Es war die Nachricht des Tages: „Am 1. [Februar] ist dem Verkehr ein Werk übergeben worden, welches einen großen Notstand in unserer Stadt beseitigt”, war in der Westfälischen Zeitung zu lesen. Die neue Wasserleitung werde für „unsere heimische Industrie […] von großem Nutzen sein, da sie unter dem Mangel an gutem Wasser zu leiden hatte.” Und die Zeitung sprach den Wunsch aus, „dass auch die Sennebewohner dabei nicht zu Schaden kommen”. Was heute fragendes Kopfschütteln provoziert, wurde vor 125 Jahren sehr gut verstanden. Mit dem Wasserwerk war ein Eingriff in die Ökologie des südlichen Landkreises verbunden, der dem einen Vorteile brachte, aber eben auch nicht unproblematisch war.

Was hatte es mit dem apostrophierten Notstand auf sich? Die geographische Lage Bielefelds auf der Wasserscheide zwischen Weser und Ems trug dazu bei, dass Bielefeld nur über wenige offene Gewässer verfügte. Die vorhandenen Bäche – der Bohnen-, Voß- und Johannesbach mit ihren kleinen Nebengewässern – reichten als nutzbares Wasserreservoir nicht aus. Trinkwasser bezog die Stadt aus Brunnen, die durch zunehmende Verdichtung der Bevölkerung im 19. Jahrhundert aufgrund der offen angelegten Senk- und Sickergruben gefährdet waren. Bereits im 17. Jahrhundert ließen Privatgesellschaften Rohrleitungen herstellen, die Wasser vom Sparrenberg der Stadt zuführten.
Auch für die Bielefelder Wirtschaft stand die Wasserversorgung seit dem späten Mittelalter auf der Agenda. Die Abgrabung der Emslutter und dadurch bewirkte Zuführung des Fließgewässers durch städtisches Gebiet in der Mitte des 15. Jahrhunderts sollte den Mühlen auch im Sommer genügend Kraft geben und die offenen Abwasserkanäle gehörig reinigen. Seit der Mitte der 1870er Jahre war die Wasserfrage in aller Munde. Die aus Industrialisierung und Vergrößerung der Stadt resultierende Wasserverschmutzung wuchs zu einer regelrechten Krise der Wasserversorgung an. So wies die Ravensberger Spinnerei wiederholt darauf hin, dass der Betrieb der von ihr betriebenen Bleiche einschränkt werde. Als die Firma 1882 die „Holländische Bleiche” zwischen der heutigen Bleich- und Heeper Straße technisch auf den neuesten Stand gebracht hatte, war deren Leistungsfähigkeit nur noch „durch die vorhandene Wassermenge” begrenzt. Überhaupt hatte sich die Quantität des Wassers infolge des raschen Wachstums der Stadt „mehr und mehr verringert”, wodurch die „Herstellung der höchsten Weißegrade ganz außerordentlich erschwert und verteuert” wurde. Um dennoch expandieren zu können, entschied sich die Spinnerei für den Ankauf der Rabeschen Leinbleiche in Ummeln, die durch das Wasser der Emslutter gespeist wurde, das „von vorzüglicher Beschaffenheit” war. 1885 hieß es dann, dass sich die „höchsten Weißegrade” an ihrem innerstädtischen Standort aufgrund des Mangels und der „schlechte[n] Beschaffenheit des Wassers” gar nicht herstellen lassen.

Aber nicht nur die Bleichen waren von den lokalen Wasserverhältnissen abhängig, auch die Spinnerei wurde in Mitleidenschaft gezogen. In ihrem Bericht an die Handelskammer stellte die Direktion der Ravensberger Spinnerei 1884 fest, dass die „Localverhältnisse des Bielefelder Etablissements” eine „Vergrößerung der Spinnereianlagen” sehr erschwerten und sich bestenfalls nur teuer realisieren ließen. „Anders in Wolfenbüttel”, wo die Firma bereits ein Zweigwerk unterhielt. Dort sei „überschüssiger Gebäuderaum” vorhanden und „die dortigen Wasserverhältnisse” würden „die Vergrößerung sehr erleichtern und wohlfeiler machen.”
1887 wandte sich die Stadtverwaltung selbst mit einem dramatischen Bericht an die Öffentlichkeit: „Die Noth um das Wasser wird in unserer Stadt mit jedem Jahr größer. Daß wir im Sommer 1886 für eine große Bürgerschule und die städtische Turnanstalt das nöthige Wasser faßweise heranschaffen mußten, daß viele Haushaltungen kaum in der Lage waren, sich täglich einige Eimer Wasser für Geld und gute Worte zu verschaffen, daß die Gewerbebetriebe mit immer neuen Opfern sich das nöthigste Wasser schaffen müssen, damit aber zugleich der Nachbarschaft das Wasser entziehen, daß von den aus verschiedenen Veranlassungen vorgenommenen Wasseruntersuchungen fast alle schlechtes Trinkwasser ergaben, möge diese Noth kurz kennzeichnen.”

