29. Juli 1894: Einweihung des Dreikaiserturms auf der Hünenburg

• Bernd J. Wagner, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek •

 

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Der Dreikaiserturm (1894). Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung, Nr. 13-3-12

Der 29. Juli 1894 war ein Sonntag. Obwohl es sehr warm war, hatten sich bis zu zehntausend Menschen aus „allen Schichten der Bevölkerung” an der Hünenburg eingefunden, um ein „patriotisches Bauwerk” einzuweihen: den Dreikaiserturm. Die Stadt war mit Flaggen geschmückt, und während sich in der Mittagszeit rund 120 Ehrengäste im Jägerkrug in Uerentrup zu einem Festmahl versammelten und Toasts auf den Kaiser aussprachen, fanden sich auf dem Kesselbrink die Mitglieder von gut 70 Bielefelder und auswärtigen Vereinen ein. Über die Dornberger Chaussee zog ein kilometerlanger Zug singend zur Hünenburg, begleitet von Passanten und Anwohnern, die ihnen Blumensträuße zuwarfen und Getränke und Esswaren verkauften. An der Hünenburg angekommen, hielt Landrat Franz von Ditfurth (1840-1909) die „Weiherede” und las ein Telegramm Kaiser Wilhelms II. vor, der sich für die „patriotische Gesinnung” bedankte, die mit dem Bau des Turms zum Ausdruck kam.

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Aufruf des „Comitées zur Erbauung eines Drei-Kaiser-Thurmes” vom 24. Januar 1889. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 130,2/Amt Brackwede, Nr. A 543

Sechs Jahre hatte es gedauert vom sogenannten Dreikaiserjahr bis zur Einweihung des Denkmals. Die Ereignisse im preußischen Königshaus hatten im kaisertreuen Bürgertum einen tiefen Eindruck hinterlassen. Am 9. März 1888 war Kaiser Wilhelm I. gestorben, der seit der Gründung des Kaiserreichs 1871 auf dem Thron gesessen hatte und somit ein Symbol für die Reichseinigung gewesen war. Ihm folgte sein Sohn Friedrich Wilhelm, der als Kaiser Friedrich III. nur 99 Tage im Amt war. Er starb an einem Krebsleiden am 15. Juni 1888 in Potsdam. Am selben Tag wurde sein ältester Sohn Friedrich Wilhelm als Kaiser Wilhelm II. gekrönt. Das „Dreikaiserjahr” hatte realpolitisch keine Konsequenzen, wohl aber stellen Historiker kontrafaktische Fragen, wie sich Deutschland entwickelt hätte, wenn der „liberale” Friedrich III. hätte langfristig regieren können oder Bismarck im Amt geblieben wäre, der ja bekanntlich im März 1890 von Wilhelm II. entlassen wurde.

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Sammelliste für den Dreikaiserturm aus dem Amt Schildesche (1889/90). Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 130,6/Amt Schildesche, Nr. 17

Für die Bürger, die sich am 20. Dezember 1888 trafen und den Grundstein für ein würdiges Denkmal legten, stellten sich diese Fragen nicht. Für sie war das Denkmal vielmehr ein „Merkstein” und ein „Denkstein für die nachkommenden Geschlechter bis in die entfernteste Zeit an die ewig denkwürdigen Ereignisse des Jahres 1888, in welchem nach Gottes unerforschlichen Rathschlusse nacheinander in Preußen drei Könige und in Deutschland drei Kaiser aus dem erlauchten Herrscher- und Heldengeschlechte der Hohenzollern regierten”. Sie wählten einen Vorstand, dem Landrat Franz von Ditfurth und Oberbürgermeister Gerhard Bunnemann (1842-1925) als sein Stellvertreter vorsaßen und fünf weitere Honoratioren aus der Stadt und dem Kreis Bielefeld angehörten, und beschlossen, „auf dem höchsten Punkte der alten Grafschaft Ravensberg”, der Hünenburg, den Dreikaiserturm zu bauen. Während das Gelände von der Besitzerin der Schenkwirtschaft Zweischlingen, Witwe Baumann, und von Meyer zu Borgsen kostenlos zur Verfügung gestellt wurde, sollte der Baufonds durch „freiwillige Beiträge der Eingesessenen des Stadtkreises und des Landkreises Bielefeld sowie der weiteren Umgebung” aufgefüllt werden.

