• Dagmar Giesecke, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek •
„Das 90. Deutsche Krematorium in Bielefeld eröffnet! Am 4. April d. J wurde die im Anschluß an die Kapelle und Leichenhalle des Sennefriedhofs errichtete Krematoriumsanlage zum ersten Male in Benutzung genommen. Der ersten Einäscherung, deren Feier einen stimmungsvollen, ernsten Verlauf nahm, wohnte eine zahlreiche Trauergemeinde bei. Auch die zweite Einäscherung am gleichen Tage, die unseres verstorbenen Vereinsmitgliedes Siveke aus Herford, fand unter großer Beteiligung statt und hinterließ einen tiefgehenden Eindruck”, berichtete „Die Volks-Feuerbestattung”, das Organ des Volks-Feuerbestattungs-Vereins von Groß-Berlin im Mai 1929.

Bis zur Verbreitung des Christentums waren Feuerbestattungen die Regel. Ein Aspekt war der Glaube an die leibliche Auferstehung der Toten, zu der sich bis heute die Christen in ihrem Glaubensbekenntnis bekennen. Karl der Große führte 786 n. Chr. verpflichtend die Erdbestattung ein. Feuerbestattungen wurden von nun an fast ausschließlich als strafendes Element z. B. bei Hexenverbrennungen angewandt. Aber auch bei Massensterben durch Kriege oder Krankheiten wie der Pest durfte diese Form der Bestattung zum Einsatz gebracht werden. Lange noch galten Kremationen als vorgezogene Fegefeuer, später eher als Bestattungen zweiter Klasse. Die katholische Kirche arrangierte sich sogar erst 1963 nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil mit den Einäscherungen. Mit der Einführung der Feuerbestattung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war der Bau zahlreicher Krematorien verbunden. 1878 wurde das erste in Gotha erbaut. Dem schon lange herrschenden Platzmangel auf den städtischen Friedhöfen sollte mit den Verbrennungen Abhilfe geschaffen und das gesamte Bestattungswesen wirtschaftlicher gestaltet werden. Die Technisierung des Todes lief parallel mit der allgemeinen Industrialisierung im 19. Jahrhundert. Wurden 1900 nur 0,02 Prozent der Verstorbenen kremiert, sind es heute über 50 Prozent, in Städten wie Hamburg und Berlin um die 80 Prozent, höher ist die Zahl nur noch in Rostock mit 90 Prozent. Bis heute am niedrigsten ist die Zahl in Bayern, wo auch Beerdigungen von Amts wegen trotz höherer Kosten Erdbestattungen sind.Friedrich Siemens (1826-1904) hatte eigens für die Einäscherung einen Heißluftofen entwickelt, der auf einem Regenerativverfahren basierte. Zwei Jahre zuvor war in Mailand ein so genannter Flammofen in Betrieb genommen worden, der aber in deutschen Ländern aus Pietätsgründen keine Akzeptanz fand. Preußen und Bayern verweigerten am längsten die Einführung der neuen Form der Bestattung. Zwei große Vorteile sollten Kremationen für die Zukunft bringen: Zum einen konnte damit der schon lange herrschende Platzmangel auf den Friedhöfen beendet, zum anderen das gesamte Bestattungswesen kostengünstiger durchgeführt werden.
Preußen führte 1910 die Feuerbestattungen ein. Schnell wuchs auch in Bielefeld die Anhängerschaft der neuen Beerdigungsform. Zwei Feuerbestattungsvereine gründeten sich, die vehement ein Krematorium für die Stadt forderten, erstmals 1923. Erst 1926 war ein dritter Antrag erfolgreich: Im Protokoll des Park- und Friedhofsausschusses vom 25. Februar ist zu lesen, dass dieser eine Verbrennungsstätte nun endlich befürwortete. Nach einer positiven Stellungnahme durch Stadtoberbaurat Friedrich Schultz (1876-1945) beschloss auch der Magistrat 1927 den Bau eines Krematoriums. Strittig war allerdings der Standort. In Frage kam der Sennefriedhof, aber einiges sprach auch für den Johannisfriedhof. Nach dem Abwägen des „Für” und „Wider” fiel die Entscheidung auf die Begräbnisstätte in der Senne, so dass zügig mit den Bauarbeiten begonnen werden konnte. Die Firma Topf & Söhne, ansässig in Erfurt, bekam den Zuschlag zum Bau eines Verbrennungsofens. Diese Firma erwarb sich in der NS-Zeit eine zweifelhafte Bekanntheit: Für Konzentrationslager entwickelte sie spezielle Verbrennungsöfen, von denen einige auch mobil eingesetzt werden konnten.