Auf der Suche nach einem potentiellen Wassergewinnungsgebiet war bereits in den späten 1870er Jahren die Senne in den Fokus der Überlegungen gerückt. 1881 beauftragte Bielefeld mit Peter Schmick (1833-1899) einen namhaften Experten mit der Ausarbeitung eines entsprechenden Plans. Der Tiefbauingenieur war technischer Direktor der Deutschen Wasserwerksgesellschaft und zeichnete u.a für die Konzeption der Wasserleitung von Frankfurt/Main verantwortlich. Er legte fünf Pläne vor, von denen die aus Magistrat, Stadtverordnetenversammlung und dem Stadtbaumeister gebildete Kommission das Wassergewinnungsgebiet Sprungbachtal in der Gemeinde Senne II favorisierte. Die hier fließenden Dalke und Sprungbach bildeten mit ihren Nebengewässern ein großes Wasserreservoir. Während sich in der Stadt nur eine Minderheit aufgrund der hohen Kosten gegen dieses Projekt aussprach, formierte sich im südlichen Landkreis Widerstand, der auch von der preußischen Regierung unterstützt wurde. So empfahl ein von der Regierung beauftragtes Gutachten, „anderweitige Bezugsquellen von Wasser aufzusuchen”, weil der „Wasserentzug aus dem Dalkegebiet […] volkswirtschaftlich schädlich” sei.
Die Stadt nahm zwar nun die nördliche Region an der Weser bei Rehme ins Visier, die große Entfernung und damit verbundenen Rohrleitungen von bis zu 32 Kilometern ließen das Projekt aber schon im Ansatz scheitern. Auch „das Wasser im Gebiet der Werre”, das nur 19 Kilometer entfernt lag, kam nicht Frage, da es „auf einer lippischen Domäne gepumpt und fast 12 Kilometer durch Lippisches Gebiet” hätte geleitet werden müssen, womit kaum lösbare rechtliche Probleme verbunden waren. Vor diesem Hintergrund war das Sprungbachtal letztlich das einzige Wassergewinnungsgebiet, dessen Erschließung für Bielefeld Sinn machte. So sah es auch die Stadt, die 1886/87 in diesem Gebiet Grundstücke erwarb, um ihre Position in der Senne zu stärken.

Peter Schmick empfahl zudem, das Gutachten der preußischen Regierung nicht einfach hinzunehmen, sondern ein eigenes von einem ausgewiesenen Experten schreiben zu lassen. Bielefeld konnte James Hobrecht (1825-1902) für diese Aufgabe gewinnen, der als Bauingenieur und Berliner Baurat ein hohes Ansehen genoss. Hobrecht kam zu dem Schluss, dass die Wasserentnahme dem Senner Sprungbachtal nicht schaden werde. So werde bei einer täglichen Wasserentnahme von 3 bis 4000 Kubikmetern der Grundwasserspiegel im oberen Sprungbachtal zwar gesenkt, die Senkung werde aber „weiter abwärts und schon an der Vereinigung des Sprungbaches und Bullerbaches eine nur wenig bemerkbare, weiter abwärts aber eine nicht mehr zu constatirende sein”. Die „gedachte Wasserentziehung” würde daher „in landwirtschaftlicher Beziehung demjenigen kleinen Gebiete der Senne, welches überhaupt ja in Frage kommen kann, keinen Nachtheil” zufügen.
Damit waren die Karten wieder neu gemischt. Jürgen Büschenfeld weist zu Recht darauf hin, dass der fast ein Jahrzehnt andauernde Konflikt um das Senner Wasser eine Auseinandersetzung zwischen Landwirtschaft und Stadt war, bei dem es „um die Bewahrung agrarstaatlicher oder die Durchsetzung industriestaatlicher Verhältnisse” ging. Die Befürworter des Bielefelder Wasserprojektes, unter ihnen Hermann Delius von der Ravensberger Spinnerei und weitere namhafte Vertreter der Bielefelder Wirtschaft, setzten nach Hobrechts Gegengutachten alles daran, das Projekt zu verwirklichen. Anträge wurden verfasst, weitere Gutachten geschrieben und ministerielle Entscheidungen getroffen, gegen die die Stadt Beschwerde einlegte. Bei einer erneuten technischen Überprüfung des Projekts kamen 1888 die vom Ministerium für Landwirtschaft und des Innern eingesetzten Sachverständigen zu dem Ergebnis, dass „die Anlieger durch die Wasserleitung keinen Schaden erleiden würden.”

