August 1535: Der „Wiedertäufer“-König Jan van Leiden wird auf der Sparrenburg gefangen gehalten

• Dr. Jochen Rath, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek •

 

Königsbesuch in Bielefeld im August 1535: Als der selbsternannte und gottgefühlte Regent Jan van Leiden auf der Burg Sparenberg eintraf, war sein Auftritt alles andere als monarchisch. Nach dem Ende des Täuferreichs in Münster im Juni 1535 wurde der gestürzte „Wiedertäufer”-König in Westfalen als Trophäe herumgereicht und in Ketten zur Schau gestellt – auch in Bielefeld.

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Jan van Leiden (1508-1536) war ein überzeugter Täufer; Stich aus Hermann von Kerrsenbroick [Kerssenbrock], Geschichte der Wiedertäufer zu Münster in Westphalen, Münster 1771 [Landesgeschichtliche Bibliothek, Sign. Q 20 324]

Wer war dieser Mann, dessen Geschichte und Werk zumindest den niederdeutschen Raum für mehr als ein Jahr in Atem hielt? An der Deutung Jan van Leidens haben sich Zeitgenossen und Nachwelt aus Religion und Wissenschaft, Literatur und Gesellschaft beharrlich abgearbeitet: Manche sahen in ihm einen Scharlatan, der einen religiös verbrämten Massenwahn entfachte. Für andere war er ein charismatischer Phantast, der selbst einer damals verbreiteten Endzeiterwartung aufsaß. Differenzierter wird in ihm ein Entscheidungschrist erkannt, der mit allen Konsequenzen die Erwachsenentaufe propagierte, damit das Risiko der Verfolgung und der Todesstrafe auf sich nahm und in einen radikalen Selbsterhaltungs-Fatalismus abdriftete, als sich das nahende Ende der Täufergemeinde in Münster überdeutlich abzeichnete und noch so tödliche Entscheidungen die Situation nicht mehr schlimmer gestalten konnten.

 

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Herzog Johann III. von Jülich-Kleve-Berg bestätigte 1522 die Privilegien Bielefelds; Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 100,1/Urkunden: Urkunde 1522 September 27

Im August/September 1535 weilte dieser Jan van Leiden nach seinem Sturz unfreiwillig, aber nicht zufällig in Bielefeld. Herzog Johann III. von Jülich-Kleve-Berg (1490-1539), der nach dem Tod seines Schwiegervaters 1511 die Regentschaft in der Grafschaft Ravensberg angetreten hatte, hatte die Belagerung Münsters 1534/35 mit Kanonen und Geld unterstützt. Auf Bitten von Johann III. „lieh“ der siegreiche münsterische Fürstbischof Franz von Waldeck (1491-1553), der übrigens auf der Burg Sparenberg geboren war, seinen prominentesten Gefangenen Jan van Leiden nach Ravensberg aus. Eine Eskorte aus „ithliken rutheren unde knechten“ bewachte den Gefangenen, wie die Osnabrücker Bischofschronik von 1553 festhielt. Dort wollte der Herzog den Unruhestifter „besichtigen und mit em siner ansclege halven underredinge“ halten – van Leiden war zum „monstrum und schouwspel“ einer spottenden Öffentlichkeit geworden und musste „mannich spitzich wordt“ hören. Im August/September 1535 kam Herzog Johann III. mit einem bewaffneten Gefolge in seine Grafschaft Ravensberg, um die dortige Verwaltung neu zu ordnen, Rechtsstreitigkeiten zu regeln und einen Landtag abzuhalten. In Bielefeld, dem Hauptort der Grafschaft, war die Bevölkerung trotz reformatorischer Anklänge überwiegend gefestigt katholisch, auch wenn der Herzog in religiösen Angelegenheiten eher vermittelnd auftrat und Missstände in der katholischen Kirche durch innere Reformen zu beheben versuchte. Die Stadt Bielefeld selbst hatte im Mai 1534 bereits zwei Geschütze zur Unterstützung der Belagerer entsandt – und wartete bis 1537 vergeblich auf die Rücklieferung, was nicht verwundert, da das Rohr einer Kanone offensichtlich bereits während der Belagerung geborsten war. Statthalter in der Grafschaft Ravensberg war seit 1528 zudem kein geringerer als Graf Wirich V. von Dhaun-Falkenstein (ca. 1473-1546), der nach zwei gescheiterten Sturmangriffen auf Münster das Kommando übernommen und die Belagerung blutig zu einem siegreichen Ende gebracht hatte, aber nach der Eroberung keine Rolle mehr spielte.