Mit der Eröffnung im April 1929 veränderte sich auch Personalstruktur. Für die neuen Tätigkeiten war das alte Personal nicht hinreichend ausgebildet. Die Akzeptanz für das Krematorium in der Bielefelder Bevölkerung, die überwiegend protestantisch war, wuchs schnell. Auch im Umland war das Interesse groß, so dass sich die Anzahl der Kremationen schnell mehr als verdreifachte.
Von den Folgen des Zweiten Weltkrieges blieb auch der Sennefriedhof nicht verschont. Aufräum- und Reparaturarbeiten mussten weit über das Jahr 1945 hinaus geleistet werden. Aber auch die eigentlichen Arbeiten kamen zum Erliegen. Wegen Koksmangels musste das Krematorium im Oktober 1945 die Einäscherungen einstellen. Etliche Versuche, bei der Militärregierung Feuerungsmaterial zu bekommen, führten nicht zum Erfolg. Noch im April 1947 teilte das Friedhofsamt der Bestattungs- und Lebensversicherungsgesellschaft mit, dass das Krematorium noch immer geschlossen sei. Man brauchte monatlich durchschnittlich drei Tonnen Koks, um die Einrichtung wirtschaftlich betreiben zu können. Im selben Jahr meldete sich auch die Firma Topf & Söhne bei der Stadt, um ihre Dienste wieder anzubieten. Einer der Mitarbeiter der Firma hatte sich inzwischen aus der sowjetischen Besatzungszone abgesetzt und führte in den westlichen Zonen Reparatur-, Instandsetzungs- und Umbauarbeiten durch. „Der Ofen befindet sich in einem verhältnismäßig gutem Zustand, äusserlich sind keinerlei Schäden feststellbar. […] Der Koksgenerator muss ebenfalls mit neu ausgemauert werden. Die Züge und Kanäle zum Abziehen der Rauchgase müssen gründlich gereinigt und vom Ofenbauer nachgesehen werden und so weit notwendig instandgesetzt werden. […] Da die Firma Topf Söhne z. Zt. einen Ofenbauer in den Westzonen beschäftigt, so könnte derselbe die Arbeit voraussichtlich Ende April oder im Laufe des Monats Mai ausführen. […] Der vorhandene Ofen wurde m.W. im Jahre 1928 erbaut. Es handelt sich dabei um eine heute veraltete Konstruktion. Um den Ofenbetrieb wirtschaftlicher zu gestalten und die Einäscherungsdauer wesentlich zu verkürzen empfehle ich zu passender Zeit, den alten Ofen abzureissen und an dessen Stelle einen neuen ‚Topf- Einäscherungsofen Bauart 1947‘ aufzustellen”, begutachtete ein Ingenieur, Mitarbeiter der Firma Topf Söhne. Es kostete 775 RM. Erst zum 1. April 1948 gab es grünes Licht zur Wiederaufnahme der Einäscherungen. Mit der Wiederinbetriebnahme des Krematoriums musste ebenfalls eine neue Prägemaschine für die Aschekapseln angeschafft werden, da diese zu Kriegszeiten zerstört worden war. Als neue Prägemaschine bot sich eine Art Adrema-Maschine an. Im ersten Jahr der Wiederaufnahme konnten 114 Tote kremiert werden.

