12. September 1948: Enthüllung des Gedenksteines für politisch Verfolgte auf dem Sennefriedhof

• Dagmar Giesecke, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek  •

„Mehrere hundert Teilnehmer fanden sich am Sonntagnachmittag auf dem Sennefriedhof ein, um an einer Gedächtnisstunde für die Opfer des Nationalsozialismus teilzunehmen, zu der VVN, Parteien, Kirchen, Gewerkschaft und Jugend eingeladen hatten. Nach der Niederlegung von Kränzen an den schlichten Grabhügeln der dreizehn Bielefelder Opfer, wurde das Mahnmal enthüllt. ‚Es soll die Erde, in der Ihr ruht, ganz eine freie werden‘, – so lautet die Inschrift des wirkungsvollen Gedenksteines, in dessen Seiten sich die Namen der vor dem Mal eingebetteten toten Kämpfer befinden”, berichtete die Freie Presse am 15. September 1948.

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Gedenkstein mit den 13 Gräbern der in Dortmund 1944 hingerichteten politischen Häftlinge. Gearbeitet wurde der Stein vom Bildhauer und Steinmetz Fritz Niemann aus Brackwede. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung, Nr. 83-003-183

Der Sonderdezernent für die Verfolgten der Nationalsozialisten, Georg Klose, sprach als Erster und überbrachte den Gruß der Regierung sowie die Versicherung, dass den Hinterbliebenen ein stetes Mitgefühl begleiten solle. Für die Opfer sprach Oberregierungsrat Eberhard Dörffler mahnende Worte. Danach ergriff Oberbürgermeister Artur Ladebeck das Wort und stellte das Ehrenmal unter den besonderen Schutz der Stadt Bielefeld. Musikalisch begleitet wurde die Veranstaltung von den Chören des Allgemeinen Deutschen Sängerbundes.

Im Dezember 1945 musste auf dem Sennefriedhof neben den schon vorhandenen Sondergrabfeldern für die gefallenen Soldaten und den Bombenopfern ein weiteres für 13 politisch Verfolgte, die in Dortmund im September 1944 hingerichtet worden waren, angelegt werden. Die Arbeiter, Beschäftigte bei Dürkopp und Benteler, waren, wie damals die Anklagen lauteten, wegen schwerster Rundfunkverbrechen, organisiertem Hochverrat und Feindbegünstigung zum Tode verurteilt worden.

Nach der so genannten Machtergreifung 1933 ging der Widerstand häufig von links-politischen Anhängern – Sozialdemokraten und Kommunisten – aus, in dem sie illegal Flugblätter und Zeitungen herstellten und verteilten. Schon in den ersten Monaten wurde der größere Teil der KPD-Funktionäre verhaftet und in Konzentrationslager gesteckt bzw. ermordet. Im Sommer 1933 lagen die Schätzungen der Gestapo der internierten Kommunisten zwischen 12 000 und 15 000. Wer Glück hatte, konnte ins Ausland fliehen. Viele Gewerkschaftler und SPD-Mitglieder flohen ebenfalls oder setzten ihren Widerstand in der Illegalität fort. Zu Beginn des Krieges dezimierte sich der Kampf gegen das Regime. Neue Widerstände formierten sich nach 1941. Neben dem Druck und der Verteilung von Flugblättern, wurden Sabotageakte in den Fabriken verübt sowie heimlich Kontakte zu Kriegsgefangenen aufgenommen. Mit dem Jahreswechsel 1942/1943, dem Fall von Stalingrad, trat in der Bevölkerung ein deutlicher Stimmungsumschwung ein, der den Glauben an einen Sieg der deutschen Wehrmacht tiefgreifend erschütterte, so dass der Widerstand nochmals verstärkt wurde. Man versuchte, über das illegale Abhören von ausländischen Rundfunksendern Informationen über den Frontverlauf zu erhalten und diskutierte gemeinsam die politische Lage. Wurde das aufgedeckt, so drohten schwere Strafen. Zwischen 1942 und 1944 sind mindestens 19 Bielefelder zum Tode verurteilt worden, meistens wegen Hochverrats. Gestorben für ihre politische Überzeugung sind über 50 Bielefelder.