Über den Auftritt Jan van Leidens in Bielefeld ist freilich kaum etwas bekannt. Während er mit seinen täuferischen Hauptgefährten Bernd Knipperdollinck und Bernd Krechtinck nach der Gefangennahme zunächst in Dülmen gefangen gehalten worden war und dort ein erstes „Bekenntnis“ abgelegt hatte, liegt aus der Zeit auf der Burg Sparenberg wenig konkretes vor, auch wenn er dort dem herzoglichen Berater Konrad Heresbach (1496-1576) begegnete. Der Humanist hatte sich für religiöse Toleranz ausgesprochen, auch gegenüber den Täufern. In einem Brief an Erasmus von Rotterdam schrieb er unmittelbar nach der Niederwerfung der Münsteraner Täufer, man solle „Irrtümer, aber nicht Menschen ausrotten“ („ita ut haereses potius quam homines tollantur“), freilich galt dieses nur für die Verführten, nicht jedoch für die Verführer, zu denen Jan van Leiden zweifelsfrei gezählt wurde. Auf der Burg Sparenberg begegnete Heresbach dem gestürzten König, leider ist keine Disputation oder ein Verhör verschriftlicht worden. Mehr als hundert Jahre nach den Ereignissen veröffentlichte Theodorus Stracke in Amsterdam 1637 eine lange Zeit Heresbach zugeordnete „Wiedertäufer“-Geschichte, die aus dessen Briefen an Erasmus konstruiert ist.

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Im August 1535 wurde der Gefangene Jan van Leiden in Bielefeld zur Schau gestellt; Zeichnung von Horst Wasgindt, 1975; abgedruckt in: Gustav Engel, Bielefeld – Gesicht und Wesen einer Stadt, Bielefeld 1975, hier S. 113

Nachdem Johann Christian Fässer 1852 bereits über eine Zurschaustellung van Leidens auf dem Marktplatz und den Disput auf der Burg geschrieben hatte, reicherte Gustav Engel 1934 mangels Quellen seine Geschichte über den Aufenthalt in Bielefeld phantasievoll an. Da verspottet der Gefangene das neugierige Publikum und es wird erfolglos ein Dreckklumpen auf ihn geschleudert, da wirft der in Ketten liegende, dem u.a. „Vielweiberei“ vorgeworfen wird, der schönen und errötenden Bürgermeistertochter kecke Blicke zu, da misslingt dem Herzog zunächst die Verhöhnung des Gestürzten, der Johann III. vielmehr mit gespielter Würde zur Audienz einlädt. Vor allem verlegt Gustav Engel zugunsten der lokalhistorischen Dramaturgie Ereignisse, die sich andernorts abgespielt haben, mutig nach Bielefeld. So lässt er die theologischen Wortgefechte auf der Burg Sparenberg stattfinden und nicht in Dülmen, Bevergern und Münster, Kontrahent Leidens ist Conrad Heresbach und nicht die Gesandten aus Kurköln, Münster und Kleve oder Antonius Corvinus und Johannes Kymeus, und auch Herzog Johann III. ist Teilnehmer des Gesprächs, als er Wut entbrannt Jan van Leiden fragt „Du räudiger Hund willst ein König sein?“ – „Du willst ein Herzog sein?“, kontert dieser gelassen – ein ähnlicher Dialog soll sich aber zwischen dem Fürstbischof Franz von Waldeck und dem Täuferkönig zudem im soeben eroberten Münster im Juni 1535 abgespielt haben.

