31. März 1998: Grundsteinlegung für das Multiplexkino im Neuen Bahnhofsviertel

• Anna Vogt und Andreas Martin Vohwinkel,
Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld • 

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Die Grundsteinlegung zum Bau des CinemaxX am 31. März 1998. Links neben den drei Doubles Oberbürgermeisterin Angelika Dopheide, rechts Hans-Joachim Flebbe (Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 270,51/Verkehrsverbund OWL, Nr. 1609, Fotograf: Bernd Vollmer)

Am 31. März 1998 um 14 Uhr wurde der Grundstein für das Multiplex-Kino CinemaxX hinter dem Bielefelder Hauptbahnhof gelegt. Auch die Hollywood-Größen Liza Minelli, Marylin Monroe und Charlie Chaplin waren – als Doubles – anwesend. Kino-Unternehmer und CinemaxX-Gründer Hans-Joachim Flebbe sprach bei der Feier von einer „Turbo-Baustelle“. Dies traf zu, konnte das Kino, dessen Bau auch den Startschuss zur Entwicklung des Neuen Bahnhofsviertels einläutete, nach nicht einmal neun Monaten Bauzeit am 16. Dezember 1998 eröffnet werden. Passend zur Kinothematik befanden sich in dem von der damaligen Oberbürgermeisterin Angelika Dopheide verlegten Grundstein neben Freikarten, einer Zeitung und Münzen auch eine Filmrolle mit einem Ausschnitt des 1997 veröffentlichten Films Titanic von James Cameron. In ihrer Rede verwies Dopheide auf die besondere Bedeutung des Großkinos für die Entwicklung des Areals hinter dem Hauptbahnhof: „Das neue Stadtviertel wird nicht nur für Bürgerinnen und Bürger Bielefelds, sondern darüber hinaus auch für die Region Ostwestfalen-Lippe ein attraktiver Anziehungspunkt für die Bereiche Freizeit, Erholung, Sport und Gesundheit werden und damit die Bedeutung des Oberzentrums Bielefeld für die Region unterstreichen.“

Mit der Eröffnung des ersten großen Multiplex-Kinos 1998 lag Bielefeld im Zuge des Multiplex-Booms der 1990er-Jahre zwar voll im Trend, gehörte aber nicht zu den Vorreitern: Eines der ersten Multiplex-Kinos in Deutschland war bereits im Oktober 1990 in Köln-Hürth eröffnet worden. In der Folge entstanden auch in anderen Städten Kinohäuser, die mehrere Säle unter einem Dach vereinten, ein großes Foyer mit vielfältiger Gastronomie boten und sich durch besondere Ton- und Bildqualität auszeichneten. Das Bielefelder CinemaxX war damals das 21. Kino seiner Art in Deutschland.

Die alten Bielefelder Kinos

Die Errichtung eines großen Multiplexkinos stellte eine Zäsur in der Kinolandschaft Bielefelds dar, war diese doch bis dahin noch von traditionellen Lichtspielhäusern geprägt gewesen. Zwar gab es bereits seit 1991 mit dem neu eröffneten Astoria am Klosterplatz ein erstes Multiplexkino in Bielefeld, jedoch orientierte sich das Astoria in der Gestaltung seiner Innenräume teilweise an klassischen Filmtheatern und fügte sich daher noch relativ gut in die Reihe alteingesessener Bielefelder Kinos ein, von denen viele bereits zu Beginn der 1990er-Jahre um ihre Existenz kämpfen mussten. Durch das Multiplexkino im Neuen Bahnhofsviertel drohten die Kinos alten Stils nun langfristig abgehängt zu werden.

