27. Oktober 1977: Einweihungsfeier des neuen Werkes von Kochs Adler in Oldentrup

• Dagmar Giesecke, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek •

 

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Einweihung im Casino der neuen Kochs Adler Werke am 27. Oktober 1977, rechts vorne Dr. Alfred Zubler, Vorstandssprecher der Kochs Adler AG. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 210,5/Dürkopp/Adler AG, Nr. 4303

„Gäste aus den entferntesten Winkel der Welt, aus Neuseeland, der Sowjetunion und Argentinien, Kunden und Importeure, Händler und Unternehmer, namhafte Vertreter aus Politik und Wirtschaft gaben sich gestern bei den Kochs Adler Wer[k]en in Bielefeld-Oldentrup ein Stelldichein, um bei der offiziellen Einweihung des neuen Betriebes zugegen zu sein. Die erdumspannenden Verbindungen des Werkes, das zu 81 Prozent für den Export arbeitet und über 90 Märkte mit Industrienähmaschinen beliefert, können kaum besser verdeutlicht werden als durch den von Vorstandssprecher Dr. Alfred Zubler gemachten Hinweis auf die überaus vielfältigen Einsatzmöglichkeiten der Adler-Maschinen; mit ihnen wurden nämlich bisher nicht nur die Weltraumanzüge einiger Astronauten, Fallschirme für Israel, Filter für Kupferbergwerke in Chile, Arbeitshandschuhe für Zuckerrohrschneider in Kuba und Haltegurte für sowjetische Autofahrer genäht, auch die Produktion von 100-Mark-Scheinen aus Seide in Notgeldzeiten war mit dem Namen Kochs Adler verbunden.” Mit diesen Sätzen begann am 28. Oktober 1977 die ausführliche Berichterstattung der Neuen Westfälischen zur Einweihung eines der größten Industriebetriebe Bielefelds.

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Kochs Adler AG, Werk I, in der Innenstadt zwischen Große-Kurfürsten-Straße, Arndtstraße, Mindener Straße und Teichstraße, ca. 1970. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung

Schon 1961 begannen die ersten Verhandlungen zum Bau einer Entlastungsstraße für den innerstädtischen Verkehr und der damit verbundenen Verlagerung der Kochs Adler Werke vom angestammten Standort nahe des Bahnhofs. Aber erst 1967 folgten die nächsten Gespräche, die ebenfalls zu keinen Ergebnissen führten. Im Sommer 1969, nachdem die endgültige Trassenführung feststand, konnten einerseits konkrete Verhandlungen wegen anstehender Entschädigungen aufgenommen und andererseits der Neubau auf der „grünen Wiese” in Oldentrup geplant werden. Bis dahin war jegliche Planung und Überlegung für die Zukunft durch den jahrelangen Schwebzustand blockiert worden, so dass eine expansive Entwicklung der Firma nicht stattfinden konnte. Für die umfassende Umgestaltung der Innenstadt wurde das gesamt Gelände benötigt: Werk I, zwischen Große-Kurfürsten-Straße, Mindener Straße und Arndtstraße für den Ostwestfalendamm, Werke II und III an der Heinrich-Koch-Straße und Hinter dem Güterbahnhof für die Sanierung des Geländes um den Hauptbahnhof.

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Dr. Arend Oetker, Aufsichtsratsvorsitzender der Kochs Adler AG spricht zur Einweihung, 27. Oktober 1977. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 210,5/Dürkopp/Adler AG, Nr. 2565