Doch wer war van Leiden eigentlich und was wollten die Täufer überhaupt? Religiöse Bewegungen hatten bereits im Mittelalter soziale und kirchliche Missstände kritisiert, waren aber regelmäßig am Machtanspruch der einen Kirche und der weltlichen Herrscher gescheitert, die Unruhen jederart rigoros erstickten. Das änderte sich mit der Reformation, in der sich die Interessen der politisch selbstbewussten Landesherrn im Reich mit den neuen religiösen Ideen Luthers verbanden. Parallel entstanden radikale Vorstellungen und Gruppen, von denen die junge lutherische und die zwinglianische Lehre sich umgehend distanzierten. Das galt vor allem für die verschiedenen Täuferbewegungen, die bei allen Unterschieden im Detail vor allem eine staatsfreie Kirche und ein Entscheidungschristentum propagierten, das die Erwachsenentaufe als bewussten Akt des überzeugten Gläubigen zum Kern hatte – die Gegner bezeichneten die Täufer abfällig als „Wiedertäufer“, da sie schließlich als Kinder bereits getauft waren.

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Die Burg Sparenberg war Schauplatz der Begegnung des Herzogs Johann III. mit Jan van Leiden ; Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,11/Graphische Sammlung, Nr. 240: Bielefeld (Ausschnitt aus einem Aquarell, um 1710)

In Bielefeld und Ostwestfalen ist die Täuferbewegung bis 1535 nicht nachzuweisen, erst 1570 gibt es Belege für die Grafschaft Ravensberg und Lemgo. Das Geschehen konzentrierte sich zunächst auf die Schweiz und Süddeutschland, bald auf den Niederrhein und das Münsterland, beides Regionen in Nachbarschaft zu den Niederlanden. Dort verzeichnete eine Täufer-Bewegung überdurchschnittlichen Zulauf, die auf den apokalyptischen Lehren Melchior Hoffmans (ca. 1495-1543) aus Straßburg fußte. Hoffman war 1530 nach Emden geflohen und hatte dort eine eigene Täufergemeinde gegründet – die Melchioriten –, die in den Niederlanden außerordentlich wirksam war. Im nahegelegenen Münster verbanden sich ältere politische Spannungen mit neuen religiösen Ideen. Die aufstrebenden Handwerker forderten mehr Teilhabe am innerstädtischen Machtgefüge, tendierten zur neuen Lehre Luthers und profitierten von mehreren Wechseln in der Landesherrschaft über das Fürstbistum Münster. Die Stadt wurde 1532 gegen den Willen des Fürstbischofs evangelisch und der agile Bernhard Rothmann avancierte zum Hauptprediger. Rothmanns theologische Entwürfe radikalisierten sich hin zum Täufertum – und das im vollen Bewusstsein um die harte Verfolgung der Täufer. Der Reichstag von Speyer hatte 1529 bereits die Todesstrafe gegen Täufer erklärt, die nicht von ihrem Glauben abschworen, geistige Führer der Täufer sollte nicht einmal der Widerruf vor der Hinrichtung retten. Die Confessio Augustana der Lutheraner von 1530 verwarf die Erwachsenentaufe ausdrücklich. Erst am 22. Juli 2010 erklärte die Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes in Stuttgart „tiefes Bedauern und Schmerz über die Verfolgung der Täufer durch lutherische Obrigkeiten und besonders darüber, dass lutherische Reformatoren diese Verfolgung theologisch unterstützt haben“.

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Bielefeld mit seiner Nicolaikirche blieb bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts überwiegend katholisch; Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,11/Graphische Sammlung, Nr. 240: Bielefeld und Sparrenburg (Ausschnitt aus einem Aquarell, um 1710)

Der überzeugende Rothmann sammelte in einer unbedeutenden Kirche eine Gemeinde um sich, die sich über die Zustimmung zu seiner Theologie definierte und nicht über das lokale Kirchspiel: Sie waren Auserwählte mit ersten täuferischen Ansätzen. Damit wurde es gefährlich für Münster, denn der wohl populärste und gegen den Fürstbischof politisch durchgesetzte Stadtprediger zeigte offen täuferische Tendenzen. Aus den benachbarten Niederlanden sickerten die Lehren der Melchioriten ein, die die Endzeiterwartung der Auserwählten zu bestätigen schienen, die im „Neuen Jerusalem“ das Strafgericht Gottes erwartet und erleuchtet, weil in voller Überzeugung getauft, überlebt. Es kam zu einer regelrechten Massenhysterie, als sich zunächst Rothmann und weitere Prediger taufen ließen und seine Anhänger in Scharen folgten – innerhalb einer Woche wurden 1.400 Münsteraner getauft, das waren 25 % der Stadtbevölkerung. Die Bedrohung durch den Fürstbischof schweißte die Stadtbevölkerung weiter zusammen und in einem beispiellosen Akt beließ ein innerstädtisches Toleranzabkommen alle Bewohner bei ihrem jeweiligen Glauben einschließlich der Täufer, die ansonsten im Reich gnadenlos verfolgt wurden.