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Das Atrium in der Niedernstraße 29-31, 1968 (Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung, Nr. 75-1)

Zu den zeitweilig über 20 Lichtspielhäusern in der Bielefelder Innenstadt gehörte das Atrium in der Niedernstraße 29-31, das – wie das ursprüngliche Astoria am Jahnplatz – von Fritz Rothschild (1904-1985) gegründet worden war. Nachdem das Kino bei seiner Eröffnung am 28. Juli 1955 mit dem Spielfilm Wie werde ich ein Filmstar? von Theo Lingen (1903-1978) aufgrund des massiven Besucherandrangs die Niedernstraße temporär verstopft hatte, verlor es auch in den nachfolgenden Jahren und Jahrzehnten nicht an Attraktivität, zumal das mit 772 Sitzplätzen ausgestatte Filmtheater seinen Gästen eine der größten Leinwände der Stadt bieten konnte. Vielleicht auch deshalb feierten Filme wie Clockwork Orange von Stanley Kubrick (1928-1999) oder Star Wars: Episode V – Das Imperium schlägt zurück von Irvin Kerschner (1923-2010) im Atrium ihre Bielefelder Premiere. Als schließlich am 20. März 1999 die letzte Vorführung des Filmtheaters mit dem Klassiker Eins, Zwei, Drei von Billy Wilder (1906-2002) stattfand, war der Glanz früherer Tage jedoch verflogen. Der Kinosaal in der Niedernstraße 29-31 wurde im Frühjahr 1999 abgerissen, um Platz für ein Modehaus zu schaffen. Damit war „Bielefelds schönstes Lichtspielhaus“ – so die Neue Westfälische – endgültig Geschichte. 

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Das Capitol in der Bahnhofstraße 4, um 1950 (Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung, Nr. 75-52)

Das gleiche Schicksal erlitt zwei Jahre später das noch traditionsreichere Kino Capitol in der Bahnhofstraße 4. Das direkt neben dem Geburtshaus von Regisseur und Filmpionier Friedrich Wilhelm Murnau (1888-1931) gelegene Lichtspieltheater war das dritte Kino der Gesellschaft Vereinigte Lichtspiele, deren Mitgesellschafter Wilhelm Bröker (1871-1939) das Gebäude des am 5. November 1936 eröffneten Filmtheaters finanziert hatte. Das Capitol verfügte in seiner ursprünglichen Form über nahezu 1.000 Sitzplätze, verteilt auf Parkett, Balkon und Loge. Den regen Publikumszuspruch konnte auch eine Zwangspause des Kinobetriebs in den ersten Nachkriegsjahren, als das in Folge des Luftangriffs vom 30. September 1944 zerstörte Capitol-Gebäude wiederaufgebaut werden musste, zunächst nicht mindern. Vielmehr erstrahlte das Kino seit Dezember 1949 in neuem alten Glanz. Erst in den 1960er-Jahren machte sich ein Rückgang der Zuschauerzahlen bemerkbar, auf den 1967 mit einem Umbau reagiert wurde. Folglich belegte das auf 450 Plätze reduzierte Capitol in der Bahnhofstraße 4 nur noch die erste Etage, während das Erdgeschoss nun als Standort für Geschäfte diente. Nach Jahren des Stillstands übernahm Hans-Joachim Flebbe 1987 die Geschicke des Filmtheaters und machte das Capitol, so Journalist und Cineast Frank Bell, „mit seiner inzwischen intim-gediegenen Atmosphäre zu einem der schönsten Kinotheater in Bielefeld.“ Im November 1988 wurde das Lichtspielhaus sogar zum Ort der ersten Verleihung des Murnau-Preises, Preisträger war der französische Regisseur Éric Rohmer (1920-2010). Trotz derartiger neuer Impulse überlebte das Capitol den Jahrtausendwechsel nur für kurze Zeit und musste nach der letzten Vorführung am 28. Februar 2001 – gezeigt wurde Cinema Paradiso von Giuseppe Tornatore – aufgrund roter Zahlen geschlossen werden. In das Gebäude Bahnhofstraße 4 zog ein Modefachgeschäft ein.