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Zeitungsartikel zum ersten offiziellen Gedenktag an die Hingerichteten, Volksecho, 20. September 1946. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,2/Zeitungen

Nach der Hinrichtung hatte man die 13 Leichen einfach auf einem Dortmunder Friedhof an einer Friedhofshecke verscharrt und die Gräber unkenntlich gemacht. Erst nach langem Suchen fanden die Angehörigen diese Verstorbenen wieder, so dass sie im Dezember 1945 nach Bielefeld überführt und später auf dem Ehrenfeld bestattet werden konnten. Es waren die Arbeiter Otto Appelfelder, Paul Brockmann, Otto Giesselmann, Gustav Höcker, Hermann Kleinewächter, Gustav Koch, Gustav Milse, Bernhard Putjenter, Rudolf Sauer, Hermann Wörmann, Friedrich Wolgast, Bernhard Zawacki und Heiko Plöger, der aus Herford stammte. In den darauf folgenden Wochen wurde in den Bielefelder Betrieben von den Belegschaften für ein Ehrenmal gesammelt, dessen Realisierung aber noch einige Zeit auf sich warten lassen musste.

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Leichenpass zur Überführung der ermordeten von Dortmund nach Bielefeld auf den Sennefriedhof. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 108,14/Garten-, Forst- und Friedhofsamt, Nr. 374

Im April 1946 erhielt das Friedhofsamt ein Schreiben des damals noch nicht verbotenen Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB) mit dem Hinweis, dass am 22. September eine Gedächtnisfeier anlässlich der zweijährigen Wiederkehr der Hinrichtung der politisch Gefangenen in Dortmund stattfinden soll. Aus diesem Grund bat der FDGB um eine würdige Gestaltung der Gräber sowie um einen Kostenvoranschlag zur dauernden Pflege. Trotz mehrmaliger Nachfragen, auch von Seiten der KPD, war im August die Frage nach den Kosten noch immer nicht beantwortet. Aber mit beiden Organisationen und dem Kulturdezernenten Paul Jagenburg fand ein Treffen statt, um die Gedenkfeier würdig zu gestalten.

Im Stadttheater sollte eine eineinhalb-stündige Veranstaltung stattfinden, die Ansprache durch einen Vertreter der Gewerkschaft erfolgen. Für Rezitationen und Gesang wollte das Stadttheater sorgen. Für die weitere musikalische Untermalung waren das Städtische Orchester unter Leitung von Max Cahnbley und der Volkschor angefragt. Da der Volkschor verhindert war und die Veranstaltung nicht mehr verschoben werden konnte, sprang kurzfristig der Volkschor-Ost ein.

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Programm der Gedächtnisveranstaltung am 22. September 1946 im Stadttheater. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 107,1/Kulturdezernat, Nr. 173

Einen Tag vor der Gedenkfeier wurden von den Hinterbliebenen und verschiedener Organisationen wie der KPD und der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) Kränze auf dem Sennefriedhof niedergelegt.

Eigentlich war es schon für 1946 geplant, einen Gedenkstein für die Hingerichteten auf ihrem Ehrenfeld zu errichten. Damit beauftragt war der bekannte Bielefelder Professor der Werkkunstschule und Bildhauer Arnold Rückert. Er war seit vielen Jahren schon für die Bewertung der Grabsteine auf dem Sennefriedhof zuständig. Im Winter 1946/47 arbeitete er mit Hochdruck an einem Modell. Der strenge Winter machte ihm allerdings eine plastische Ausarbeitung unmöglich, da für seine Arbeiten kein beheizbarer Raum zur Verfügung stand. Im Sommer 1947 lud der FDGB zu einer Besprechung in Sachen Aufstellung eines Denkmals ein. Zwei Entwürfe lagen inzwischen vor. „Wenn eine Einigung erfolgt ist, könnte das Denkmal in kurzer Zeit fertig gestellt und zum Herbst dann auf dem Sennefriedhof aufgestellt werden”, schrieb der FDGB an Paul Jagenburg. Wie die Besprechung ausgegangen ist und warum auch 1947 noch kein Denkmal enthüllt werden konnte, geht aus den Akten des Kulturdezernats nicht hervor.