Der Druck des Fürstbischofs nahm zu. Zwar scheiterte ein erster militärischer Zugriff, er machte aber den verbliebenen Lutheranern und Katholiken klar, dass der Landesherr und die Landsknechte wohl nicht mehr sauber unterscheiden würden, wer bloß eine selbstbewusste Stadt vertreten hat oder aber „Wiedertäufer“ war. Die einen flohen, andere ließen sich taufen, da sie das harte Strafgericht des Fürstbischofs gegen frühere Lutheraner fürchten. Die Täufergemeinde wuchs durch Massentaufen und durch Zuwanderung auf 8.000 Menschen. Und der von den Sendboten biblisch begründete Weltuntergang und die Wiederkehr Christi hatten einen Termin: Am Ostertag, dem 5. April 1534 trat der charismatische Prophet der Täufer, Jan Matthijs aus dem niederländischen Haarlem, mit einer Handvoll Getreuer dem übermächtigen Feind vor den Toren Münsters mit Waffen und Gottvertrauen entgegen – und wurde massakriert.

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Nach dem Ende der Täufer wurden Medaillen mit dem Porträt des Königs Jan van Leiden und mit seinem Reichsapfel geschlagen; Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,13/Anstecknadeln, Medaillen und Plaketten, Nr. 18: Medaille auf Jan van Leiden, nach 1536

Ein anderer Niederländer ergriff die Inititative: Johann Bockelson aus Leiden, der bald nur noch Jan van Leiden hieß. Er war der Mann der Stunde, der das theologische Vakuum erkannte und mit Predigten, sicherem Auftreten und gewinnender Art füllte. Jan van Leiden war 1508 in Leiden geboren, hatte das Schneiderhandwerk gelernt, war als Tuchhändler aber gescheitert und fristete danach sein Dasein als Gastwirt, Wanderschauspieler und Stückeschreiber, bis er täuferische Ideen verinnerlichte. Bereits im Sommer 1533 hatte er in Münster Predigten Rothmanns gehört und war am 13. Januar 1534 endgültig in die Stadt gekommen. Nunmehr gelang es dem 26jährigen, die Gemeinde in dieser schweren Krise – keine Apokalypse der Ungläubigen, keine Errettung der Auserwählten, kein Prophet – zusammen zu halten, indem er behauptete, Matthijs´ Tod voraus gesehen zu haben.

Als van Leiden Münster zum Ausgangspunkt einer Heilung der gesamten Welt zum Besseren ausrief, stimmten die Gläubigen zu, deren Brücken zurück in das vortäuferische Leben längst abgebrochen waren. Vor den Stadtmauern lag ein stetig anwachsendes Belagerungsheer, drohte die sichere Todesstrafe für Aufruhr und Sektenzugehörigkeit, es gab kein zurück mehr. Man blieb, hoffte auf die Bekehrung der Sünder, weiteren Zulauf und Erfüllung der Vorhersehungen. Jan van Leiden interpretierte das Täufertum unter dem Druck der Ereignisse neu: Die Christusherrschaft und das göttliche Strafgericht standen nicht unmittelbar bevor, sondern folgten erst nach der Bekehrung der Welt, die in Münster beginnen und ihr Vorbild haben sollte. Die Stadt war nicht mehr das „Neue Jerusalem“, sondern die Täufergemeinde Münsters war das neue Neue Volk Israel. Jan van Leiden stieg zum höchsten Propheten auf und band sowohl die städtischen Kräfte wie auch die Zugewanderten geschickt in eine neue „Ordnung der Zwölf Ältesten“ ein.