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Das Gloria in der Niedernstraße 12, um 1930 (Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung, Nr. 75-17)

Zu diesem Zeitpunkt gehörte das vielleicht renommierteste klassische Kino in Bielefeld, das Gloria in der Niedernstraße 12, bereits seit einem Jahr der Vergangenheit an. Das Gloria war nach dem im Januar 1920 eröffneten Palast-Theater in der Niedernstraße 21 das zweite realisierte Projekt der Gesellschaft Vereinigte Lichtspiele um den Bielefelder Kaufmann Wilhelm Bröker. Bröker hatte bereits 1924 geplant, das Neue Tonbild-Theater massiv umzubauen und zu erweitern, tatsächlich konnte mit den Bauarbeiten aber erst nach Juni 1927 begonnen werden, nachdem der von der Gesellschaft beauftragte Düsseldorfer Architekt Wilhelm Kreis (1873-1955) für seinen Entwurf die Baugenehmigung erhalten hatte. Das innerhalb von acht Monaten errichtete Kinogebäude umfasste insgesamt 615 Plätze, von denen sich 139 auf dem massiven Zuschauerbalkon befanden. „Aber vor allem ist es die Deckenkonstruktion“, so die Kunsthistorikerin Rosa Rosinski, „die den Zuschauerraum in seiner Wirkung bestimmt. Von einem in den Raummittelpunkt gestellten Kreis setzen sich immer größer werdende, plastische Kreise bis an die Außenwände fort, sodass der optische Eindruck eines ellipsenförmigen Grundrisses entsteht […].“

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Innenraum des Kinos Gloria, Niedernstraße 12, um 1936 (Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung, Nr. 75-18)

Am 8. April 1928 konnte das Gloria schließlich eingeweiht werden. Nicht zufällig handelte es sich bei dem Film, der an diesem Ostersonntag gezeigt wurde, um Friedrich Wilhelm Murnaus Sonnenaufgang – eine in den USA produzierte Inszenierung der Novelle Die Reise nach Tilsit von Hermann Sundermann (1857-1928). Für die musikalische Untermalung sorgte das hauseigene Orchester, dessen Tage in dem Lichtspielhaus jedoch bereits gezählt waren, da ein paar Monate später im Gloria auf den Tonfilm gemäß dem Tri-Ergon-Verfahren des gebürtigen Bielefelders Joseph Massolle (1889-1957) umgestellt wurde. Mit der Bielefelder Premiere des ersten deutschen Spielfilms mit durchgehendem Ton – Die Nacht gehört uns von Carl Froelich (1875-1953) – am 14. März 1930 untermauerte das Lichtspieltheater in der Niedernstraße 12 seine Vorreiterrolle in der noch jungen Bielefelder Kinolandschaft. Nachdem das Gebäude des Gloria während des Zweiten Weltkrieges zu 40 Prozent zerstört worden war, erfolgten bis 1948 der Wiederaufbau und anschließend die Wiederaufnahme des Kinobetriebs. Das nach Entwürfen des Bielefelder Architekten Fritz Hüttemann (1894-1967) wiederaufgebaute Kinogebäude zeigt, so Rosa Rosinski, „im Innern und Äußern das typische Gestaltungsschema der Nachkriegsarchitektur, mit dem in diesem Falle das bei [dem Architekten] Kreis seltene Moment der Moderne durch tradierten Provinzialismus zerstört wird. Besonders die Fassade leidet, indem Hüttemann das Markenzeichen, die Proportionen der ehemaligen Glasfläche verkleinert und sie zumauern lässt, drei Fenstertüren hineinsetzt. […] Somit ist aus einer Großstadtfassade mit extravagantem Blickfang ein miefiges Stück nachempfundener 1940er Jahre Ästhetik geworden.“ Dem Erfolg des Gloria taten die kriegsbedingten Veränderungen des Gebäudes jedoch keinen Abbruch.

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Das Gloria 1960 (Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung, Nr. 11-1524-080)

Ähnlich dem Capitol hatte auch das Gloria ab den 1960er-Jahren mit rückläufigen Zuschauerzahlen zu kämpfen. So wurde das Lichtspielhaus im September 1978 geschlossen und am 2. März 1979 mit einem neuen Konzept wiedereröffnet: Neben dem neuen Gloria mit 220 Sitzplätzen gab es in der Niedernstraße 12 nun zusätzlich das kleinere Schwesterkino Gloriette mit 105 Sitzplätzen. Aber auch diese Neuerung konnte den Niedergang des Traditionskinos längerfristig nicht verhindern. Am 29. April 2000 fand die letzte Vorstellung im Gloria statt. Im September desselben Jahres zog ein Modehaus in das ehemalige Kinogebäude, dessen Fassade seit 2016 wieder weitestgehend dem ursprünglichen Zustand von 1928 entspricht.

