10. August 1990: Eröffnung der Stadthalle Bielefeld

• Katja Wiebe, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek •

 

„Leinen Los! Bielefelds Konzert-, Tagungs- und Veranstaltungsdampfer legt heute ab. Die Fahrrinne ist frei, das Fahrwasser noch ein wenig bewegt, aber schon bald sollen sich die Wogen glätten und der Stadthallendampfer in ruhige Gewässer einlaufen”. Mit diesen Worten begann am 10. August 1990 die ausführliche Berichterstattung der Neuen Westfälischen zur Einweihung der neuerrichteten Stadthalle in Bielefeld.

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Einladungskarte zur Eröffnung der Stadthalle am 10. August 1990. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 102,1/Oberbürgermeister, Nr. 875

Schon 1952 unterbreitete die Bielefelder Schützengesellschaft e.V. dem Oberbürgermeister Artur Ladebeck den Vorschlag, eine Kongresshalle auf dem Johannisberg zu errichten. Das Gelände, auf dem zuvor das Schützenhaus bis zu seiner Bombardierung am 30. September 1944 stand, hatte ideale Voraussetzungen für einen Neubau. Darüber herrschte 1953 unter den Beteiligten Einmütigkeit. Die Bemühungen, das Projekt unmittelbar umzusetzen, scheiterten aber auf Grund der ungünstigen Verkehrsanbindungen und der finanziellen Möglichkeiten. Seit 1963 hatte die FDP-Ratsfraktion in allen Haushaltsreden vor dem Rat den Wunsch nach einer Kongress- oder Stadthalle geäußert. Am 25. April 1968 berichtete die Neue Westfälische: „Nur geteilte Zustimmung fand in der gestrigen Ratssitzung der Antrag der FDP-Fraktion, auch im Stadtgebiet eine Kongreßhalle zu errichten, um den fehlenden Bedarf an Tagungs-, Versammlungs- und Veranstaltungsräumen zu beseitigen. Der Antrag wurde vom stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden [Viktor] Kaffka begründet. Danach soll die Verwaltung umgehend Verhandlungen mit der Bielefelder Schützengesellschaft aufnehmen, um festzustellen, ob diese Kongreßhalle unter günstigen Bedingungen auf dem Johannisberg errichtet werden kann.” Die Bauverwaltung erhielt den Auftrag, bis zum Herbst 1968 eine Standortbestimmung für die geplante Stadthalle auszuarbeiten und unabhängig von dieser sollten die Möglichkeiten einer städtebaulichen optimalen Aufwertung des Johannisberges vorgelegt werden. Ebenfalls hatte man sich dazu entschlossen, von der ursprünglichen Bezeichnung Kongresshalle abzugehen und in Zukunft nur noch von einer Stadthalle zu sprechen.

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ückstellung des Planungsauftrags für eine Mehrzweck- oder Kongresshalle vom 16. Februar 1972. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 140/Protokolle, Nr. 687 (Hauptausschuss)

Mit einer Gegenstimme beschloss der Hauptausschuss im Februar 1972, den Planungsauftrag zurückzustellen. Über ein Interview im Sonderstudio der NW in der Oetkerhalle berichtet die Neue Westfälische am 13. Mai 1972 „Oberbürgermeister Herbert Hinnendahl versicherte, daß er sich für den Bau einer Stadthalle in Bielefeld einsetzen werde, sobald die Stadt in der Lage sei, die erforderlichen Mittel dafür aufzubringen. Er sehe nach der kommunalen Neuordnung durchaus die Chance dafür und sei der Überzeugung, daß [die] Bevölkerung in Stadt und Land ein solches Bauvorhaben begrüßen werden”. Nach Abschluss der Gebietsreform 1973 wurde der Ruf nach einer Stadthalle in der Bürgerschaft und im neuen Rat immer lauter. Parallel planten die Nachbarstädte Gütersloh und Osnabrück ebenfalls moderne Veranstaltungsorte. Diese wurden bereits 1979 eröffnet. In Bielefeld lag das Projekt weitere Jahre „auf Eis”. Erst im Oktober 1976 wurden die Standorte Ravensberger Spinnerei, Brodhagen, Gelände an der Oetkerhalle, Johannisstausee, Johannisberg und das Gelände Gildemeister für das Stadthallenprojekt genannt und in die Überlegungen miteinbezogen. Am 9. Februar 1979 stimmte der Hauptausschuss für den Standort am Hauptbahnhof zwischen Bahnhofsvorplatz, Kleine Bahnhofstraße und Herforder Straße.