Im August des Folgejahres fand wieder eine Besprechung zwischen der VVN und der Friedhofsverwaltung, vertreten durch den Leiter des Sennefriedhofs Wilhelm Feldmann, statt. Und wieder sollten die Gräber würdevoll mit neuem Blumenflor versehen und die nähere Umgebung der Gedenkstätte instandgesetzt werden. Dazu wünschten sich die Veranstalter eine Lautsprecheranlage, um das Orgelspiel aus der Kapelle übertragen zu können. Grundsätzlich erklärte sich die Friedhofsverwaltung damit einverstanden, wollte aber die Kosten geklärt wissen. Herr Vahle, Vertreter der VVN wollte dazu einen Antrag beim Oberbürgermeister Ladebeck einreichen, mit der Bitte, nicht nur die Kosten für das Denkmal zu übernehmen, sondern auch die Fürsorge der Grabanlage. Die Grabpflege wurde erst einmal seitens der Stadt abgelehnt, was offensichtlich zu einer Beschwerde der VVN geführt haben muss. Zu dieser äußerte sich Wilhelm Feldmann: „ Die Gräber der Opfer des Faschismus wurden […] auf Anweisung von Herrn Gartendirektor Meyer in gleicher Weise gepflegt und unterhalten, wie die der Soldaten und Bombenopfer. Die Friedhofsverwaltung war bisher stets bestrebt, den Wünschen der V.V.N und des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes zu entsprechen. […] Bis zur Währungsreform wurde die Gedenkstätte vom Sennefriedhof unterhalten, ohne die Kosten zu verrechnen. […] Der Erlass […] vom 21. Mai 1948, der erstmalig die Gräber von KZ-Häftlingen berührt, verpflichtet die unteren Verwaltungsbehörden zur Pflege dieser Gräber. […] Für die am 12. September 1948 von der VVN beschlossene Gedenkfeier sind Einzelheiten […] vereinbart worden. […] Die Friedhofsverwaltung ist aber stets bemüht, die Gedenkstätte in einem würdigen Zustande zu halten.”

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Paul Jagenburg (1889–1975), Kulturdezernent von 1946–1954. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung, Nr. 61-010-007

Ladebeck ließ sich die Akten zukommen und war sehr verwundert, dass die Angebote der VVN und des FDGB zur Kostenübernahme von 1946 keine Umsetzung gefunden hatten. „Seit 1946 hat anscheinend das Aktenstück wohl verwahrt geruht. Daß dann 1948 auf Grund einer ministeriellen Regelung die Stadt eintreten mußte, war 1946 nicht vorauszusehen. Es ist also jetzt zu klären, wie es kommt, daß die Verhandlungen mit den Gewerkschaften nicht fortgesetzt und zu Abschluß gebracht worden sind.”

Der Garten- und Friedhofsausschuss, der gelegentlich auch Besichtigungen auf dem Sennefriedhof durchführt, nahm daraufhin zur Finanzierung Stellung, allerdings erst im Oktober, in dem er äußerte, dass es wohl eine Ehrenpflicht sein müsse, diese Gräber pflegen zu dürfen und eine Bezahlung durch die Angehörigen und den Gewerkschaftsbund nicht in Frage käme. Damit war auch für den Oberbürgermeister die Sache erledigt. 1950 sollte, anders als die Jahre davor, ein Gedenken erst am Totensonntag im November stattfinden. Mit einer Rede und einer Blaskapelle wollte der Deutsche Gewerkschaftsbund, Kreisausschuss Bielefeld, die Feierlichkeiten durchführen. In diesem Jahr wurde nicht mehr ohne weiteres auf die Bedürfnisse der Veranstalter eingegangen, denn Wilhelm Feldmann verwies auf Gedenkstunden für die anderen Opfergruppen, die ebenfalls an diesem Tag ihr Gedenken abhalten wollten und den Termin früher besetzt hatten.

Auch im darauffolgenden Jahr gestaltete sich die Erinnerungsfeier nicht mehr so problemlos. Zwar hatte der VVN wie die Jahre davor, wieder die Veranstaltung zum 15. September ordnungsgemäß angemeldet, da aber inzwischen auf Grund des Beschlusses der Bundesregierung vom 26. Juli 1951 der „Rat der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes” und dieser nahestehende Organisationen kraft Gesetzes verboten waren, sollten sämtliche Aktivitäten sollten von den zuständigen Behörden, in diesem Fall der Kreisverwaltung, untersagt werden. Zwei Tage vor dem Termin ist die Friedhofsverwaltung von der Polizeiinspektion in Kenntnis gesetzt worden und zur Beobachtung aufgefordert worden.