Nun gab es für Bielefeld kein Halten: Noch bevor die ministerielle Bestätigung zum Bau der Wasserleitung im Februar 1889 in Bielefeld eintraf, begann die Stadt mit der Ausschreibung der Bauarbeiten. „Ein rasches Handeln […] war nötig, damit das Werk in einem Baujahr von Frühjahr bis Herbst hergestellt werden konnte, und weil bei dem fortwährenden Steigen der Preise, namentlich der Röhrenpreise, jede Verzögerung Schaden bringen mußte”, rechtfertigte die Stadtverwaltung ihr Handeln. Unter der Leitung des Frankfurter Wasserbauexperten Peter Schmick wurden am 24. April 1889 die Bauarbeiten aufgenommen, im Sprungbachtal eine Wassergewinnungs- und Pumpwerkanlage mit Brunnen errichtet und an der Südwestseite der Sparrenbergpromenade ein Hochbehälter gebaut. Täglich konnten durchschnittlich 70 Meter Rohrleitungen verlegt werden; die Gesamtlänge betrug am Ende fast zwölf Kilometer. Am 1. Februar 1890 ging die Wasserleitung in Betrieb, feierlich eingeweiht wurde sie aber erst am 25. Juli.
Bielefelds Wasserproblem war vorerst gelöst. Aber neue Probleme kündigten sich an. Mit dem allmählich zunehmenden Verbrauch mussten die Wassermengen letztlich auch entsorgt werden. Da Bielefeld noch nicht über eine Kanalisation verfügte, fand „das verbrauchte und mit Schad- und Fremdstoffen vielfältig belastete Wasser seinen Weg in die alten Senk- und Sickergruben, in die Bäche und in die unsystematisch angelegten Kanäle”. Mit der Planung und dem Bau des ersten Kanalisationsnetzes wurde noch im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts begonnen. Angesichts des rapiden Bevölkerungswachstums musste sich die Stadt bereits nach der Jahrhundertwende wieder Gedanken um die Trinkwassergewinnung machen. Da Proteste und Kritik der ländlichen Bevölkerung in der Senne nach der Inbetriebnahme des Wasserwerks nicht verstummt waren, kündigte sich neuer Ärger an, als Bielefeld weitere Wasserwerke im südlichen Landkreis plante.
Quellen
- Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 101,2/Geschäftsstelle II: Untersuchung des Trinkwassers (1884-1907)
- Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 101,7/Geschäftsstelle VII: Bau der Wasserleitung (1887-1909)
- Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 101,12/Geschäftsstelle XII: Wasserpolizei Generalia (1867-1924)
- Jahresberichte der Handelskammer zu Bielefeld 1875 ff [LgB Z 40 Bie 1]
- Jahresberichte über den Stand und die Verwaltung der Gemeindeangelegenheiten der Stadt Bielefeld 1875 ff [LgB Z 40 Bie 6]
Literatur
- Jürgen Büschenfeld, Vom Durst der Stadt. Die zentrale Wasserversorgung aus der Senne, in: ders. (Hg.), Netz/Werk/Stadt. Aufbruch in ein neues Zeitalter, Bielefeld 2000, S. 45-58
- Sabine Nollmann, Das Wasserwerk. Ein Lebenselixier aus dem Urgestein der Senne, in: Peter Stuckhard/Heinrich Gräfenstein, Damit es hell und warm ist. Geschichte der Stadtwerke Bielefeld, Bielefeld 2000, S. 62-103
- Udo Schlicht, Textilbleichen in Deutschland. Die Industrialisierung einer unterschätzten Branche, Bielefeld 2010
- Reinhard Vogelsang, Geschichte der Stadt Bielefeld. Bd. 2: Von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ende des Ersten Weltkriegs, Bielefeld 1988
- Heidrun Winkler, Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung als Probleme der Bielefelder Stadtpolitik in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Jahresbericht des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg 77 (1988/89), S. 105-172
Erstveröffentlichung: 01.02.2015
Wagner, Bernd J., 1. Februar 1890: Die Bielefelder Wasserleitung wird in Betrieb genommen, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld, https://historischer-rueckklick-bielefeld.com/2015/02/01/01022015, Bielefeld 2015