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Der erste Bauabschnitt im Frühjahr 1892. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung, Nr. 13-3-18

Die Organisation der Sammlung übernahm ein Ortsausschuss, dem zahlreiche Bürger aus Politik und Wirtschaft angehörten. Nicht wenige vom Vorstand angefragte Einwohner lehnten aber die Mitarbeit in diesem Ausschuss ab, weil die Geschäfte und sonstigen Verpflichtungen ihnen dafür kaum Zeit ließen. Als im Februar 1889 die ersten Sammellisten in Umlauf gesetzt wurden, war das Echo zwiespältig. Einerseits spendeten wohlhabende Bürger Beträge bis zu 1.000 Mark. Ernst Bansi, Zweiter Bürgermeister und Beisitzer im Vorstand zur Erbauung des Denkmals, klagte andererseits, dass er „bei mehreren sonstigen vermögenden Leuten […] theils abgewiesen” oder mit „kleineren Summen” vertröstet worden sei. Er schlug vor, die „bisherigen Geber” in den Zeitungen „öffentlich” zu nennen, um wahrscheinlich auf diesem Weg die Spendenbereitschaft zu erhöhen. Es mag sein, dass die zeitgleichen Sammlungen für das Kaiser-Wilhelm-Denkmal in Porta manche Bürger veranlasst hatten, für das bedeutendere Denkmal zu spenden. Auf kleinere Spenden für den Dreikaiserturm setzte die Bielefelder Turngesellschaft (BTG). Sie lud zu einer „turnerischen, musikalischen und deklamatorischen Abendunterhaltung” in den großen Saal der Gesellschaft Eintracht ein und stellte die Erträge dem Denkmalfonds zur Verfügung.

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Sie haben den Turm gebaut: Arbeiter und Handwerker vor dem Eingang des Turmes (1893). Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung, Nr. 13-3-14

Obwohl die von den Initiatoren kalkulierten Baukosten in Höhe von 40.000 Mark durch Spenden nur zu etwas mehr als die Hälfte aufgebracht werden konnten, wurde mit dem Bau des Turmes im Frühjahr 1890 begonnen. Die Steine wurden auf einer Feldbahn vom Bentrupschen Steinbruch durch Pferde zur Baustelle befördert, die anderen Baumaterialien von Zweischlingen aus zum Berg gebracht. Um die letzten Steigungen zu überwinden, musste eine Seilbahn mit Dampfbetrieb angelegt werden. Selbst „Bauwasser” musste zur Hünenburg gebracht werden, weil es dort keinen ergiebigen Brunnen gab. Die finanziellen Mittel reichten allerdings nur aus, einen etwa 16 Meter hohen Turm nach den Plänen von Kreisbaumeister Wilhelm Buschmann zu bauen. An dem Ziel, den Turm irgendwann fertigzustellen, hielt das Baukomitee weiterhin fest. Im Sommer 1892 wurde die Baustelle vorübergehend freigegeben. Rund 6.000 Menschen pilgerten zur Hünenburg und bestiegen gegen ein „mäßiges Eintrittsgeld”, das dem Baufonds zugute kam, den noch nicht fertiggestellten Turm. Um möglichst viele Spender zu erreichen, wurden in Gaststätten Sammelkästen aufgehängt und zugunsten des Turmes eine Lotterie mit 30.000 Losen veranstaltet. Zudem stiftete die Pianofortefabrik von Theophil Mann ein Pianino und ließ es zugunsten des Denkmals versteigern. Als die Spendenerträge noch immer nicht reichten, musste bei der Kreissparkasse ein Kapital von 10.000 Marl ausgeliehen werden, um das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Ob die Stadt und der Landkreis oder der Vorstand des Baukomitees den Kredit aufgenommen haben, geht aus den Akten nicht hervor.