Planungsgeschichte

Während Lichtspieltheater wie Atrium, Capitol und Gloria in den 1990er-Jahren die Vergangenheit repräsentierten, schien den Multiplex-Kinos die Zukunft zu gehören. Gerade deshalb gab es zu dieser Zeit mehrere, miteinander konkurrierende Interessenten an einem großen Multiplex-Kino in Bielefeld.

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Die Seidenweberei C.A. Delius an der Große-Kurfürsten-Str. 66 um 1975 (Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung, Nr. 11-0818-007)

Erste Planungen für einen Multiplex-Bau in Bielefeld wurden Mitte der 1990er-Jahre angestellt, wobei zunächst andere Standorte als das später ausgewählte Areal hinter dem Hauptbahnhof zur Diskussion standen. Der Unternehmer Heiner Kieft von der Kieft & Kieft Filmtheater GmbH aus Lübeck, der Kinos unter dem Markennamen CineStar betrieb, plante zunächst mit dem Ehepaar Ingrid und Eberhard Heise ein Bielefelder Großkino auf dem Gelände an der Arndtstraße/Große-Kurfürsten-Straße, das zuvor durch die Firma C.A. Delius genutzt worden war. Das Ehepaar Heise war in der Bielefelder Kinolandschaft nicht unbekannt, denn gemeinsam betrieben sie in der Feilenstraße das mit zahlreichen Preisen ausgezeichnete Programmkino Kamera. Der beabsichtigte Filmpalast CineStar an der Arndtstraße sollte frühen Planungen zufolge in elf Kinosälen insgesamt 3.064 Sitzplätze bieten. In Anbetracht der schieren Größe bezeichnete die Presse das Kino damals als „Superkino“.

Eine andere Planung des Architekten Cafer Sagir zusammen mit dem Filmunternehmer Hans-Joachim Flebbe sah die Realisierung eines CinemaxX-Kinos in der Baulücke an der Zimmerstraße Nr. 10 vor, die zuvor als Parkplatz genutzt worden war. Hans-Joachim Flebbe war Eigentümer der Flebbe-Filmtheater-GmbH – in Bielefeld gehörten ihm Mitte der 1990er-Jahre neben dem Atrium bereits zahlreiche kleinere Kinos, darunter das Gloria, das Capitol und das Movie. Als Alternative zur Zimmerstraße hatte Flebbe gemeinsam mit Architekt Sagir ebenso eine Großkino-Planung für das sog. Wehling-Gelände an der Alfred-Bozi-Straße, Ecke Stapenhorststraße vorgelegt, zog den Standort Zimmerstraße jedoch vor. Der Umstand, dass gleich zwei Kinounternehmer beinah zeitgleich in Bielefeld den Bau eines Multiplex-Kinos planten, sorgte für einen regelrechten „Wettlauf um ein Großkino in Bielefeld“ wie die Neue Westfälische im März 1996 titelte.

Befördert durch die städtebaulichen Planungen, das Areal hinter dem Hauptbahnhof aufzuwerten und hier ein neues Stadtquartier mit Erlebnischarakter zu schaffen, wurde für ein Multiplex-Kino von der Politik das Gelände am Hauptbahnhof als Standort favorisiert. In der Ratssitzung am 27. Juni 1996 stimmten die Mitglieder des Stadtrats über die verschiedenen Standorte für ein Großkino in Bielefeld ab. Mit einer Stimme Mehrheit – 27 zu 26 Stimmen, bei sieben Enthaltungen – votierten die Politiker dafür, das Kino auf dem Gelände zwischen Bahnlinie und Ostwestfalendamm vorzusehen.

