5/Presse- und Verkehrsamt Nr. 170
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 108,6/Planungsamt Nr. 231
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 107,9/Sport- und Bäderverwaltung Nr. 23, Bd. 1, Nr. 16, Nr. 121, Nr. 123
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 108,14/Garten-, Forst- und Friedhofsamt Nr. 4
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,1/Westenmannsammlung Nr. 10

Literatur

  • Reinhard Vogelsang, Geschichte der Stadt Bielefeld, Bd. 2. Von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des Ersten Weltkriegs, Bielefeld 2005
  • Reinhard Vogelsang, Geschichte der Stadt Bielefeld, Bd. 3: Von der Novemberrevolution bis zum Ende des 20. Jahrhunderts, Bielefeld 2005
  • Die modernste deutsche Radrennbahn in der Großstadt im ostwestfälisch-lippischen Raume Bielefeld / [Hrsg.: Bielefelder Radrennbahn GmbH] – 1953
  • Ursula Vahle, Heepen. Das Leben in einem Kirchdorf von den Anfängen bis zum Ersten Weltkrieg, 2013

 

Erstveröffentlichung: 01.12.2013

Hinweis zur Zitation:
Giesecke, Dagmar, 10. Dezember 1913: Die Stadtverordnetenversammlung beschließt den Ankauf der Heeper Fichten, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek, https://historischer-rueckklick-bielefeld.com/2013/12/01/01122013, Bielefeld 2013

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