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Lotterie zugunsten des Dreikaiserturms (1893). Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 130,2/Amt Brackwede, Nr. A 543

Im Juli 1894 war der der quadratisch gebaute Turm, dessen Seiten jeweils 8,30 Meter maßen, endlich fertiggestellt. Seine Gesamthöhe betrug nun 32,50 Meter. In gut 25 Meter Höhe war eine begehbare Plattform geschaffen worden, von der aus bei gutem Wetter eine „prächtige Fernsicht” möglich war. Während an der Ost-, Nord- und Südseite die Namen der drei Kaiser in den Stein gemeißelt worden waren, war an der Westseite das Ravensberger Wappen angebracht und der Reim zu lesen: „Drei-Kaiser-Turm bin ich genannt / Im treuen Ravensberger Land”. Der „Treppenturm” war mit einem kupfernen Dach bedeckt, auf dem ein vergoldeter Reichadler prangte. Das Festprogramm am 29. Juli 1894 folgte der Choreographie patriotischer Feiern im späten 19. Jahrhundert. Weihereden, Grußworte des Kaisers, die per Telegramm in Bielefeld eintrafen, Chorgesang von mehr als 200 Mitgliedern der Bielefelder Gesangsvereine und des christlich-patriotischen Männervereins, Konzert der städtischen und Militärkapelle sowie des Posaunenchors des Jünglingsvereins. Den Schluss bildete das gemeinsame Absingen des Deutschland- und Westfalenliedes. „Alle patriotisch gesinnten Körperschaften waren auf dem Festplatze vertreten”, verkündete anderntags die Westfälische Zeitung und brauchte ihrer Leserschaft gar nicht erst mitteilen, wer der Hünenburg bewusst ferngeblieben war.

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Anzeigen von den sozialdemokratischen Gegenveranstaltungen. Volkswacht vom 28. Juli 1894

Selbstbewusst und kämpferisch verkündete die SPD, dass „die Arbeiter Bielefelds nichts mit Festen gemein haben wollen, welche von der Bourgeoisie, von den Vertretern der Geldherrschaft, eingerichtet werden.” Kaum vier Jahre nach der Aufhebung des „Gesetzes gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie”, dem Sozialistengesetz, das 1878 verkündet und nach vier Verlängerungen 1890 aufgehoben wurde, hatte die Sozialdemokratie wahrlich keinen Grund, einem lebenden oder verstorbenen Kaiser zu huldigen. Als „Gegenstück zu der Patriotenfeier auf der Hünenburg” wurden gleich mehrere Veranstaltungen angekündigt. In der Centralhalle am Kesselbrink feierte der Metallarbeiterverband sein Stiftungsfest, für das mehr als 800 Eintrittskarten ausgegeben worden waren. Zudem hatte der „Sozialdemokratische Verein zu Brackwede” zu seinem Stiftungsfest im Wellmannschen Lokal in Gadderbaum eingeladen, das sich „eines sehr zahlreichen Zuspruches seitens der Arbeiterbevölkerung” erfreuen konnte. Auf beiden Festen stand mit Konzerten und Gesang, Theateraufführungen und Tanz die leichte Unterhaltung im Vordergrund.