Heiner Kieft und das Ehepaar Heise setzten sich in der Folge für den Kauf des halbkreisförmigen Grundstücks hinter dem Bahnhof ein. Zum Vertragsabschluss kam es jedoch nicht, da seitens der Politik zunächst ein Gesamtkonzept für das Areal erarbeiten werden sollte. Ein Gestaltungswettbewerb für das neue Areal, der unter Beteiligung von lokalen und auswärtigen Architekten und Stadtplanern durchgeführt wurde, mündete in einen Rahmenplan für das Gebiet. Die Entwürfe des Planungsbüros Gerkan, Marg & Partner, die den Bau eines Kinos und eines Freizeitbads vorsahen, verbunden durch einen „Boulevard“ mit Geschäftszeile, fanden besondere Zustimmung. Die von der Stadt gegründete Projektentwicklungsgesellschaft verhandelte schließlich mit vier interessierten Kinounternehmen – dem Filmunternehmen UFA, der Flebbe-Filmtheater-GmbH, der Kinobetriebsgesellschaft Kieft & Kieft und dem amerikanische Betreiber UCI (United Cinemas International) – über das Multiplex-Vorhaben, mehrmals angekündigte Entscheidungen wurden jedoch wiederholt verschoben.

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Die Zimmerstraße von der Herforder Straße aus gesehen in den 1970er Jahren. Das Gebäude rechts – Herforder Str. Nr. 29 – existiert noch heute. Auf der Höhe des mehrgeschossigen Gebäudes, das sich an die Tankstelle anschließt, befindet sich heute das CineStar (Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung, Nr. 11-1524-080)

Parallel zu den laufenden Verhandlungsgesprächen entwickelte die Flebbe-Filmtheater GmbH ihre Planungen für das Kino an der Zimmerstraße weiter. Das nur schleppend vorangehende Verfahren zur Entwicklung des Areals hinter dem Bahnhof kommentierte der damalige CinemaxX-Projektentwickler, Dirk Felsmann, in der Presse: „Alle reden, nichts geht weiter.“ Auch Mittbewerber Heiner Kieft kritisierte die Kommunikation und erhob Vorwürfe gegen die Stadtverwaltung, von der er sich im Zuge des sich hinziehenden Planungsverfahrens am Bahnhof getäuscht sah. Gleichzeitig versuchten Politik und Verwaltung, die Errichtung von gleich zwei Multiplex-Kinos zu verhindern. In der Presse wurde das damalige Ringen um ein Großkino als „Bielefelder Kino-Krieg“ bezeichnet.

Eine erste Entscheidung fiel am 25. Juli 1997 als Wolfgang Smode von der Projektentwicklungsgesellschaft bekanntgab, dass die amerikanische Firma UCI als Betreiber des Kinos bestimmt wurde. Tatsächlich zog sich das Unternehmen UCI jedoch nach nur vier Wochen aus dem Projekt zurück, denn bindende Verträge waren noch nicht geschlossen. Anfang September 1997 verkündete Oberbürgermeisterin Angelika Dopheide schließlich in einer Pressekonferenz, dass Hans-Joachim Flebbe das Kino bauen würde. Die Entwicklung des Standorts Zimmerstraße gab Flebbe daraufhin auf und versicherte, seine kleineren Kinos in Bielefeld, darunter das Astoria und das Atrium, zunächst weiterbetreiben zu wollen, wobei er für das Capitol und das Gloria keine langfristige Garantie übernehmen konnte. Dem Ehepaar Heise, das das Programmkino Kamera in der Feilenstraße betrieb, sicherte Flebbe vertraglich eine fünfjährige Bestandsgarantie zu. Die „schier unendliche Multiplex-Geschichte“ – so die Bielefelder Zeitung im September 1997 – kam auf diese Weise nach langwierigen Verhandlungen zu einem vorzeitigen Ende.

Der nicht berücksichtigte Kinounternehmer Heiner Kieft gab sein Vorhaben indes nicht auf, sondern sicherte sich das Grundstück an der Zimmerstraße zum Bau eines CineStar. Konkurrent Flebbe versuchte, das Projekt mit rechtlichen Mitteln zu stoppen, scheiterte aber, sodass am Ende zwei Multiplex-Kinos in Bielefeld entstanden. Die Stadtillustrierte Ultimo kommentierte damals lakonisch: „Der Ostwestfale an sich geht nicht so gerne ins Kino – er baut sich lieber eins. Oder zwei“