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Zeitungsartikel zum Abriss der Firma Gildemeister, Neue Westfälische vom 27. November 1981. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,2/Zeitungen, Nr. 27

Im Jahr 1977 führte eine Arbeitsgruppe unter den potentiellen Veranstaltern eine Bedarfsanalyse durch. Ein großer Saal für mehrere Tausend Besucherinnen und Besucher war der wichtigste Punkt dieser Auswertung. Verschiedene Hallen in Braunschweig, Saarbrücken, Dortmund und Münsterland wurden durch Mitglieder des Rates- und der Verwaltung in Augenschein genommen. Anfang Dezember 1979 beschloss der Hauptausschuss die Ausschreibung eines bundesweiten Realisierungs- und Ideenwettbewerbs. Dieser wurde auf der Grundlage des umfangreichen Gutachtens des Direktors der Stadthalle Braunschweig, Herrn Hnizdo, vorbereitet. 240 000 DM standen zur Verfügung. Als Fachpreisrichter fungierten Professor Gottfried Böhm aus Köln, Diplom-Ingenieur Claude Paillard aus Zürich, Diplom-Ingenieur Gregor Wannenmacher aus Bielefeld sowie der Beigeordnete Jürgen Hotzan und als Sachpreisrichter die Ratsmitglieder Josef Heinermann (CDU), Franz Bender (SPD) und Oberstadtdirektor Dr. Eberhard Munzert. 117 Architekten forderten den Ausschreibungstext an, 66 die kompletten Wettbewerbsunterlagen. Von den 30 eingereichten Entwürfen nahm das Preisgericht dreizehn in die engere Wahl. Über die gefällte Entscheidung der Preisrichter berichtete am 7. März 1981 Westfalen Blatt: „Die für Bielefeld seit langem geplante Stadthalle steht – zumindest im Model. Immerhin geht Baudezernent Jürgen Hotzan davon aus, daß der Rat laut Votum des Preisgerichts auch die Gewinner des 1. Preises beim Stadthallen-Ideenwettbewerb mit der weiteren Bearbeitung und dem Bauauftrag betrauen wird. Es sind die Architekten von Gerkan, Marg und Partner (Hamburg), denen die Jury nach 27stündigem Dauerstreß den mit 55 000 Mark dotierten ersten Preis zuerkannte. Aus den Beratungen, die nach zwei Tagen erst zu mitternächtlicher Stunde endeten, ging als zweiter Gewinner Dipl.-Ing. Peter Scheele (Dortmund) hervor. Mit ihrem ‚städtebaulich außerordentlich interessanten Entwurf, der die Stadthalle in einen industriellen Baukörper eingliedert‘ (Juryvorsitzender Prof. Paillard), errangen die Bielefelder Architekten Helmut Streich und Dipl.-Ing. R. Crayen den 3. Preis.”.

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Modellpräsentation zum Wettbewerb, zweiter von links Oberbürgermeister Klaus Schwickert, rechts Baudezernent Christoph Blume, 1987. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,003/Fotosammlung, Nr. 62-2-151

Die Finanzierung des millionenschweren Bauprojekts stand immer noch im Raum. Zunächst wurden Gespräche mit dem Land Nordrhein-Westfalen bezüglich der Fördermöglichkeiten geführt, die aber ergebnislos verliefen. Ebenso bemühte man sich um private Lösungen. Nach weiteren Verhandlungen stellte das Land für eine kompaktere und kostengünstigere Lösung Fördergelder in Höhe von bis zu 40 Millionen Mark aus dem Städtebauförderungsprogramm in Aussicht. Am 12. September 1985, beschlossen alle Fraktionen einstimmig in einer nichtöffentlichen Sitzung des Hauptausschusses, einen Planungsauftrag an die Verwaltung zu erteilen. Der ursprünglich prämierte Entwurf war somit vom Tisch. Das Architektenbüro von Gerkan, Marg und Partner aus Hamburg entwickelte stattdessen das Modell „Stadthallendampfer”.