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Die Aufzeichnungen von Wolff Ernst Aleman erwähnen die Eroberung Münsters und die Hinrichtung der führenden Täufer, nicht aber van Leidens Aufenthalt in Bielefeld; Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 300,5/Handschriften, gebunden, Nr. 81: Wolff Ernst Aleman,
Collectanea Ravensbergensia, Bd. 4, S. 2773, ca. 1690

Zwei wesentliche Elemente wurden den „Wiedertäufern“ Münsters zugeordnet: Gütergemeinschaft und Vielehe. Während die erste biblisch begründet und ein genereller Teil der Täuferlehre war, entsprang die zweite dem Zwang der Verhältnisse, denn in Münster gab es einen deutlichen Frauenüberhang. Dieser war schon vor 1534 vorhanden, wurde aber durch die Flucht der Bürger, die ihre Ehefrauen zur Sicherung ihres Eigentums zurückließen, ebenso verstärkt wie durch Tote bei Gefechten. Zusätzlich wirkte die Täuferlehre mit unmittelbarer Teilhabe am Gemeindegeschehen und am Prophetismus gerade auf Frauen anziehend. Gottgerecht zu leben hieß damals aber, einem Mann zugeordnet zu sein, deshalb setzte van Leiden die Vielehe gegen Widerstände und sogar einen Aufstand mit aller Härte und Hinrichtungen durch – er selbst hatte schließlich 16 Frauen, was die theologischen Gegner besonders erzürnte.

Den zweiten Angriff im September 1534 konnten die Belagerten zwar abwehren, sie mussten aber auch erkennen, dass die Stadt und die Täufergemeinde auf Dauer nicht zu halten waren. Einer der Propheten, die van Leiden selbst ernannt hatte, rief ihn – ob vorher abgesprochen oder nicht – aufgrund einer Offenbarung Gottes zum König aus. Jan van Leiden nahm den Titel an, zumal er sich selbst auf die gleiche göttliche Eingebung berief und sich als Haupt der einzig legitimen Herrschaft auf Erden sah. Er ersetzte die „Ordnung der Zwölf Ältesten“ durch eine Hofordnung und bezeichnete sich fortan als „König in dem Neuen Tempel“. Der neue König hielt als Ausdruck seiner Herrscherwürde und als Signal der Hoffnung prachtvoll Hof, schmückte sich mit Goldkrone, Zepter, Kette und einem Reichsapfel mit Kreuz und zwei Schwertern, die die weltliche und die geistliche Macht symbolisierten. Das Königtum überstand wiederholt innere Krisen und vor allem das Scheitern der äußeren Ausbreitung der Täuferlehre. Prädikanten, die nach Osnabrück und Coesfeld und die als sicher täuferisch geglaubten Städte Soest und Warendorf entsandt worden waren, wurden gefangen genommen und überwiegend hingerichtet. Bis nach Ravensberg drangen die Täufer 1535 erst gar nicht vor. Mit biblischen Auslegungen auf den Lippen und dem Richtschwert in der Hand disziplinierte van Leiden die Täufergemeinde. In den letzten Monaten seiner Herrschaft richtete er Kritiker persönlich hin.

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Am 22. Januar 1536 wurde Jan van Leiden in Münster hingerichtet; Stich aus Hermann von Kerrsenbroick [Kerssenbrock], Geschichte der Wiedertäufer zu Münster in Westphalen, Münster 1771 [Landesgeschichtliche Bibliothek, Sign. Q 20 324]

Ab dem Frühjahr 1535 war Münster von der Außenwelt abgeschnitten und hungerte; der erhoffte Entsatz zu Ostern blieb erneut aus. Münster fiel am 25. Juni 1535 durch Verrat, 650 Täufer wurden getötet, weitere, die nicht abschwören wollten, wurden hingerichtet. Die wichtigsten Täuferführer gerieten in Gefangenschaft. Jan van Leiden ließ in den Disputationen und Verhören ein Schuldeingeständnis ebenso missen wie ein Bekenntnis zur Reue, er bezeichnete sich selbst als besten Apostel aller Zeiten und blieb bei seinen täuferischen Überzeugungen, auf die die Todesstrafe stand. Am 22. Januar 1536 schließlich wurde er mit zwei weiteren Hauptverantwortlichen nach harter Folter mit glühenden Zangen und Dolch in Münster öffentlich hingerichtet und die Leichen in eisernen Käfigen am Lambertiturm zur Schau gestellt. Die Käfige erinnern über dem Prinzipalmarkt noch heute für jedermann sichtbar an das Ende des Täuferreichs und von Jan van Leiden.