Die Planungen, in Bielefeld Multiplex-Kinos zu bauen, stieß nicht nur auf positive Resonanz. Die kleineren lokalen Kinos, insbesondere die Kamera, das Lichtwerk und die Skala, die nicht zu den Flebbe Filmtheaterbetrieben gehörten, bewerteten die Ansiedlung von zwei Großkinos, mit denen sich die Zahl der Kinositzplätze in Bielefeld verdoppelten, kritisch. Die Betreiber des 1985 eröffneten „Lichtwerks“ – Jürgen Hilmer und Ronald Herzog – sahen ihre Existenz bedroht, nicht nur, weil die großen Häuser mehr Komfort und ein anderes Preis-Leistungs-Verhältnis boten, sondern auch weil das CinemaxX mit der Präsentation von Filmklassikern und Originalfilmen mit Untertiteln in eine Domäne der Programmkinos einstieg.

Bau und Eröffnung

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Baustellenbanner mit Hinweis auf die Bauherren des Bielefelder Cinemaxx am Tag der Grundsteinlegung am 31. März 1998 (Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 270,51/Verkehrsverbund OWL, Nr. 1591, Fotograf: Bernd Vollmer)

Den Bau des CinemaxX führt die Bielefelder Firma Goldbeck durch. Erfahrungen im Bau von Multiplex-Kinos hatte das Unternehmen bereits beim Bau des UCI-Kinos in Gera gesammelt. Der Entwurf des Gebäudes stammte von dem Bielefelder Architekten-Team Hans-Friedrich Bültmann und Volker Crayen, die gemeinsam mit dem Hausarchitekten von Hans-Joachim Flebbe, Dr. Helmut Sprenge, den Bau konzipierten. Architekt Crayen wies bei der Gestaltung auf die Transparenz und den „offenen Blick“ durch die großzügigen Glasflächen auf die Stadt hin: „Auch wenn es draußen dunkel ist, wird sich das beleuchtete Gebäude einladend präsentieren“, so Crayen in der NW am 12. März 1998. Betont wurde auch, dass es sich beim CinemaxX nicht um einen Standardkino-Entwurf handele. Vielmehr sei das Gebäude, alleine schon aufgrund der spezifischen Grundstücksform, speziell auf die Bielefelder Verhältnisse zugeschnitten.

In der damaligen Berichterstattung wurde außerdem auf die computergestützte Planung hingewiesen, die eine genaue Terminplanung ermöglichte, sobald sich einzelne der 280 vorgesehenen Arbeiten verzögerten. Besonderer Wert wurde auf die Schalldämmung gelegt, um Störgeräusche parallel stattfindender Filmvorführungen in den neben- und übereinanderliegenden Sälen zu vermeiden. Doppelschalige Trennwände, gefüllt mit 5 cm starken Gipskartonplatten, 4 mm starkem Blei und 1,5 Meter breiten Mineralfaserplatten sollten für die notwendige Isolierung sorgen. In zwei Kinosälen wurden außerdem Lautsprecher- und Verstärkersystemen eingebaut, die den damaligen „THX-Anforderungen“ genügten – einem Qualitätsstandard besonders hochwertiger Akustiksysteme. Die 35mm-Filmprojektoren lieferte die Münchener Spezialfirma Kinoton, der größte Kinosaal Nr. 8 wurde mit einem Zweiformat-Projektor bestückt, der die Vorführung von 70mm-Filmen in bester Bildqualität ermöglichte.

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Die Baustelle des CinemaxX zeigt die zunächst errichteten Stahlträger, rechts zu erkennen ist noch ein Gebäude der Bahntrans auf dem ehemaligen Gelände des Güterbahnhofs (Stadtarchiv Bielefeld, Bestand Negative/ Nr. 793-02, Fotograf: H. Mönkemöller)

Insgesamt wurden für das Gebäude 550 Tonnen Stahl montiert, 5.500 Tonnen Beton bewegt, 23 Tonnen Blei und rund 300 Tonnen Gips verlegt. Das Richtfest konnte am 3. September 1998 im Beisein von 150 Gästen aus Politik, Verwaltung und Industrie gefeiert werden. Dr. Rainer Wend, einer der damaligen ehrenamtlichen Bürgermeister Bielefelds, lobte die Geschwindigkeit des Ausbaus. Den Zeitplan habe er „zwar nicht für mutig, wohl aber für wagemutig gehalten.“ Die Kosten des Baus beliefen sich insgesamt auf rund 40 Millionen Mark.