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Abrissarbeiten an der Düppelstraße, jetzt Herbert-Hinnendahl-Straße, Häuser weichen dem Neubau, ca. 1986. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,003/Fotosammlung, Nr. 11-937-150

Unter Hochdruck wurden die Planungen abgeschlossen und schon im Sommer 1987 konnte mit der Realisierung durch die Firma Heitkamp GmbH begonnen werden. Der erste Spatenstich erfolgte am 23. Juni durch Oberbürgermeister Klaus Schwickert im Beisein von Kommunalpolitikern, Bauhandwerkern und den Architekten. Die Bauarbeiten gingen reibungslos von statten. So konnte der Grundstein feierlich am 23. Oktober ebenfalls durch Oberbürgermeister Klaus Schwickert und dem NRW-Minister für Städtebau, Wohnungswesen und Verkehr Dr. Christoph Zöpel, vor hunderten von Ehrengästen und Protestierenden gelegt werden. „Lautsprechermusik drohte die Rede des Oberbürgermeisters zu übertönen, Tausende von ‚Bankrottnoten‘ mit dem Bild Schwickerts wirbelten über die Köpfe der Ehrengäste hinweg in die Baugrube, als Städtebauminister Christoph Zöpel Bielefeld lobte, und alternative Blechbläser mit dem grün-bunten Planungsausschußvorsitzenden Walter Mentz als Tuba-Amateur untermalten dissonant das Einlöten und Einmauern der Urkunde: Trotzdem gelang es den Gegnern der Stadthalle nicht, die Grundsteinlegung zu einem Polit-Happening umzugestalten”, war in der Neuen Westfälischen am nächsten Tag zu lesen. Nur ein Jahr später, am 4. November, feierten Bauherren, Architekten und Handwerker mit vielen Gästen das Richtfest.

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Klaus Schwickert, Oberbürgermeister und Dr. Christoph Zöpel, NRW-Minister für Städtebau, Wohnungswesen und Verkehr, bei der Grundsteinlegung am 23. Oktober 1987. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung, Nr. 62-2-150

Die Meinungen zum millionenschweren Bauprojekt gingen weiterhin auseinander. Während die große Mehrheit der Bielefelder Bürgerinnen und Bürger der Fertigstellung entgegenfieberte, blieben die Gegner bei der grundsätzlichen Ablehnung. Hohe Baukosten, Kürzungen und Streichungen von verschiedenen kulturellen Projekten und vor allem die bevorstehende Eröffnungsfeier mit dem Gratisbuffet waren Gründe dafür. Mit einem imitierten Schreiben des Stadtreinigungsamtes forderten Unbekannte die Bielefelder Bürgerinnen und Bürger aus der umliegenden Umgebung auf, sich an einer „Sperrmüllaktion” zu beteiligen. Gefälschte Einladungskarten an Firmen und Einzelpersonen wurden ebenfalls in Umlauf gebracht. Eine Gegenveranstaltung der Grünen und Gruppen aus der linken Szene unter dem Motto „Ihr seid die Titanic, wir sind der Eisberg” war für den Eröffnungstag geplant.

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Protest gegen den Bau der Stadthalle, Oktober 1987. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,003/Fotosammlung, Nr. 52-8-200

Nach gut dreijähriger Bauzeit wurde „der Dampfer”, wie er bereits im Volksmund genannt wurde, fertig gestellt. Das multifunktionale Gebäude mit seinen räumlichen Möglichkeiten für große Veranstaltungen, Tagungen, Kongresse und Ausstellungen für bis zu 4500 Personen konnte am 10. August 1990 seiner Bestimmungen übergeben werden.

„Stapellauf der Stadthalle Bielefeld, eines der top ten Veranstaltungszentren Deutschlands. Wir würden uns freuen, Sie am 10. August 1990 von 18.00 bis 23.00 Uhr an Bord begrüßen zu dürfen. Während der Jungfernfahrt sind Sie auf allen Decks live dabei: Stadthalle Bielefeld erleben, Mövenpick-Gastronomie genießen. Steuern Sie mit uns den richtigen Kurs, wir würden uns freuen, Sie dabei zu haben”. Rund 2200 geladene Gäste, darunter Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Johannes Rau, folgten der Einladung des Oberbürgermeisters und Vorsitzenden des Aufsichtsrates Eberhard David und des Geschäftsführer Matthias Fuchs. Die Gästeliste umfasste neben Vertretern aus Politik und Verwaltung sowie der am Bau beteiligten Firmen auch 700 Bielefelder Bürgerinnen und Bürger, welche im unmittelbaren Umfeld wohnten, und durch die riesige Baustelle mancherlei Lärm und Verkehrsprobleme hinnehmen mussten. Nicht eingeladen, aber trotzdem erschienen, waren rund 2000 Stadthallengegner. Während die Festredner die Bedeutung der Stadthalle für Bielefeld priesen, drohte die Kundgebung vor dem Gebäude zu eskalieren, als rund hundert Randalierer versuchten, den Bauzaun niederzureißen. Flaschen und Farbbeutel wurden geworfen, eine Polizeibeamtin dabei verletzt. Am nächsten Tag, nachdem die Schäden beseitigt waren, erinnerte kaum noch etwas an die Kundgebung.