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Die Hünenburg mit neuem Fernsehturm und Gastwirtschaft ist mittlerweile auch schon Geschichte (1955). Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung, Nr. 13-3-54

Schon im Vorfeld hatte die Volkswacht ihre Leser ermahnt, dass „es die Pflicht jedes Sozialdemokraten” sei, für „die sozialdemokratischen Volksfeste zu agitieren”. Heftig kritisiert wurde die Aufforderung der „hiesigen Bourgeoisblätter”, keine Kinder zur Einweihung des Dreikaiserturms mitzubringen. Das sei eine „Rücksichtslosigkeit […] gegen Bielefelder Arbeiterfrauen”, die sich keine „Bonnen oder Kindermädchen halten” könnten. Das von dem Festkomitee apostrophierte „Volksfest” könne daher keines sein. Einem „seiner Klassenlage bewußten Proletarier” könne es daher „nicht zweifelhaft sein, wohin er seine Schritte zu lenken hat.”

Nach der Eröffnung entwickelte sich der Dreikaiserturms zu einem der beliebtesten Ausflugsziele im Teutoburger Wald. Eine Wanderung zur Hünenburg gehörte fast schon zum Lehrplan aller Bielefelder Schulen. Zwischen 1936 und 1939 dienten die auf dem Turm angebrachten „brennenden Blinkfeuer” der zivilen Luftfahrt als Wegweiser. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs war dort ein „Luftnachrichten-Kommando” mit einer umfangreichen „technischen Nachrichteneinrichtung” untergebracht, das im März 1945 nach Zerstörung der Technik aufgegeben wurde. Die Tage des Dreikaiserturms waren von nun an gezählt. 1952 fiel er „der Spitzhacke zum Opfer, um der fortschreitenden Technik Platz zu machen”, berichtete Brackwedes vormaliger Amtsdirektor Adolf Tjaden. Die Erinnerung an das Dreikaiserjahr spielte zu diesem Zeitpunkt keine Rolle mehr. Es war der beliebte Aussichtsturm mit einer Gastwirtschaft, der die Massen auf den Berg zog. „Unzählige Menschen, groß und klein, arm und reich, haben ihn bestiegen und die herrliche Rundsicht über die gesegneten Fluren des Ravensberger Landes genossen”, berichtete Adolf Tjaden im Pathos der frühen 1950er Jahre. „Ein Trost ist den Wanderern geblieben, der neue Fernsehturm soll nicht nur technischen Zwecken dienen, sondern er ist auch für Aussichtszwecke eingerichtet und wird zu gegebener Zeit dafür freigegeben werden. Die Hünenburg wird also auch künftig lohnendes Wanderziel bleiben.”

Quellen

  • Bestand 101,1/Geschäftsstelle I, Nr. 151: Dreikaiserturm auf der Hünenburg, 1889-1894
  • Bestand 130,2/Amt und Stadt Brackwede, Nr. 543: Die Erbauung eines „Dreikaiserthurmes” auf der Hünenburg (Gemeinde Quelle), 1888-1952
  • Bestand 130,6/Amt Schildesche, Nr. 17: Errichtung eines Denkmals für seine Majestät den Hochseligen Kaiser und König Wilhelm I. in der Provinz Westfalen und eines Drei-Kaiser-Turmes auf der sog. Hünenburg, 1888-1890
  • Bestand 400,1/Zeitungen: Volkswacht (1890-1894), Westfälische Zeitung (1888-1894)
  • Bestand 400,3/Fotosammlung
  • Der Drei-Kaiser-Turm auf der Hünenburg bei Bielefeld, 2. Auflage (1890)
  • Der Drei-Kaiser-Turm auf der Hünenburg bei Bielefeld. Festschrift zum 29. Juli 1894

Literatur

  • Adolf Tjaden, 58 Jahre Drei-Kaiser-Turm, in: Mitteilungen des Heimatvereins für den Amtsbezirk Brackwede, 1952, Nr. 6, S. 61-66

 

Erstveröffentlichung: 01.07.2014

Hinweis zur Zitation:
Wagner, Bernd. J., 29. Juli 1894: Einweihung des Dreikaiserturms auf der Hünenburg Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld,
https://historischer-rueckklick-bielefeld.com/2014/07/01/01072014, Bielefeld 2014

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