Am 16. Dezember 1998 wurde schließlich das erste große Multiplex-Kino OWLs in Bielefeld eröffnet. Der fertiggestellte Kinokomplex verfügte über acht Kinosäle und 2.648 Sitzplätze. Kinosaal Nr. 8 war mit 672 Plätzen der größte Saal mit einer 240 qm großen Leinwand. Damit zählte die Leinwand 1998 zu den zehn größten Bildwänden in Deutschland. Die Presseinfo des Unternehmens zur Eröffnung titelte mit dem griffigen Slogan „CinemaxX Bielefeld – die Zukunft beginnt heute !!!“.

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Das CinemaxX kurz nach seiner Fertigstellung (Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 270,51/Verkehrsverbund OWL, Nr. 880)

1.000 Gäste waren eingeladen, die „Traumfabrik hinterm Bahnhof“ einzuweihen, darunter zahlreiche Prominente, die der Eröffnungs-Gala mit Lasershow und Feuerwerk einen Hauch von Hollywood verleihen sollten. Konnten zur Grundsteinlegung lediglich Doubles begrüßt werden, waren zur Eröffnung tatsächlich echte Stars und Sternchen angereist: Die Schauspieler Heike Makatsch und Moritz Bleibtreu präsentierten ihren Film Liebe Deine Nächste und verteilten auf dem 10 Meter langen roten Teppich Autogramme, die britische Pop-Geigerin Vanessa Mae stellte ihren Videoclip The Violin Fantasy vor. Musikalisch begleitet wurde die Eröffnung durch die Band Blue Note. Einen Tag zuvor hatte das Kino ausgewählte Besucher zum Probebetrieb geladen, um Kassen, Tontechnik und Gastronomie für den erwarteten Besucheransturm zu testen. Kinounternehmer Flebbe verfügte im Dezember 1998 bereits über eine gewisse Einweihungsroutine, hatte er doch im selben Monat schon vier Kinos in anderen Städten eröffnet. Nach einer Schlüsselübergabe und den Eröffnungsreden folgte im größten Kinosaal eine Vorführung verschiedener Filmausschnitte – von Feuerzangenbowle bis StarWars – bevor ab 23 Uhr die neuen Filme in voller Länge gezeigt wurden. 

Um auch das normale Publikum mit dem neuen Großkino vertraut zu machen, lockte nach der Eröffnung ein Kennenlerntarif von 8,88 DM die Kinointeressierten in das neue Haus, später kostete eine Karte regulär zwischen 6 („Happy Hour“) und 13,50 Mark. Mit der Einweihung des Kinos zur Winterzeit fiel der Spielbeginn in die Hauptsaison des Kinos, was sich auch am anfänglichen Besucherinteresse ablesen ließ. Nach 56 Tagen konnte am 9. Februar 1999 öffentlichkeitswirksam der 150.000 Besucher gefeiert werden. 

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Das im Jahr 2000 eröffnete CineStar in der Zimmerstraße (Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung, Nr. 11-2266-100)

Nur zwei Jahre nach der Eröffnung des Cinemaxx folgte am 29. März 2000 die Eröffnung des zweiten Multiplex-Kinos CineStar an der Zimmerstraße, das mit zehn Sälen und Platz für 2.315 Besucher über ähnliche Dimensionen wie das CinemaxX verfügte. In der Folge der Eröffnung beider Multiplex-Kinos entwickelte sich in Bielefeld ein Überangebot, das in der Fachwelt als „Overscreening“ bezeichnet wurde. Zahlreiche der kleineren Bielefelder Kinos überlebten den gesteigerten Wettbewerb nicht und mussten ihren Betrieb einstellen. Wurde im Jahr 1999 bereits das Atrium geschlossen, fiel der Vorhang für die letzte Vorstellung im Gloria am 29. März 2000 – bezeichnenderweise am selben Tag, an dem auch das CineStar eröffnet wurde.