 

Quellen

  • Kerrsenbroick [Kerssenbrock], Hermann von, Geschichte der Wiedertäufer zur Münster Westphalen, Münster 1771 [Landesgeschichtliche Bibliothek, Sign. Q 20 324]
  • Müller, Ernst (Hg.), Die Abrechnung des Johannes Hageboke über die Kosten der Belagerung der Stadt Münster 1534-1535, Münster 1937, hier S. 131 u. 136
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 100,1/Urkunden: Urkunde 1522 September 27 –Herzog Johann III. von Kleve bestätigt die Privilegien Bielefelds
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 300,5/Handschriften, gebunden, Nr. 81: Wolff Ernst Aleman, Collectanea Ravensbergensia, Bd. 4, S. 2773 (Erwähnung der Eroberung Münsters 1535)
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,11/Graphische Sammlung, Nr. 240: Bielefeld (Aquarell, um 1710)
  • Stadtarchiv Bielefeld, Bestand 400,13/Anstecknadeln, Medaillen und Plaketten, Nr. 18: Medaille auf Jan van Leiden, (1536) Mitte 16. Jahrhundert

Literatur

  • Bouterwek, Karl Wilhelm, Conradi Heresbachii, Historia factionis excidiique monasteriensis, Elberfeld 1866
  • Engel, Gustav, Die Ravensbergischen Landesburgen, Bielefeld 1934, hier S. 80-84
  • Engel, Gustav, Zur Geschichte der Stadt Bielefeld im 16. Jahrhundert, in: Ravensberger Blätter 37 (1937), S. 75-77
  • Engel, Gustav, Bielefeld – Gesicht und Wesen einer Stadt, Bielefeld 1975, hier S. 111-116
  • Fässer, Johann Christian, Das Wiedertäuferreich zu Münster in Westfalen, Münster² 1924, hier S. 155 (Erste Auflage 1852, hier S. 211f.)
  • Herberhold, Franz, Das Urbar der Grafschaft Ravensberg von 1556, Teil 2: Register (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen, Bd. 24), Münster 1981
  • Mager, Wolfgang/Petra Möller (Bearb.), Das Urbar der Grafschaft, Teil 3: Ergänzende Quellen zur Landes- und Grundherrschaft in Ravensberg (1535-1559) (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Westfalen, Bd. 24), Münster 1997
  • Reese, Rudolf, Notiz über Johann von Leiden, in: 10. Jahresbericht des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg (1895), S. 99
  • Rommé, Barbara (Hg.), Das Königreich der Täufer. Reformation und Herrschaft der Täufer in Münster, 2 Bde., Münster 2000
  • Runge, Friedrich (Hg.), Die niederdeutsche Bischofschronik bis 1553: Beschrivinge sampt den handelingen der hoichwerdigen bisschopen van Ossenbrugge (Osnabrücker Geschichtsquellen, Bd. 2), Onabrück 1894
  • Tümpel, Hermann, Bielefelds Beteiligung an der Unterdrückung der Wiedertäufer, in: Ravensberger Blätter 2 (1902), S. 44
  • Vogelsang, Reinhard, Die Reformation, in: Johannes Altenberend/Reinhard Vogelsang/Joachim Wibbing, St. Marien in Bielefeld 1293-1993. Geschichte und Kunst des Stifts und der Neustädter Kirche (8. Sonderveröffentlichung des Historischen Vereins für die Grafschaft Ravensberg), Bielefeld 1993, S. 133-164

 

Erstveröffentlichung: 01.08.2010

Hinweis zur Zitation:
Rath, Jochen, August 1535: Der „Wiedertäufer“-König Jan van Leiden wird auf der Sparrenburg gefangen gehalten, Stadtarchiv und Landesgeschichtliche Bibliothek Bielefeld, https://historischer-rueckklick-bielefeld.com/2010/08/01/01082010/, Bielefeld 2010

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