Mit zwei Tagen der offenen Tür präsentierte sich die Stadthalle unter dem Motto „Eine Halle für alle” der Öffentlichkeit. Jeweils von 10 bis 18 Uhr hatte die Bevölkerung aus Bielefeld und Umgegend die Möglichkeit einen Blick hinter die Kulissen zu werfen. Mit Künstlern aus dem In- und Ausland wurden im Foyer und auf dem Außengelände mancherlei Attraktionen geboten. Technische und akustische Vorführungen mit Lasershow lieferten einen ersten Einblick. Ein Straßenfest zwischen Feilenstraße und Hauptbahnhof sowie die Gastronomie aus dem Hause Mövenpick mit ihren ostwestfälischen und internationalen Speisen ergänzten das vielfältige Programm. Mit 40 000 Besuchern war gerechnet worden, am Ende waren es rund 87 000, die das Wochenende genutzt hatten, um das Veranstaltungszentrum kennenzulernen. Die Erwartungen der Veranstalter waren somit bei weitem übertroffen.

Herforder Straße
Stadthalle Bielefeld, 2013. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,003/Fotosammlung, Nr. 11-941-301

Die Bedeutung Bielefelds als Veranstaltungsstadt stieg enorm. Die anfangs von den Gegnern massiv geäußerte Kritik, die Stadthalle sei zu groß, konnte schnell wiederlegt werden. Schon zwölf Jahre später musste über einen Erweiterungsbau nachgedacht werden. Nach weiteren acht Jahren konnten mit einer 16 monatigen Bauzeit neue Ausstellungs- und Veranstaltungsflächen am 9. September 2010 „als Beiboot” zum „Dampfer” der Öffentlichkeit übergeben werden. Bis heute haben mehr als 4,5 Millionen Menschen rund 6 000 Veranstaltungen besucht.

 

Quellen

  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 102,1/Oberbürgermeister, Nr. 108, 303, 863 und 875
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 103,5/Presse- und Verkehrsamt, Nr. 576
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 108,1/Baudezernat, Nr. 77, 116, 128
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 108,7/Hochbauamt, Nr. 369, 411
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 140/Protokolle, Nr. 687, 697
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 108,1/Baudezernat, Nr. 116
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,002/Zeitungen, Nr. 27, 46 und 52
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,003/Fotosammlung

Literatur

  • Reinhard Vogelsang, Geschichte der Stadt Bielefeld. Band 3: Von der Novemberrevolution 1918 bis zum Ende des 20. Jahrhunderts, Bielefeld 2005
  • Fuchs, Matthias, Die Stadthalle Bielefeld, in: Andreas Beaugrand (Hg.), Stadtbuch Bielefeld – Tradition und Moderne in der ostwestfälischen Metropole, Bielefeld 1996, S. 426-427
  • Bärbel Sunderbrink, Bernd J. Wagner, Das war das 20. Jahrhundert in Bielefeld, Bielefeld 2001
  • Fuchs, Matthias, 10 Jahre Stadthalle Bielefeld, in: Bielefelder Spiegel, Bielefeld 2000, Heft 15
  • Stadthalle Bielefeld : Dokumentation, [Autoren: Meinhard von Gerkan …], Hamburg 1990
  • Wettbewerb Stadthalle Bielefeld, Bielefeld 1980

 

Erstveröffentlichung: 01.08.2015

Hinweis zur Zitation:
Wiebe, Katja, 10. August 1990: Eröffnung der Stadthalle Bielefeld, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld,
https://historischer-rueckklick-bielefeld.com/2015/08/01/01082015, Bielefeld 2015

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