Quellen

  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 102,1/Oberbürgermeister, Nr. 982: Multiplex-Kino, 1996-2000, Nr. 1289: Neues Bahnhofsviertel, Band 1, 1996-1997
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 104,1/Ordnungsamt, Nr. 315: Niedernstraße 29/31, Filmtheater „Atrium“, 1955-1999
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 108,5/Bauordnungsamt, Hausakten, Nr. 4382: Niedernstraße 29 und 31 (Filmtheater, Kino Atrium), 1951-2004
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 108,18/Bauamt, Nr. 25: Beirat für Stadtgestaltung, 1997-1998, Nr. 86: Beirat für Stadtgestaltung, 1994-1999
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 210,47/Bielefelder Stadtblatt, Nr. 98: Bahnhofsviertel Bielefeld / Multiplex-Kinos, 1997-2001; Nr. 115: Kinos und Kinowirtschaft, 1986-1998; Nr. 310: Neues Bahnhofsviertel, 1996-1997; Nr. 311: Neues Bahnhofsviertel, 1995-1996; Nr. 384: Filmwirtschaft, 1983-1994; Nr. 450: Kino und Filmwirtschaft, 1983-1994; Nr. 695: Lichtspieltheater und Kinos in Bielefeld, 1979-1998
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 270,51/ Bestand Verkehrsverbund OWL, Nr. 880: Bau des sog. „Boulevard“; Nr. 1591: Baustellenschild CinemaxX; Nr. 1609: Grundsteinlegung CinemaxX
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,1/Westermann-Sammlung, Nr. 138: Kino, Varieté, Kaspertheater, Laienspiel, 1955-1995; Nr. 200: Bauten, 1954-1959; Nr. 202: Bauten, 1963-1967; Nr. 204: Bauten, 1974-1983
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,2/Zeitungen, Nr. 6: Westfälische Neueste Nachrichten (Artikel v. 6.11.1936); Nr. 32: Neue Westfälische (Artikel v. 23.3.1996, 12.3.1998, 22.3.1999, 10.4.1999, 3.5.1999 u. 26.2.2001; Nr. 54: Westfalen-Blatt (Artikel v. 18.3.1998, 1.4.1998, 30.3.2000 u. 28.2.2001)
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung, Nr. 11-2266: Bielefelder Straßen, Zimmerstraße; Nr. 11-0818: Bielefelder Straßen, Große-Kurfürsten-Straße; Nr. 75: Bielefelder Kinos, 1910-1972
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand Negative, Nr. 793/1/2: Bau des Multiplex-Kinos CinemaxX

Literatur

  • Bell, Frank, Alexandra Jacobsen, Rosa Schumacher, Pioniere, Tüftler, Illusionen. Kino in Bielefeld, Bielefeld 1995
  • Bell, Frank, Kinos in Bielefeld, in: Stiftung Tri-Ergon Filmwerk (Hrsg.), Die große Illusion. Bielefelder Kinogeschichte(n) aus 125 Jahren, Bielefeld 2020, S. 254-285
  • Rosinski, Rosa, Drei kinoreife (Bau) Geschichten: Fünf Entwicklungsphasen und eine Spurensuche, in: Stiftung Tri-Ergon Filmwerk (Hrsg.), Die große Illusion. Bielefelder Kinogeschichte(n) aus 125 Jahren, Bielefeld 2020, S. 210-239
  • Stiftung Tri-Ergon Filmwerk (Hrsg.), Die große Illusion. Bielefelder Kinogeschichte(n) aus 125 Jahren, Bielefeld 2020
  • Vogelsang, Reinhard, Geschichte der Stadt Bielefeld, Bd. 3: Von der Novemberrevolution 1918 bis zum Ende des 20. Jahrhunderts, Bielefeld 2005

Vogt, Anna und Vohwinkel, Andreas Martin, 31. März 1998, Grundsteinlegung für das Multiplexkino im Neuen Bahnhofsviertel, https://historischer-rueckklick-bielefeld.com/2023/03/01/01032023/

 

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