Eine anfangs überlegte Teilverlagerung war somit vom Tisch. Am 7. August 1969 bot die Stadtverwaltung alternativ zwei Gelände an. Das eine lag in Oldentrup mit acht bis zehn Hektar und dazu gehörendem Gleisanschluss, das andere nahe an Hillegossen mit selber Größe und ebenfalls mit Eisenbahnanschluss. Als zufriedenstellend wurden beide Angebote nicht gesehen, wollte man doch näher an der Stadt dran bleiben. Dafür hätte Kochs Adler auch auf den Schienenanschluss verzichtet. Das ebenfalls freie Gewerbegelände an der Herforder Straße kam wegen der Schwierigkeiten einer Bebauung nicht in Frage. Für die Errichtung eines Werkes in Oldentrup sah die Firma zudem Probleme mit der Gemeinde, die sich der Ansiedlung eines solchen Industriebetriebes wahrscheinlich entgegenstellen würde. Da zirka 50 Prozent des Personals im kaufmännischen Bereich tätig war, brachte Dr. Zubler nochmals die Überlegung in Spiel, ein Verwaltungsgebäude in der Innenstadt zu halten und ausschließlich die Produktion zu verlagern.

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Grundsteinlegung am 11. April 1976. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 210,5/Dürkopp/Adler AG, Nr. 4303

Ein weiterer Knackpunkt war der finanzielle Ausgleich für die Umsiedelung des Betriebes durch die Stadt. Die Kochs Adler Werke sollten gutachterlich die Gesamtkosten für die Entschädigung und die Verlagerung ermitteln lassen und dann bei der Verwaltung einreichen. Großzügig wolle man sich bei der Entschädigung zeigen, teilte die Stadt mit, war man doch auf die Grundstücke angewiesen. Trotzdem wehrte sie sich schon in Vorhinein gegen zu hohe Forderungen, hatte doch Herr Dr. Zubler zu bedenken gegeben, dass die Nähmaschinenbranche in dieser Zeit nicht unbedingt zu den ertragreichen Bereichen der deutschen Wirtschaft gehöre. Nach zähem Ringen um Standort und Entschädigung fiel die Wahl im September 1975 auf Oldentrup, für Verwaltung und Produktion. Sofort begannen mit Hochdruck die Planungen und schon im kommenden Februar konnte mit der Realisierung durch die Firma Holzmann AG begonnen werden.

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Wilhelm Obermaier, technischer Direktor der Kochs Adler AG bei seiner Ansprache auf dem Richtfest am 27.Oktober 1976. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 210,5/Dürkopp/Adler AG, Nr. 4303

Am 12. April 1976 berichtete die Neue Westfälische über die „Grundsteinlegung bei Kochs Adler für dritte Werksgründung”. Die Gesamtfläche nahe des Lindemann’schen Hofes betrug 18 Hektar statt der damals geplanten zehn, hatte allein die zweigeschossige Produktionshalle schon eine Größe von vier Fußballfeldern. Die bebaute Grundfläche wurde mit 26 000 qm angegeben, Straßen und Parkplätze mit 25 000 qm. Der viergeschossige Verwaltungstrakt war mit 6 000 qm dabei. Eine Stichstraße von der Straße „Am-Meyer-zu-Stieghorst-Hof” sicherte die Zufahrt zum Gelände. Unmittelbarer Nachbar wurde die Firma Anstoetz. Einmauern ließ die Firma eine kupferbeschlagene Hülse mit Zeitdokumenten und Bildern der Firmengeschichte, dazu Bielefelder Tageszeitungen, Banknoten und Münzen sowie in Harz gegossene Nähmaschinenteile. „Gestern bei strahlendem `Kaiserwetter´: Dr. Arend Oetker tat namens des Aufsichtsrates der Kochs Adler AG die drei obligatorischen Hammerschläge mit den besten Wünschen für die Zukunft, nachdem Polier Franz Jänke […] die Kartusche eingemauert hatte”, war im Westfalen-Blatt vom selben Tag zu lesen.

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Erste Seite des Bielefelder Stadtblatts mit Anschuldigungen an die Kochs Adler AG wegen angeblich zu viel erhaltener Entschädigungszahlungen, 5. Mai 1982. Bestand 210,5/Dürkopp/Adler AG, Nr. 2737

Nur sechs Monate später, am 27. Oktober, feierten Bauherr, Gäste und Handwerker unter großer Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit das Richtfest. „Mit Eifer und Elan wurde auf dieser Baustelle gearbeitet, versicherte der Sprecher der Firma Holzmann Dr. Meier. Und Direktor Wilhelm Obermaier vom Vorstand der Kochs Adler AG erinnerte daran, dass der bisher umgebaute Raum von rund 245 000 Kubikmetern mit etwa 250 Wohnhäusern vergleichbar sei”, teilte die Neue Westfälische am 28. Oktober mit. Bis zu Fertigstellung der Rohbauarbeiten waren weitere zwei Monate eingeplant, mit einem Kostenvolumen von neun Millionen DM. 100 Bauarbeiter waren täglich auf der Baustelle anwesend.