Trotz intensiver Nachkriegsreparaturen musste 1952 das Krematorium wegen Umbauarbeiten vorübergehend geschlossen werden. Nur sechs Jahre später erfolgte eine weitere kurzfristige Schließung, da dicker Qualm über dem Krematorium austrat. Auch wenn dieser nach ca. 15 Minuten wieder verschwunden war, musste eine Rauchabzugsanlage eingebaut werden. Die Kosten dafür beliefen sich über 5.000 DM. In den 1960er Jahren fanden bundesweite Verschärfungen der Betriebsordnungen statt, mit denen sich auch die Stadt Bielefeld auseinander setzen musste. Das Krematorium entsprach nicht mehr den Erfordernissen: „Da die vorhandene Feuerbestattungsanlage abgängig ist, soll sie durch eine neue ersetzt werden. Gem. beigefügtem Plan wird anstelle des koksgefeuerten Einzelofens ein ölgefeuerter Doppelofen eingebaut. […] Der vorhandene Schornstein wird abgebrochen und durch einen zweizügigen von 18 m Höhe ersetzt […] ersetzt. Auch die Rauchkanäle werden erneuert. […] Gemäß Plan wird der Einführungsraum vergrößert und neu gestaltet, wobei ein Wasch- und Duschraum für das Personal eingebaut wird. […] Die Aufbahrungsräume erhalten eine neue Be- und Entlüftungsanlage”, unterschrieben vom städtischen Oberbaurat Jäschke am 25. Juni 1969. Infolge der Umbauarbeiten konnten in der Zeit von Oktober 1969 bis März 1970 keine Einäscherungen stattfinden. Dafür standen die Krematorien in Osnabrück, Dortmund und Hannover zur Verfügung. Nach knapp neun Monaten des Umbaus konnte in Juni die Arbeit wieder aufgenommen werden. Bielefeld hatte neben Hamburg und Bremen nun eine der modernsten Verbrennungsanlagen Deutschlands.
Trotz Modernisierung blieb die Anzahl der Einäscherungen auf dem Sennefriedhof in den 1970er Jahren hinter den eigenen Erwartungen zurück und dazu unter dem Bundesdurchschnitt, vor allem weit unter dem von anderen Großstädten. So schrieb das Westfalen-Blatt am 18. Oktober 1978: „‘Bei dieser offensichtlichen Ablehnung der Urnenbestattung spielen sicherlich religiöse und traditionelle Gründe eine entscheidende Rolle‘, bemerkt Alfred Gehrke [Leiter des Garten-, Forst- und Friedhofsamtes] dazu. Doch es sei zu bedenken, daß durch eine Urnenbestattung auch weiterhin die Möglichkeit besteht, auf einem als belegt geltenden Friedhof beigesetzt zu werden. Voraussetzung dafür: das Nutzungsrecht für ein Wahlgrab. In einem solchen Wahlgrab können zuzüglich der traditionellen Beerdigung in einem Sarg noch vier Urnen beigesetzt werden. […] Zudem sind die Kosten für eine Urnenbestattung erheblich niedriger. […] Durch eine Urnenbeisetzung könne man vom Friedhofsamt her auch in Zukunft sehr viel problemloser den Wünschen der Angehörigen nachkommen. Dies setze allerdings voraus, daß auch in Bielefeld die Scheu vor der Feuerbestattung abgebaut wird, zumal die Kirchen ihre anfänglichen Vorbehalte offensichtlich aufgegeben hätten”. Bis 2012 veränderte sich aber auch in Bielefeld die Einstellung zur Kremation. So titelte am 12. Dezember desselben Jahres das Westfalen-Blatt: „Tendenz geht zur Einäscherung”.

Zwischen 1997 und 1999 entstand der Neubau des Krematoriums auf dem Gelände des Sennefriedhofs. Nach nicht einmal zwei Jahren Bauzeit ging die Verbrennungsstätte am 15. März 1999 in Betrieb. Knapp zwei Wochen vorher gründete sich die „Krematorium Bielefeld Betriebs GmbH”. Der Betrieb war so „erfolgreich”, dass 2004 die Gebühren gesenkt werden konnten. 2008 erhielt die Einrichtung bundesweit als Erste das Siegel „Kontrolliertes Krematorium” für Umweltschutz und Pietät. Mit der Abnahme der Bevölkerung haben Friedhöfe aber auch mit dem Rückgang der Anzahl der Beerdigungen zu kämpfen. Bis zu acht Urnen werden heute auf eine Fläche eingesetzt, die früher für einen Sarg nötig war, so dass Friedhöfe wieder Kapazitäten frei haben und offen für Beerdigungen werben. Schon zu Lebzeiten sollen sich die Menschen ihren Platz auf den Friedhöfen aussuchen.
Neue Konzepte und Beerdigungsformen wie Kolumbarien, eine Art Urnenhalle oder Urnenwand, werden angepriesen.

Ein solches Kolumbarium, es ist das erste in Ostwestfalen-Lippe, ist inzwischen auch auf dem Alten Friedhof am Jahnplatz gebaut worden. Mit einer Länge von 45 Metern sollen dort 1.145 Ascheurnen Platz finden. Geworben wird wiederum damit, dass die Kosten dafür auf 20 Jahre hochgerechnet gegenüber einer Erdbestattung um ein Vielfaches geringer sind. Vor 95 Jahren wurde mit diesem Argument die Feuerbestattung beworben.
Quellen
- Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 108,14/Garten-, Forst – und Friedhofsamt Nr. 381; Nr. 382; Nr. 389; Nr. 512, Bd.1
- Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,2/Zeitungen
- Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung
Literatur
- Sörries, Rainer, Großes Lexikon der Bestattungs- und Friedhofskultur. Wörterbuch der Sepulkralkultur, 2 Bde., hrsg. vom Zentralinstitut für Sepulkralkultur Kassel, Braunschweig 2002
- Sörries, Rainer, Raum für Tote, hg. v. Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal e. V., Zentralinstitut und Museum für Sepulkralkultur, Braunschweig 2003
- 60 Jahre Sennefriedhof, Heft 5, hg. v. Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal e.V. Kassel, 1972
- Gälzer, Ralph, Sechzig Jahre Sennefriedhof der Stadt Bielefeld, Sonderdruck aus: Das Gartenamt, Heft 9, 1972
Erstveröffentlichung: 01.04.2014
Hinweis zur Zitation:
Giesecke, Dagmar, 4. April 1929: Erste Einäscherung im Krematorium auf dem Sennefriedhof, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld, https://historischer-rueckklick-bielefeld.com/2014/04/01/01042014, Bielefeld 2014