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Mitteilung über das Verhalten während der Veranstaltung der VVN auf dem Sennefriedhof und Berichterstattung durch den Gartentechniker Grunewald und des Friedhofsaufsehers Schwarze. Standarchiv Bielefeld, Bestand 108,14, Garten-, Forst- und Friedhofsamt, Nr. 301

Eine erste Umgestaltung der Anlage fand 1953 statt. Die bis dahin vorhandenen einfachen Eichholztafeln sollten durch Kissensteine aus Obernkirchener Sandstein ersetzt werden. Ungeklärt blieb, ob diese mit einem Eisernen Kreuz versehen werden sollten. Seinerzeit wurde das von der VVN abgelehnt. Man hielt sich allerdings „ein Hinterstübchen auf”, indem die Namen samt Lebensdaten so gesetzt wurden, dass die Eisernen Kreuze jederzeit nachgesetzt werden konnten. Beauftragt wurden mit der Umsetzung die Bildhauer Fritz Niemann, Arnold Eggert, Konrad Stiewe und der Architekt F. H. Leupold, mit der Maßgabe, alles bis zum Totensonntag fertig zu haben.

1957 fand die Gedenkfeier, wenn auch noch beobachtet durch die Kriminalpolizei der Polizeidirektion Bielefeld, wieder zum Jahrestag der Hinrichtungen im September statt. Organisator war inzwischen die SPD. Wie schon im Jahr davor erfolgte die Kranzniederlegung durch sie. Eingebettet in das Rahmenprogramm war eine Rede eines politisch Verfolgten, u.a. über die Benachteiligung dieser Verfolgtengruppe. Auch ein Brief vom Oberbürgermeister Artur Ladebeck wurde verlesen. Die Veranstaltung war bei der Friedhofsverwaltung nicht angemeldet worden. Sie erfuhr davon erst durch einen Aufruf des Ausschusses der Hinterbliebenen aus der Zeitung.

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1970 fand die Neugestaltung der Ehrenanlage für politisch Verfolgte statt. Vier Hinweissteine sollen an den Zugängen zu den Ehrenanlagen aufgestellt werden. Dazu wurden beim Friedhofsamt Vorschläge eingereicht. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 108,14/Garten-, Forst- und Friedhofsamt, Nr. 301

Heute liegen vor dem Ehrenmal 15 Grabstätten. Dazu gekommen sind die Überreste von Oskar Grube, Gewerkschaftssekretär und umgekommen im KZ Oranienburg/Sachsenhausen. Sein Grab war ein privates und nach Ablauf der Liegezeit ist er umgebettet worden. Ebenfalls wurde Max Sachs, politischer Schriftsteller, nach dort hin zur ewigen Ruhe gebettet. Auch er wurde im KZ Sachsenburg/Flöhatal ermordet.

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Werkzeichnung zum Kissenstein von Max Sachs, Sennefriedhof, Abt. B Feld 7 Nr. 13, 1963. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 108,14/Garten-, Forst- und Friedhofsamt, Nr. 302

Seit 1957 organisieren die Arbeiterwohlfahrt, die SPD und der DGB jährlich die Gedenkfeier und legen Kränze an den Gräbern der 15 Opfer nieder. Auch die Stadt beteiligt sich an der Veranstaltung. Abwechselnd stellen SPD und DGB die Redner.

Quellen

  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 107,1/Kulturdezernat, Nr. 173
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 108,14/Garten-, Forst- und Friedhofsamt, Nr. 301, Nr. 302, Nr. 374
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 109,3/Amt für Wiedergutmachung, Nr. 174
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,1/Westermannsammlung, Nr. 91, Nr. 97, Nr. 285
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,2/Zeitungen
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung, Nr. 83-003-183, Nr. 61-010-006

Literatur

  • Ingo Stucke, Arbeiterwiderstand im Nationalsozialismus : das Beispiel der Dürkopp-Werke in Bielefeld, Bielefeld 2001
  • Reinhard Vogelsang, Geschichte der Stadt Bielefeld. Band 3: Von der Novemberrevolution 1918 bis zum Ende des 20. Jahrhunderts, Bielefeld 2005

Erstveröffentlichung: 01.09.2013

Hinweis zur Zitation:
Giesecke, Dagmar, 12. September 1948: Enthüllung des Gedenksteines für politisch Verfolgte auf dem Sennefriedhof, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld, https://historischer-rueckklick-bielefeld.com/2013/09/01/01092013, Bielefeld 2013

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