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Karikatur von Egon Körbi: Fleißige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bewerkstelligen den Umzug, 1977. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 210,5/Dürkopp/Adler AG, Nr. 3522

Am 27. Februar 1976 berichtete die Neue Westfälische über eventuelle Bodenspekulationen im Zusammenhang mit der Umgestaltung der Innenstadt, von denen die Kochs Adler AG profitiert haben sollte. Der Vorsitzende des städtischen Liegenschaftsausschusses Josef Heinermann dementierte umgehend die von der FDP stammenden Behauptungen. „Solche Gerüchte, so Heinermann damals, würden nur Unruhe erzeugen und den falschen Eindruck erwecken, als ob die Stadt Geschäftemachern Tür und Tor öffne”, schrieb am 5. Mai 1982 das Bielefelder Stadtblatt. Neben überhöht gezahlten Grundstückspreisen sollten auch die mehr als ortsüblichen Preise u. a. für Produktionsausfall und nicht verlagerungsfähige Produktionszweige sowie Maschinen bezahlt worden sein. Neben dem Stadtblatt hatten sich auch die Neue Westfälische, das Westfalen-Blatt und mehrere auswärtige Zeitungen dem Thema ausführlich gewidmet. Schon 1980 hatte allerdings das Finanzamt Bielefeld bezüglich der Prüfung der Prüfungsberichte vom 17. April 1978 der Kochs Adler AG mitgeteilt, dass es in strafrechtlicher und bußgeldrechtlicher Hinsicht nichts zu veranlassen habe.

Bis zum 30. Juni 1977 erfolgten die Bauabnahme des Neubaus und die damit verbundene Bezugsfreigabe. Für die gesamte Verlagerung galt die Zielsetzung: Geringster Produktionsausfall. Die Hauptbelegschaft ging vom 8. Juli bis zum 8. August in den Betriebsurlaub. In diesen Wochen wurden alle Maschinen und Anlagen mit aufwendigen Montagen geliefert und installiert.

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Ankunft der letzten Maschine aus dem alten Werk in der Innenstadt am neuen Standort, 1977. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 210,5/Dürkopp/Adler AG, Nr. 4303

Mit ca. 30 000 Positionen und 400 Tonnen Materialien wurde das neue Zentrallager eingerichtet und logistisch organisiert, die neuen technologischen Einrichtungen für die Härterei, die Lackiererei und die Galvanik mit Ver- und Entsorgungsanlagen zum Probebetrieb angefahren. Die Hauptverlagerung der ca. 950 Werkzeugmaschinen und der Arbeitsplätze erfolgten durch Mithilfe der Belegschaft nach Rückkehr aus dem Urlaub. Ein detaillierter Reihenfolge-Terminplan bestimmte den Ablauf pro Tag. Dazu gehörten das Einpacken der Arbeitsplätze, der Transport der Maschinen und der Ausrüstung in den Neubau, das Aufstellen und Anschließen der Maschinen am neuen Layout-Platz, gefolgt vom ersten Arbeitstag im neuen Gebäude. Die Verlagerungsstrategie ermöglichte es, den Arbeitsausfall zu begrenzen. Am 9. September erreichte die letzte Maschine Oldentrup. Nach 50 Arbeitstagen – davon 30 bei laufender Produktion – war der Umzug vollbracht. Damit endete die 117-jährige Kochs Adler-Nähmaschinenfertigung in der Bielefelder Innenstadt.

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Luftbild des Neubaus als Modell in Oldentrup,1977. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 210,5/Dürkopp/Adler AG, Nr. 2391

Für die Verlagerung des Betriebes hatte Kochs Adler 61 Millionen DM erhalten, davon wurden acht Millionen für das Grundstück ausgegeben, drei Millionen verschlangen die Außenanlagen, Parkplätze und Straßenführungen, 40 Millionen kosteten die Gebäude. Für die nicht verlagerungsfähigen Produktionszweige und ein modernes Hochregallager waren 10 Millionen vorhanden. Die restlichen 10 Millionen wurden für den Umzug, neue Versicherungen, den Produktionsausfall und die Stilllegung der Gießerei ausgegeben.

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Abriss des alten Werkes in der Innenstadt im Juni 1979. Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 210,5/Dürkopp/Adler AG, Nr. 4303

Groß feierte Kochs Adler die Einweihung im werkseigenen Casino. Klaus Schwickert, seinerzeit Oberbürgermeister, bedankte sich u. a. für die langfristige Sicherung von weit über 1000 Arbeitsplätzen in der Stadt und betonte, dass es „auch aus fiskalischen Wirtschaftserwägungen um die Erhaltung und Förderung eines der größten Bielefelder Industriebetriebe gegangen sei. […] Unter Hinweis auf die Notwendigkeit besserer Verkehrsverbindungen betonte er [Schwickert], der Ostwestfalendamm solle außerdem zur Entkrampfung des derzeitigen Innenstadtverkehrs beitragen. […] Mit dem Ausweichen aus der Innenstadt habe die Unternehmensleitung von Kochs Adler einen wesentlichen Betrag dafür geleistet, daß durch die zielstrebige Weiterverfolgung unserer Stadtentwicklungsplanung in absehbarer Zeit für unsere Bielefelder Innenstadt das zurückgewonnen hat, was heutzutage als Urbanität bezeichnet wird”, gab die Neue Westfälische am 28. Oktober 1977 wieder. Neben dem Fabrikanten Gerd Seidensticker kam auch der Präsident des spanischen Nähmaschinen-Fachhandels Dr. Kurt Knauf zu Wort und wies auf enge und vertrauensvolle Verbindungen des Bielefelder Werkes mit den Vertretern in aller Welt hin. Für die Belegschaft sprach der Betriebsratsvorsitzende Günter Sielemann. Er betonte, dass das neue Werk auf die Zukunft ausgerichtet sei. Das weise darauf hin, dass der Wille da sei, die Tradition der über 100-jährigen Geschichte der Firma fortzusetzen. „Wir leben in einer Zeit, die nicht mehr den Arbeitnehmer als Untertan verlangt, sondern als Mensch, der verantwortungsbewußt und mobil ist. Auf diese Voraussetzung konnten und können wir bei den Kochs Adler Werken immer bauen”, ist seiner Rede zu entnehmen. Als Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstages hielt Otto Wolff von Amerongen den Festvortrag, in dem er u. a. mehr Mut für Zukunftsinvestitionen forderte und unterstrich, dass in diesen Wochen nichts mehr schade als Zaudern und Zögern. Zum Abschluss des offiziellen Teils resümierte der Aufsichtsratsvorsitzende Arend Oetker, sich mit dem zu begnügen, was jetzt alle haben und sprach dann die Hoffnung aus, dass der wagemutige Unternehmergeist auch noch in hundert Jahren vorhanden sei.

Mit den Abrissarbeiten des alten Werkes wurde im Juni 1979 begonnen.

 

Quellen

  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 210,5/Dürkopp/Adler AG, Nr. 2391, Nr. 2727, Nr. 2738, Nr. 2565, Nr. 2696, Nr. 2670, Nr. 2680, Nr. 3522, Nr. 4303
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,2/Zeitungen
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,3/Fotosammlung

 

Erstveröffentlichung: 01.10.2012

Hinweis zur Zitation:
Giesecke, Dagmar, 27. Oktober 1977: Einweihungsfeier des neuen Werkes von Kochs Adler in Oldentrup, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld,
https://historischer-rueckklick-bielefeld.com/2012/10/01/01102012/, Bielefeld 2012

 

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